# taz.de -- Rasanter Aufstieg von Fußballprofi Wirtz: Der Zocker aus Pulheim
       
       > Florian Wirtz von Bayer Leverkusen übertrifft derzeit sogar Lewandowski
       > und Haaland. Der 18-Jährige ist spielintelligent und robust zugleich.
       
 (IMG) Bild: Bitte lächeln! Florian Wirtz weiß sich und seinen Torjubel in Szene zu setzen
       
       LEVERKUSEN taz | Es gab tatsächlich Zeiten, in denen Florian Wirtz von
       Schüchternheit geplagt wurde – die allerdings liegen inzwischen weit
       zurück. Vor seinem ersten Training bei der Kölner U8 war der Junge aus
       Pulheim, vor den nordwestlichen Toren der Domstadt gelegen, so gehemmt,
       dass er zunächst gar nicht mitmachen wollte. Über solche Erinnerungen kann
       der offensive Mittelfeldspieler heute nur noch schmunzeln. Denn mit Wirtz’
       Charakter auf dem Fußballfeld sieht es laut Lukas Hradecky mittlerweile so
       aus: „Er ist ein geiler Zocker und auch ein bisschen frech, das tut ihm
       gut.“
       
       Leverkusens erfahrener Torhüter erlebt den hochbegabten Kollegen seit Ende
       Januar 2020 Tag für Tag. Damals wechselte Wirtz von den Kölner Junioren
       nach Leverkusen. Im Dress der Werkself, die am Samstag Mainz zum Duell
       Vierter gegen Fünfter empfängt, feierte er dreieinhalb Monate später in
       Bremen sein Bundesligadebüt. Und noch heute jaulen sie beim Geißbockklub
       bei dem Gedanken auf, Wirtz an den Lokalrivalen von der anderen Rheinseite
       verloren zu haben.
       
       Auf 45 Millionen Euro wird dessen Marktwert inzwischen taxiert – und Wirtz’
       jüngste Auftritte ließen die Lobeshymnen auf ihn nochmals anschwellen.
       „Schlehchd isser nehd“, kommentierte in der Vorwoche etwa Peter Stöger mit
       reinstem Wiener Schmäh. Zuvor war der frühere Bundesligacoach (Köln,
       Dortmund) mit Ferencvaros Budapest in der Europa League 1:2 unterlegen –
       den Siegtreffer für Bayer hatte natürlich Wirtz erzielt.
       
       Wegen Corona kannte der 18-Jährige bis zum Saisonfinale im Mai [1][mit
       einer Ausnahme nur Geisterspiele], umso mehr genoss er nun den Jubel der
       Fans: „Das ist ein Moment, von dem ich lange geträumt habe.“ In Stuttgart
       knüpfte der U21-Europameister drei Tage später an seine starke Leistung
       gegen Budapest an, steuerte vor den Augen von Bundestrainer Hansi Flick ein
       Tor und einen Assist zum Leverkusener 3:1 bei. Mit sieben Scorerpunkten bei
       bislang nur 210 Einsatzminuten kommt Wirtz in der Liga alle halbe Stunde
       auf eine Torbeteiligung. Das ist der Top-Wert, besser als Bayerns
       Weltfußballer Robert Lewandowski oder Dortmunds Torfabrik Erling Haaland.
       
       ## „Absoluter Unterschiedsspieler“
       
       „Ich nehme mir vor, mehr Tore zu erzielen und mehr Vorlagen zu geben. Es
       ist mein Antrieb, voranzugehen“, erklärte Wirtz nach seiner schon guten
       letzten Runde – und setzt seine Vorhaben nun konsequent um. „Er ist bereits
       jetzt ein absoluter Unterschiedsspieler“, staunte VfB-Sportdirektor Sven
       Mislintat zuletzt.
       
       Neben beeindruckenden Statistiken imponiert Wirtz mit Robustheit,
       Spielintelligenz und Abgebrühtheit. „Wenn Florian einmal in einen Raum
       reinkommt und seine Schnelligkeit ausspielt, trifft er einfach immer gute
       Entscheidungen, bleibt eiskalt. In diesen jungen Jahren ist ihm das schon
       hoch anzurechnen“, betont Leverkusens Trainer Gerardo Seoane, der an dessen
       Entwicklung seinen Anteil hat.
       
       Als Wirtz zu Saisonbeginn mit Adduktorenproblemen kämpfte, verordnete
       Seoane ihm eine Pause – weil er eine chronische Verletzung unbedingt
       vermeiden wollte. Einen ähnlich sorgsamen Umgang mit dem Supertalent legten
       bereits im Sommer 2020 die Bayer-Bosse an den Tag: mit ihrer Entscheidung,
       Wirtz nach dem 100-Millionen-Euro-Transfer [2][von Kai Havertz] zum FC
       Chelsea keinen prominenten Ersatz vor die Nase zu setzen, sondern ihm eine
       Entwicklung ohne den ganz großen Konkurrenzdruck zu ermöglichen.
       
       Bayers jüngster Nationalspieler aller Zeiten, dessen erklärtes Karriereziel
       es ist, noch besser zu werden als der vier Jahre ältere Havertz, dankt es
       ihnen mit Fußballkunst und Malochermentalität. „Mich hat fasziniert, wie er
       vorne für die Mannschaft gearbeitet hat, unabhängig von seinem Tor oder der
       Vorlage“, schwärmte Abwehrchef Jonathan Tah in Stuttgart. In Leverkusen
       besitzt Wirtz einen Vertrag bis 2026 (ohne Ausstiegsklausel) – und nach
       Lage der Dinge wird er den Rheinländern vor Ablauf dieses Kontrakts die
       nächste Mega-Ablösesumme in die Kassen spülen.
       
       25 Sep 2021
       
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