# taz.de -- Rücktritt von Kanzler Kurz: Aufstieg und Fall des Sebastian K.
       
       > Sebastian Kurz räumt nach einem weiteren Skandal das Kanzleramt. Als
       > Fraktionschef der ÖVP bleibt er aber auf der politischen Bühne. Ein Drama
       > in fünf Akten.
       
       Am Freitagabend noch hat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in
       einem kurzfristig angekündigten Statement seine politische
       Handlungsfähigkeit beteuert. Er werde dem Druck nicht weichen. 24 Stunden
       später ist alles anders. [1][Auftritt Kurz]: Es gelte „Chaos zu verhindern
       und Stabilität zu garantieren“. Daher trete er jetzt „zur Seite“ und werde
       als Fraktionsvorsitzender der ÖVP ins Parlament zurückkehren, bis die
       ungerechten Vorwürfe gegen ihn aufgeklärt seien.
       
       Als Nachfolger im Bundeskanzleramt schlägt er seinen engen Vertrauten und
       Außenminister [2][Alexander Schallenberg] vor. Der Diplomat aus altem
       Adelshaus soll den verletzten Koalitionsfrieden wiederherstellen und
       Österreichs ramponierte Reputation im Ausland reparieren. Opposition und
       Medien rechnen damit, dass Kurz weiterhin die Strippen ziehen wird.
       
       Ein Körnchen Selbstkritik muss sein, schließlich dokumentieren
       Chat-Verläufe schwarz auf weiß, wie der Bundeskanzler über politische
       Gegner denkt und mit welcher Skrupellosigkeit sein politischer Aufstieg
       orchestriert wurde. Seinen Vorgänger als ÖVP-Chef, [3][Reinhold
       Mitterlehner], hat er einst als „Arsch“ apostrophiert, seinen Adlatus
       Thomas Schmid fragte er, ob man gegen einen populären Plan der Regierung,
       die er zu sprengen gedachte, nicht „ein Bundesland aufhetzen“ könne. Die
       Einschüchterung eines kritischen Kirchenmannes fand er „super!“ Manche der
       SMS-Nachrichten, „die ich im Eifer des Gefechts geschrieben habe“, würde er
       „klarerweise nicht nochmal so formulieren, aber ich bin eben auch nur ein
       Mensch“, erklärte Kurz dazu.
       
       Am kommenden Dienstag tritt in Wien der Nationalrat zu einer Sondersitzung
       zusammen, einberufen von der Opposition aus SPÖ, FPÖ und Neos, die auch
       einen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz als Kanzler einbringen
       wollten. Die Grünen, derzeit Koalitionspartner der ÖVP, hatten angedeutet,
       sie würden diesen unterstützen. Vizekanzler [4][Werner Kogler] hatte Kurz
       angesichts der strafrechtlichen Ermittlungen die Amtsfähigkeit abgesprochen
       und eine „untadelige Person“ als Partner in der Regierung verlangt. Damit
       wäre Kurz zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zweieinhalb Jahren vom
       Parlament abberufen.
       
       Mit dem „Tritt zur Seite“ hat Kurz die Krise entschärft und seine Macht
       gerettet. Die Vertrauensbasis in der Koalition ist dennoch erschüttert. Und
       die Opposition gibt sich nicht zufrieden, denn das „System Kurz“ sei intakt
       geblieben.
       
       ## Aufstieg und Fall des Sebastian K. Ein Drama in fünf Akten
       
       Protagonisten : 
       
       Sebastian K., Königsmörder, derzeit Fraktionsvorsitzender 
       
       Thomas Schmid, Intimus desselben, derzeit Privatier 
       
       Wolfgang Fellner, Zeitungsherausgeber 
       
       Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. 
       
       In den Nebenrollen: 
       
       Heinz-Christian Strache, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier 
       
       Reinhold Mitterlehner, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier 
       
       Johannes Frischmann, Gerhard Fleischmann, Stefan Steiner, August Wöginger, 
       
       Mitglieder der Prätorianergarde des Sebastian K. 
       
       Alma Zadić, Justizministerin 
       
       Christian Pilnacek, hoher Beamter im Justizministerium, derzeit suspendiert 
       
       ## Vorspiel:
       
       Aus dem Geilomobil ins Innenministerium
       
       2010 ist Wahlkampf in Wien. Der damals 24-jährige Chef der Jungen ÖVP (JVP)
       kurvt mit einem schwarzen SUV, Geilomobil genannt, durch die Straßen der
       Bundeshauptstadt und versucht seine Altersgenossen zu überzeugen, dass sie
       ihr Kreuzchen bei den Konservativen machen sollten. Als Anreiz verteilt er
       schwarze Kondome. Die Kampagne ist nur mäßig erfolgreich: Die Wiener ÖVP
       sackt gegenüber 2005 um 5 Prozentpunkte ab. Bürgermeister Michael Häupl
       (SPÖ) schließt eine Koalition mit den Grünen.
       
