# taz.de -- Reaktionen beim deutsch-türkische Fußballduell: "Dann bin ich lieber Türke"
       
       > Mehr als 4.000 Menschen verfolgen das deutsch-türkische Fußballduell auf
       > und um den Oranienplatz. Enttäuscht sind viele weniger vom Ausgang des
       > Spiels denn vom Stand der deutsch-türkischen Annäherung
       
       Als das 0:3 fällt, wirft Dogan Dogan enttäuscht den Kopf zurück und zuckt
       mit den Schultern. Aber schnell fänger er sich wieder. "Die Stimmung hier
       ist doch ganz gelassen, bei aller Enttäuschung freuen sich die türkischen
       Fans auch für Özil und Deutschland", befindet der freischaffende Künster
       aus Moabit. "Egal wer gewinnt, es ist ein Tag der Freude." Allerdings lässt
       sich die Atmosphäre auf dem Oranienplatz nicht unbedingt als freudig
       beschreiben, als am Freitagabend gegen halb elf die türkische Niederlage
       gegen Deutschland besiegelt ist. Enttäuschung steht den meisten Fußballfans
       ins Gesicht geschrieben, während sie sich schnell nach Abpfiff auf den
       Nachhauseweg machen. Immerhin: Mit den Pfiffen gegen den Wegbereiter des
       deutschen Erfolgs Mesut Özil, dessen Großeltern einst von der türkischen
       Schwarzmeerküste nach Deutschland umsiedelten, ist es spätestens nach
       seinem Tor zum 2:0 vorbei.
       
       Über 4.000 Menschen hatten das EM-Qualifikationsspiel auf einer
       Großbildleinwand im Herzen Kreuzbergs verfolgt, die allermeisten in
       rot-weiß, mit türkischen Fahnen in den Händen und Schals um den Hals. Schon
       vor dem Anstoß hatten Sicherheitsdienst und Polizei die Zugänge dicht
       gemacht, weil die Kapazitätsobergrenze des umzäunten Bereichs erreicht war.
       
       Wer seinen Platz sicher haben wollte, musste früh dran sein - so wie die
       37-jährige Nevin, die aus Köln angereist ist, um eine Freundin zu besuchen
       und das Spiel in Kreuzberg zu verfolgen. "Mein Herz ist in der Türkei, aber
       vom Kopf her denke ich, wenn die Deutschen mit ihrem schönen Fußball
       gewinnen, wäre das eigentlich auch nicht schlecht", sagt sie, während vorne
       auf der Bühne das vom Radiosender Metropol FM, den Türkischen Gemeinden in
       Deutschland und dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg organisierte
       Vorprogramm läuft. "Egal, wer gewinnt - wir werden feiern", sagt auf der
       Bühne auch der Abgeordnete und bildungspolitische Sprecher der Grünen,
       Özcan Mutlu, und beschwört wie die meisten auftretenden Politker,
       Unternehmer und Künstler die deutsch-türkische Freundschaft.
       
       Rapper Alpa Gun wirft bei seiner Darbietung die schwarze Lederjacke ab -
       ein weißes Shirt kommt zum Vorschein, darauf das Label einer Modemarke
       neben schwarz-rot-goldenem Emblem. Auf letzteres deutet der in Schöneberg
       aufgewachsene Sohn türkischer Einwanderer und ruft: "Hier sind wir geboren,
       hier haben wir gelernt uns anzupassen!" Als er wenig später mit großer
       Geste seinen Eltern und Deutschland für die Möglichkeiten, die sich ihm
       geboten haben, dankt, prangt auf der Leinwand wie bestellt der Schriftzug
       einer Imagekampagne des Senats: "Sei vielfältig, Sei einzigartig, Sei
       Berlin."
       
       Doch ganz so rosig sehen viele auf dem Oranienplatz den Stand
       deutsch-türkischer Gemeinschaftlichtkeit nicht. Oft taucht in Gesprächen
       der Name Thilo Sarrazin auf. "Klar hat er Recht, dass es auch Leute gibt,
       die nach Deutschland kommen und sich bedienen", sagt etwa der 46-jährige
       Ahmet. "Aber warum muss man immer alle in einen Topf werfen?" Seit 1980
       lebe und arbeite er in Berlin, zahle Steuern und sei hier voll und ganz
       Zuhause. Doch die häufigste Frage, die ihm von Deutschen gestellt werde -
       etwa bei Elternabenden in der Schule seines Sohnes, sei: "Wollen sie später
       einmal wieder zurück?" Das lasse ihn ratos zurück: "Ich lebe doch hier,
       meine Kinder wachsen hier auf, wohin soll ich denn zurück wollen?"
       
       Zwischen Imbissbuden und Ständen, die türkische wie deutsche Fanartikel
       verkaufen, erzählt der Mittedreißiger Tan Ähnliches: "Leute wie wir haben
       uns vor zehn Jahren schon völlig als Deutsche gefühlt." Aber im Angesicht
       ausgrenzender Politik und Rhethorik, wie sie in letzter Zeit mehr und mehr
       zugenommen habe, sagten sich viele wie er selbst heute: "Dann bin ich
       lieber Türke." Unglaublich schade sei das, fügt er noch an.
       
       Dass es auch anders geht, beweisen die 25-jährige Lisa, die aus Oranienburg
       stammt, und ihr 29-jähriger, deutschtürkischer Freund Levi, der im Wedding
       lebt: Sie trägt die türkische Flagge um die Schultern, er die Deutsche -
       "aus Solidarität, weil es eigentlich genau umgekehrt ist", wie es Levi
       ausdrückt. "Zwar sind wenige deutsche Fans hier, aber man wird von allen
       mit offenen Armen aufgenommen, auch wenn man sich lautstark bei den
       deutschen Toren freut", sagt Lisa.
       
       Sichtlich wohl fühlen sich auch Heidi Brüns und ihr Mann. Von ihrem Zuhause
       gleich um die Ecke in Mitte ist das Informatikerpaar in Rente zum Public
       Viewing auf den Oranienplatz gekommen. "Wir wollten mal live miterleben,
       wie die türkischen Mitbewohner solch ein Fest feiern", sagt die 61-jährige
       Brüns. Sie hielten sich oft in Kreuzberg auf, "weil hier einfach mehr los
       ist".
       
       Mehr los ist in Kreuzberg wohl auch als in Ingolstadt. Den Namen des
       oberbayerischen Städtchens skandiert ein Dutzend junger Männer lautstark,
       als sie nach dem Spiel mit riesiger Türkeiflagge die Adalbertstraße entlang
       laufen. "Wir kommen daher", sagt einer, "und sind eigens für das Spiel
       angereist".
       
       10 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Puschner
       
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