# taz.de -- Richter kippen Maskenpflicht an Schulen: Wildwest-Rechtsstaat
       
       > Zwei FamilienrichterInnen aus Weimar und Weilheim hebeln Corona-Regeln an
       > Schulen aus – obwohl sie gar nicht zuständig sind.
       
 (IMG) Bild: Vor der Schule Masken auf, manche Richter sehen das anders
       
       FREIBURG taz | Auch in der Justiz gibt es QuerdenkerInnen und
       Geistesverwandte. Zwei eigenwillige RichterInnen aus Weimar und Weilheim
       haben jüngst angeordnet, dass [1][Kinder in der Schule] keine Masken tragen
       müssen – weil diese das „Kindeswohl“ gefährden. Eine Korrektur der
       Beschlüsse ist kompliziert.
       
       Von einer Kindeswohlgefährdung spricht man zum Beispiel, wenn ein Kind in
       der Familie missbraucht, geschlagen oder vernachlässigt wird. Dann kann
       einE FamilienrichterIn am Amtsgericht eingeschaltet werden. Sie kann
       Auflagen erteilen oder sogar den Eltern das Sorgerecht entziehen. Geregelt
       ist dies im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1666).
       
       Möglich sind nach dieser Vorschrift auch Maßnahmen gegenüber Dritten. So
       könnte zum Beispiel dem gewalttätigen Opa ein Hausverbot erteilt werden.
       Doch an Auflagen für LehrerInnen und Schulen hat der Gesetzgeber dabei
       sicher nicht gedacht.
       
       So aber argumentierte nun der Familienrichter Christian Dettmar in Weimar
       (Thüringen). Durch die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der
       Schule würden die Kinder „physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt,
       ohne dass dem ein Nutzen für die Kinder oder Dritte gegenüberstehe.“
       
       ## Richter befürchtet Verformung der Ohrmuscheln
       
       Der Richter hat Anfang April einen 192-seitigen Beschluss verfasst, der
       offensichtlich auf Breitenwirkung zielt. Er zitiert dabei ausführlich drei
       maskenkritische GutachterInnen und kommt zum Ergebnis, dass ein Nutzen von
       Mund-Nasen-Bedeckungen nicht belegt sei. Stattdessen, so die Argumentation,
       drohten den Kindern psychische Probleme, Zahnfleischentzündungen und eine
       Verformung ihrer Ohrmuscheln.
       
       Zwar gibt es landesrechtliche Anordnungen zum Tragen von Masken in der
       Schule, das räumte auch Richter Dettmar ein. Doch die Regeln seien
       ungeeignet und damit unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
       
       Dass der Familienrichter sich hier weit jenseits seiner Zuständigkeit
       bewegt, ist für JuristInnen offensichtlich. Denn Eingriffe des Staates in
       Rechte der BürgerInnen prüfen eigentlich die Verwaltungsgerichte. Das gilt
       auch für die [2][Corona]-Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Länder.
       
       So hat etwa der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim schon im Oktober 2020
       auf Klage von zwei Schülern die Maskenpflicht im Unterricht geprüft und als
       wirksames Mittel akzeptiert. Der VGH verwies dabei auf das Robert
       Koch-Institut (RKI), die Gesellschaft für Virologie und die
       Heidelberg-Studie zum Infektionsgeschehen bei Kindern.
       
       ## QuerdenkerInnen klagen gezielt
       
       Doch der Beschluss des Familienrichters aus Weimar [3][zieht inzwischen
       Kreise]. Am dortigen Amtsgericht sind bereits 22 ähnliche Anträge von
       Eltern anhängig, für einige von ihnen wird wieder Richter Dettmar zuständig
       sein. Und am Amtsgericht Weilheim (Bayern) hat am Dienstag eine
       Familienrichterin entschieden, dass zwei Realschüler in der Schule keine
       Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen. Sie berief sich in ihrem 27-seitigen
       Beschluss ausdrücklich auf die Argumentation ihres Thüringer Kollegen.
       
       Diese Entwicklung fällt nicht vom Himmel. Schon seit Wochen gibt der
       pensionierte Richter Hans-Christian Prestien auf Youtube Tipps, wie Eltern
       mit Hilfe von Familienrichtern die Maskenpflicht aushebeln können. Und in
       Thüringen gab es nach Informationen der Thüringer Allgemeinen sogar eine
       Telegram-Gruppe von maskenkritischen Eltern, die mit Hilfe der Anwältin
       Yvonne Peupelmann die Klage beim Amtsgericht Weimar gezielt planten. So war
       bekannt, für welche Anfangsbuchstaben Richter Dettmar zuständig ist,
       deshalb wurden extra antragsstellende Eltern mit passenden Nachnamen
       gesucht.
       
       Doch was passiert nun mit den Beschlüssen von Weimar und Weilheim?
       Normalerweise werden Fehlurteile und Kompetenz-Überschreitungen von
       RichterInnen in der nächsten Instanz korrigiert. Doch das ist hier nicht so
       einfach.
       
       Ein Beschluss im familiengerichtlichen Eilverfahren ist unanfechtbar, wenn
       er ohne mündliche Verhandlung erfolgte. Das Land als Schulträger kann dann
       nur eine mündliche Verhandlung beantragen, in der das Eilverfahren
       wiederholt wird – allerdings vor dem gleichen Richter. Erst anschließend
       könnte die nächste Instanz angerufen werden.
       
       ## Fehlurteile und Kompetenzüberschreitung
       
       Das Land Thüringen will darauf aber nicht warten. Es hat gegen den
       Beschluss von Richter Dettmar sofort das Oberlandesgericht Jena
       eingeschaltet. Begründung: Es handele sich um einen „Scheinbeschluss“ – für
       den die üblichen Regeln des Prozessrechts offensichtlich nicht gelten
       sollen. Das passt zum Thüringer Wildwest-Rechtsstaat.
       
       Ein zusätzliches Problem bringt Dettmars Beschluss, weil er die
       Maskenpflicht nicht nur im Fall der zwei 12- und 14-jährigen Jungs
       beseitigte, um die es im Verfahren eigentlich ging, sondern auch für alle
       MitschülerInnen, die an den beiden Schulen unterrichtet werden. Auch dieser
       Exzess ist allem Anschein nach rechtswidrig – aber zunächst wirksam. Die
       Landesregierung akzeptiert Dettmars Beschluss allerdings nur bezüglich der
       beiden Jungs. „Bei allen übrigen Schülern werden die
       infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen weiter angewandt“, hieß es im
       Erfurter Bildungsministerium auf Nachfrage. Das heißt: die Maskenpflicht
       gilt – trotz Gerichtsbeschluss – an den betroffenen Schulen vorerst weiter.
       
       Zugleich stellten BürgerInnen erste Strafanzeigen gegen Richter Dettmar
       wegen Rechtsbeugung. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat mit der Vorprüfung
       begonnen. Vermutlich wird aber kein Verfahren gegen ihn eröffnet. Denn eine
       strafbare Rechtsbeugung läge nur vor, wenn der Richter das Recht
       vorsätzlich falsch angewandt hat. Das dürfte jedoch kaum nachweisbar sein.
       Angesichts seines missionarischen Eifers ist eher davon auszugehen, dass er
       seinen Beschluss für richtig hält und alle KritikerInnen für fehlgeleitet.
       
       15 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
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