       Im Bund regiert zu diesem Zeitpunkt eine große Koalition unter [5][Werner
       Faymann] (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Dieser holt 2011
       den 25-Jährigen Kurz als Staatssekretär für Integration in die Regierung.
       Sein selbstsicheres Auftreten, seine konservative Einstellung und sein
       Selbstvermarktungstalent qualifizieren ihn für eine Karriere in der großen
       Politik. Der Jung-ÖVPler entpuppt sich als begnadeter Selbstdarsteller. Die
       Medien liegen ihm bald zu Füßen.
       
       Zwei Jahre und eine Wahl später wird aus dem ehrgeizigen Staatssekretär der
       jüngste Außenminister der Welt. Mangelnde außenpolitische Erfahrung macht
       ein Beraterstab aus Diplomaten wett, der ihn auf Schritt und Tritt
       begleitet, darunter ein gewisser Alexander Schallenberg. Kurz’ Stunde
       schlägt während der Flüchtlingskrise 2015, als er erkennt, welche Ängste
       diese bei Teilen der Bevölkerung auslöst. Als Kontrapunkt zu Angela Merkels
       Politik setzt er auf Abschottung. „Ich habe die Balkan-Route geschlossen“,
       sollte einer seiner griffigsten Wahlkampfslogans werden.
       
       ## Erster Akt: „Projekt Ballhausplatz“
       
       Szene 1: Die Verschwörer 
       
       Frühjahr 2016: Junge, schlanke Männer in weißen Hemden mit offenen Krägen
       sitzen in einem Hinterzimmer an einem Tisch beisammen. Es sind nicht Zeugen
       Jehovas, sondern Sebastian Kurz und seine Prätorianergarde. Die meisten
       kennen sich von der Jugendorganisation der Partei JVP. Sie arbeiten an der
       Zukunft Österreichs, genauer gesagt an der Machtübernahme – zuerst in der
       ÖVP, dann in Österreich.
       
       Der ÖVP-Vizekanzler heißt inzwischen Reinhold Mitterlehner und ist aus der
       Sicht der Verschwörer ein Langweiler. Die jungen Männer hecken einen Plan
       aus, der ihren Anführer möglichst schnell ins Bundeskanzleramt am Wiener
       Ballhausplatz bringen soll. Die Voraussetzungen sind gut, denn die große
       Koalition ist unpopulär. Als im Frühjahr 2016 der SPÖ-Chef Werner Faymann
       abgesägt wird und der dynamische [6][Christian Kern] frischen Wind in die
       Regierung bringt, ist bei den Verschwörern Feuer unterm Dach. Das „Projekt
       Ballhausplatz“ muss beschleunigt werden. Dass die Regierung jetzt populäre
       Maßnahmen wie eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung für
       Kindergartenkinder plant, kommt bei den Verschwörern gar nicht gut an.
       
       Die folgenden Zitate von 2017 sind kein Produkt der Dichtung, sondern so
       gefallen und jüngst bekannt geworden. Auftritt Thomas Schmid, damals
       Generalsekretär im Finanzministerium. Er alarmiert seinen Freund Kurz,
       damals Außenminister: „Wir müssen bei Banken aufpassen, die wollen das am
       Montag weiter besprechen und entscheiden – HBK und HVK (Anm.: Herr
       Bundeskanzler und Herr Vizekanzler) und Mahrer (Harald Mahrer, Chef der
       Österreichischen Wirtschaftskammer) und Co! Ziel – 1,2 Mrd. für
       Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch und Vereinbarungen Bund, Gemeinden
       ohne Länder! Mega Sprengstoff!“
       
       Kurz antwortet umgehend: „Gar nicht gut!!! Wie kannst du das aufhalten?“
       Wenig später hat er einen Einfall: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“
       
       Schmid: „Das sollten wir – wir schicken deinen Leuten heute auch noch die
       Infos“.
       
