# taz.de -- Franziska Seyboldt Psycho: Rebecca treibt die Realität nackt durch die Straßen
       
       Vor drei Tagen bekam ich eine Mail von Netflix, deren Betreffzeile mir das
       Herz brach: „Ideen für die Zeit nach ‚Crazy Ex-Girlfriend‘ “. Netflix hat
       recht, dachte ich, es gibt eine Zeitrechnung, die sehr viel sinnvoller ist
       als Frühling, Sommer, Herbst und Winter: die Zeit vor „Crazy
       Ex-Girlfriend“ (war da was?), die Zeit währenddessen (die beste!) und die
       Zeit danach (schlimm).
       
       Hierzulande kennt kaum jemand die US-Serie, was vermutlich an der wenig
       verlockenden Inhaltsangabe liegt: „Die brillante Rechtsanwältin Rebecca
       hängt immer noch an ihrem längst Verflossenen. Sie gibt ihr New Yorker
       Leben auf und zieht nach Kalifornien, um ihn zurückzugewinnen.“ Okay,
       ciao.
       
       Dabei müsste es eigentlich heißen: „Die großartige Rachel Bloom brilliert
       in einer ironischen Dramedy mit Musicalelementen und widmet sich so
       überzeichnet wie aufrichtig den Themen Feminismus, Freundschaft und
       psychische Krankheiten.“ (Falls jemand von Netflix mitliest: Dürft ihr
       gerne kostenfrei übernehmen, aber nur im Tausch gegen die vierte Staffel
       innerhalb der nächsten zwei Wochen, danke.)
       
       Es könnte natürlich sein, dass die Leute spätestens bei „psychische
       Krankheiten“ denken: Och nö, der Tag war anstrengend genug, lass mal lieber
       eine Tierdoku auf Arte gucken. Kann man machen, definitiv. Aber während
       Tierdokus die Welt nur abbilden, wie sie ist, treibt „Crazy Ex-Girlfriend“
       die Realität nackt durch die Straßen, verliert dabei die eigenen Kleider
       und widmet der Peinlichkeit der öffentlichen Entblößung ein ganzes Lied
       inklusive ausgefeilter Choreografie.
       
       Etwa in Staffel drei, in der ein Arzt Rebecca erklärt, dass sie seiner
       Meinung nach jahrelang eine falsche Diagnose bekommen hat, und sie voller
       Euphorie singt: „Ich bin mir bewusst, dass psychische Krankheiten
       stigmatisiert werden, doch das Stigma ist es wert, solange ich weiß, wer
       ich bin, bewaffnet mit meiner Diagnose.“ Das ist so wahr, dass es wehtut
       und einem das Lachen trotzdem nicht im Hals stecken bleibt.
       
       In diesem einen Song („A Diagnosis“) werden mal eben alle Vor- und
       Nachteile einer Diagnose abgehandelt: vom Schubladendenken („Wo ist die
       Schublade? Sperr mich darin ein. Was sind die Nebenwirkungen? Dann bin ich
       die Sorgen los“) über die Hoffnung, endlich nicht mehr alleine zu sein
       („Doktor, verschreiben Sie mir meine Freunde, sagen Sie mir, dass ich schon
       die ganze Zeit dazugehöre zu diesen anderen Menschen, die meine Diagnose
       mit mir teilen“) bis hin zur Verklärung (Rebecca: „Ich habe nie Stimmen
       gehört, aber vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, damit anzufangen.“ –
       Chor: „Du bist supercool, Rebecca!“).
       
       Die Stimmen haben recht. Denn Rebecca zeigt, dass sie mehr ist als die
       Summe ihrer psychischen Probleme. Genau wie die Hauptdarstellerin und
       Co-Produzentin Rachel Bloom, die Ängste und Depressionen aus eigener
       Erfahrung kennt. Du bist supercool, Rachel!
       
       16 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franziska Seyboldt
       
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