       Kurz: „Danke“
       
       Schmid: „Wenn Mitterlehner das macht – 1,2 Mrd. für Kern mit einem
       Nachgeben bei allen Bildungspunkten, wäre das irre“
       
       Tatsächlich hat die ÖVP bildungspolitische Initiativen der SPÖ über
       Jahrzehnte abgeblockt. Eine Konsenspolitik mit der SPÖ hätte das Bild von
       der ÖVP als Betonwand gegen eine fortschrittliche Familienpolitik ins
       Wanken gebracht und Mitterlehner wohl populärer gemacht. Den Verschwörern
       kann das nicht recht sein.
       
       ## Szene 2: Der Medienmogul
       
       Von den Wiener Redaktionsräumen der Tageszeitung Österreich kann man auf
       den Naschmarkt hinunterblicken, wo das multikulturelle Wien blüht, und auf
       die vergoldete Blätterkuppel der Sezession, der einst von Gustav Klimt
       mitbegründeten Heimat der Jugendstil-Avantgarde, denen die Akademie der
       Bildenden Künste zu starr und zu muffig war. Österreich ist ein buntes
       Gratisblatt, „die einzige Gratiszeitung, die man auch kaufen kann“, wie es
       der Kabarettist Florian Scheuba so schön doppeldeutig formuliert hat. Das
       Blatt gehört den Gebrüdern Wolfgang (geb. 1954) und Helmuth (geb. 1956)
       Fellner. Österreich ist ein Produkt des frühen 21. Jahrhunderts. Das
       Erfolgsrezept: Günstige Berichterstattung gegen Inserate. Das
       Recherchemagazin Dossier hat 2019 dokumentiert, wie die Fellners arbeiten:
       
       „Egal ob im Politik- oder Wirtschaftsressort, bei Österreich gibt es zu
       Inseraten gefällige Berichte dazu. Interne E-Mails zeigen, dass in Fellners
       Medien ein Prinzip herrscht: Sie buchen, wir schreiben. Werbung wird als
       Journalismus getarnt und verkauft, Menschen getäuscht und damit gegen das
       Gesetz verstoßen. Das beginnt bei Österreich ganz oben. Wolfgang Fellner
       veranlasst höchstpersönlich Serien redaktioneller Berichte über große
       Werbekunden.“
       
       Was passiert, wenn man nicht mitspielt, weiß die ehemalige Außenministerin
       [7][Karin Kneissl] zu berichten. Nominiert von der FPÖ, übernimmt sie 2017
       das Ministerium von Sebastian Kurz. Dort findet sie einen Werbeetat von 1,8
       Millionen Euro vor. Sie fragt sich, wofür das Außenministerium Inserate
       schalten müsse und widmet 80 Prozent dieses Budgets um.
       
       Als erste Warnungen ungehört bleiben, folgt die Rache der Fellners. Da
       heißt es bald „Kneissl muss weg.“ Und als sie erkrankt, fragt Österreich:
       „Ist sie schon tot?“ Die Ministerin fühlt sich an Mafiamethoden der 1930er
       Jahre in Chicago erinnert. Kneissl in Dossier: „Also entweder du zahlst
       oder wir fackeln den Laden ab – so ungefähr ist mir das vorgekommen. Und
       ich habe gesagt, ich zahle keine Schutzgelder.“ Fellner versteht da keinen
       Spaß, wie seine Kommentare verraten: „Karin Kneissl wirkt zu Beginn schräg,
       wirr, teilweise ahnungslos im Politgeschäft. Ein Risiko.“
       
       ## Zweiter Akt: Der Königsmord
       
       Frühjahr 2017: Die Verschwörer sitzen nicht in einem Hinterzimmer, sie
       verkehren meist über SMS und Whatsapp. Sie sind in strategischen Positionen
       verankert und können ihre Sabotagearbeit gegen ÖVP-Chef Mitterlehner und
       die Regierung unter Christian Kern von innen leisten. Dem ehrgeizigen
       Tiroler Juristen Thomas Schmid, der gerne mit Sebastian Kurz wandern geht,
       kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Generalsekretär im
       Finanzministerium kann er Minister Hartwig Löger, einen Quereinsteiger ohne
       Seilschaft in der ÖVP, manipulieren. Und er sitzt am Geldhahn.
       
       Die Umfragewerte für ÖVP-Chef Mitterlehner sind trotz des Neustarts der
       Regierung schlecht, die des SPÖ-Kanzlers steigen. Kurz’ Prätorianergarde
       reicht das nicht. Sie wollen deutlicher zeigen, dass Mitterlehner keine
       Zukunft hat, während ihr Idol der Mann der Stunde ist. So entsteht die
       Idee, Umfragen zu frisieren.
       
       Mit Sophie Karmasin sitzt die Leiterin eines renommierten Umfrageinstituts
       in der Regierung. Auf Drängen von Kurz, so legen es die Chat-Verläufe nahe,
       hat sie ihre Teilhaberin Sabine Beinschab angewiesen, entsprechende
       Umfragen herzustellen und in die Medien zu bringen. Bei Österreich stößt
       man auf offene Ohren, schließlich werden Inserate des Finanzministeriums
       für mehr als eine Million Euro in Aussicht gestellt.
       
       Bald kann Schmid an Kurz melden, dass die frisierte Umfrage fertig ist: „VP
       18, SP 26 und FP 35 laut Beinschab“
       
       Kurz: „Danke Dir! Gute Umfrage, gute Umfrage“, antwortet der Außenminister
       angesichts der für seine Partei desaströsen Werte.
       
       Schmid: „Umfrage erscheint morgen.
       
       Kurz: „Super danke“
       
       Jetzt muss das Elaborat nur noch an die Öffentlichkeit. Schmid wendet sich
       an Helmuth Fellner, der für die Finanzen bei Österreich zuständig ist:
       „Lieber Helmuth, wie besprochen kommen heute die Umfragedaten. Wir schicken
       sie dir und deinem Bruder. LG Thomas.“
       
       Helmuth Fellner: „Danke für den Einsatz! Super! Sogar Titelseite! LG
       Helmuth“
       
       Schmid: „Super cool! Freue mich auf unser Treffen!“
       
       Auch die anfangs zögerliche Sophie Karmasin zeigt sich in einem Chat an
       Thomas Schmid zufrieden: „Das hat gut geklappt, hast schon gesehen?“
       
       Weitere bestellte Umfragen bescheinigen Sebastian Kurz, dass die ÖVP unter
       seiner Führung zu neuen Höhen aufsteigen würde, unter Mitterlehner jedoch
       zum Untergang verdammt wäre.
       
       Mitterlehner riecht mittlerweile den Braten, zumal Außenminister Kurz nicht
       nur im Ausland, sondern auch verdächtig oft in den Bundesländern unterwegs
       ist. Er trifft sich dort vor allem mit parteinahen Wirtschaftstreibenden
       und sammelt Spenden für seinen bevorstehenden Wahlkampf.
       
       Thomas Schmid warnt Kurz: „Mitterlehner dreht durch. Droht dem
       Finanzminister, ihn rauszuwerfen. Spioniert dir in Tirol nach und erkundigt
       sich, welche Wirtschaftsrunden du dort machst – er hat dort nachgefragt. Es
       wird immer unerträglicher. LG t“
       
       Bald darauf wirft Mitterlehner entnervt das Handtuch, Thomas Schmid freut
       sich: „Mitterlehner ist dead like a dodo“. Sebastian Kurz lässt sich von
       den traditionell starken Bünden und Landeshauptmännern mit Vollmachten
       ausstatten, wie sie kein ÖVP-Chef zuvor gehabt hat. Triumphal wird er zum
       Parteichef gewählt. Mitterlehner arbeitet seine Demütigung in einem Buch
       auf. Thomas Schmid freut sich darüber nicht: „Mitterlehner ist ein
       Linksdilettant und ein riesen Oasch!!! Ich hasse ihn Bussi Thomas.“ Kurz
       beruhigt: „Danke Thomas super war dass Spindi (Ex-Vizekanzler Michael
       Spindelegger) heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten
       …“
       
       ## Dritter Akt: Ibiza
       
       Eine elegante Villa auf der Baleareninsel Ibiza im Juli 2017. FPÖ-Chef
       Heinz-[8][Christian Strache] sitzt mit seinem Vertrauten Johann Gudenus,
       Vizebürgermeister von Wien, dessen Frau Tajana, dem Detektiv Julian
       Hessenthaler und einer Frau namens Alyona Makarov, die sich als
       russisch-lettische Oligarchennichte ausgibt, auf einer Terrasse und
       vernichten Red-Bull-Wodka. Strache will gerne mit Sebastian Kurz in eine
       Regierung und braucht Geld für den Wahlkampf. Gudenus ist ein schlagender
       Burschenschafter mit Couleurnamen Wotan, der vom Dokumentationsarchiv des
       Österreichischen Widerstandes als Mann mit rechtsextremen Verbindungen
       geführt wird. Er fungiert als Dolmetscher. Strache macht der vermeintlichen
       Investorin Vorschläge, wie man Parteispenden am Rechnungshof
       vorbeischleusen könnte, regt sie an, die auflagenstarke Kronen-Zeitung zu
       kaufen, wo man dann „Zackzackzack“ unbotmäßige Journalisten feuern und
       willfährige Schreiberlinge einstellen solle. Er wünscht sich eine
       Medienszene „wie beim Orbán“ in Ungarn.
       
       Was Strache und Gudenus nicht wissen: Die angebliche Oligarchin ist ein
       Lockvogel und der feuchtfröhliche Abend wird heimlich aufgezeichnet. Knappe
       zwei Jahre später – Strache ist inzwischen Vizekanzler in einer Regierung
       mit Sebastian Kurz – kommt das Video an die Öffentlichkeit, Strache muss
       zurücktreten, die Regierung platzt.
       
       ## Vierter Akt: Handy mit 300.000 Nachrichten
       
       November 2019: Die Privatwohnung von Thomas Schmid, Chef der ÖBAG,
       staatliche Holding für die Beteiligungen an großen Wirtschaftsunternehmen
       wie Novomatic, Post und dem Mineralölkonzern OMV. Polizisten klopfen an die
       Tür, legen einen Durchsuchungsbeschluss vor und durchwühlen seinen
       Schreibtisch. Sein Handy und andere Datenträger werden eingezogen. Thomas
       Schmid wird bleich und erleidet einen Schwächeanfall. Ihm schwant, was
       kommen könnte.
       
       Rückblick auf Ibiza: Strache hat als mögliche Sponsoren mehrere
       Großindustrielle und Immobilienmagnaten genannt. Großzügig verhalte sich
       auch der teilstaatliche Glücksspielkonzern Novomatic. „Novomatic zahlt
       alle!“, hatte Strache schwadroniert. Während die meisten von Straches
       vollmundigen Prahlereien strafrechtlich nicht relevant sein dürften, ruft
       die Bemerkung über Novomatic die Wirtschafts- und
       Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf den Plan. Sie beginnt zu
       ermitteln, mit welchen Gegenleistungen ein Projekt für eine
       Novomatic-freundliche Reform des Glücksspielgesetzes erkauft worden sein
       könnte. Dabei stößt sie auf Thomas Schmid. Zwar hat er sein Handy kurz vor
       Eintreffen der Polizei noch auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und damit
       sämtliche Fotos und Chatverläufe gelöscht, doch gelingt es den Ermittlern,
       die verschwundenen Daten zurückzuholen. Das Justizministerium, inzwischen
       von der Grünen Alma Zadić geleitet, lässt die Korruptionsermittler
       arbeiten. Der starke Mann im Ministerium, Christian Pilnacek, der früher
       Untersuchungen gegen die ÖVP nach Tunlichkeit gestoppt hat, ist suspendiert
       und wartet auf einen Prozess. Von den annähernd 300.000 SMS und
       Whatsapp-Nachrichten haben die Staatsanwälte zwar erst ein Drittel
       aufgearbeitet, doch die Inhalte sind so brisant, dass Schmid als Chef der
       ÖBAG zurücktreten muss.
       
       Sein SMS-Verkehr mit Kurz und dessen Vertrauten legen nahe, dass er sich
       die Ausschreibung für den Posten selbst zurechtgezimmert hat. Andere Chats
       legen seinen Charakter offen. So klagt er nach Verlust seines
       Diplomatenpasses im neuen Job, dass er nun „wie der Pöbel“ reisen müsse.
       Auch die jüngsten Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im
       Bundeskanzleramt gehen auf Chatverläufe aus Schmids Handy zurück.
       
       ## Fünfter Akt: Der Stern beginnt zu sinken
       
       7. Oktober 2021: Donnerstagabend vor der ÖVP-Zentrale in der Wiener
       Lichtenfelsgasse. Demonstranten schwenken Fahnen und Transparente. Sie
       skandieren: „Kurz muss weg!“ Am Vortag haben Ermittler die Büros der ÖVP,
       des Bundeskanzleramts und mehrerer Kurz-Vertrauter durchsucht und
       Datenträger beschlagnahmt. Kurz und zehn weitere Personen aus seinem Umfeld
       werden als Beschuldigte geführt. Es geht um Untreue, Bestechung und
       Anstiftung zur Bestechung. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu zehn
       Jahre Haft.
       
       Die Grünen setzen dem Koalitionspartner das Messer an. Sie wollen nur mit
       einer „untadeligen Person“ weiterregieren. Kurz vergattert darauf Bünde,
       Landeshauptleute, Minister und Abgeordnete, ihm schriftlich ihre
       unverbrüchliche Treue zu versichern. Eine Regierung mit der ÖVP werde es
       nur mit Kurz als Kanzler geben. Neue Chats werden publik, die den Charakter
       der Kurz-Seilschaft offenlegen. Es wächst der Druck aus der eigenen Partei.
       Nach 35 Jahren an der Regierung will man nicht die Macht verlieren.
       
       9. Oktober, beste Sendezeit: Auftritt Kurz: Es ist alles anders. Er trete
       zur Seite, bis sich die „falschen strafrechtlichen Vorwürfe“ in Luft
       aufgelöst hätten. In der Parteizentrale feiert man den genialen Schachzug
       und bereitet sich auf die triumphale Rückkehr des Helden bei baldigen
       Neuwahlen vor.
       
       ## Vorhang.
       
       Epilog: 
       
       Abgeordnete genießen, anders als der Bundeskanzler, Immunität vor
       Strafverfolgung. Ob die ÖVP ihre Zusage wahrmacht, Kurz diese Immunität zu
       entziehen, damit er vor Gericht seine Unschuld nachweisen kann, wird sich
       erst in des Dramas zweitem Teil weisen. Dieser wird erst in den kommenden
       Monaten geschrieben.
       
       10 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Oesterreichs-Kanzler-Kurz-schmeisst-hin/!5807536
 (DIR) [2] https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_05430/index.shtml
 (DIR) [3] /Oesterreichischer-Vizekanzler-tritt-zurueck/!5408634
 (DIR) [4] /Neue-Koalition-in-Oesterreich/!5653270
 (DIR) [5] /Ruecktritt-des-oesterreichischen-Kanzlers/!5299439
 (DIR) [6] /Oesterreichs-Bundeskanzler-Christian-Kern/!5428784
 (DIR) [7] /Oesterreichs-fruehere-Aussenministerin/!5681577
 (DIR) [8] /Ibiza-Affaere-in-Oesterreich/!5796763
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Österreich
 (DIR) Sebastian Kurz
 (DIR) Rücktritt
 (DIR) ÖVP
 (DIR) GNS
 (DIR) Ibiza-Affäre
 (DIR) Österreich
 (DIR) Österreich
 (DIR) Sebastian Kurz
 (DIR) Ibiza-Affäre
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) Grüne Partei Österreich
 (DIR) Österreich
 (DIR) Österreich
 (DIR) Schwerpunkt Facebook
 (DIR) Österreich
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte mit Julian Hessenthaler: Die Einsamkeit des Whistleblowers
       
       Julian Hessenthaler, der Produzent des „Ibiza“-Videos, diskutierte in Wien.
       Ein Lehrstück über Österreich, Korruption und illiberale Demokratie.
       
 (DIR) Erbe von Ex-Kanzler Kurz: Neuer Stoff für Ermittlungen
       
       Ein interner Bericht fördert Ungereimtheiten im Finanzministerium zu Tage.
       Dabei geht es um horrende Ausgaben für eine Meinungsforscherin.
       
 (DIR) Inserate-Affäre in Österreich: „eXXpress“ gegen Klenk
       
       Ein kleines Boulevardmedium in Österreich raunt Verschwörung gegen den
       „Falter“-Chefredakteur. Dahinter stecken Kurz-nahe Medienleute.
       
 (DIR) Narzissmus in der Politik: Gefährliche Liebschaften
       
       Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-US-Präsident Donald Trump
       werden von Anhängern wie Geliebte behandelt. Eine psychoanalytische
       Diagnose.
       
 (DIR) Verfilmung der Ibiza-Affäre: Kein Plan B
       
       Eine auf Sky zu sehende Miniserie versucht sich an der Verfilmung der
       Ibiza-Affäre. Sie scheitert dabei nicht nur an der Grammatik.
       
 (DIR) Rücktritte in der Demokratie: Eine Frage des Rückhalts
       
       Der Rücktritt gehört zur Demokratie wie die Wahl. Dabei folgt er keinen
       Gesetzmäßigkeiten. Und wer zurücktritt, ist damit noch nicht unbedingt weg.
       
 (DIR) Korruptionsermittlungen in Österreich: Opposition kündigt Untersuchung an
       
       Ein Untersuchungsausschuss soll in Österreich die Vorwürfe gegen Ex-Kanzler
       Kurz klären. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zehn Verdächtige.
       
 (DIR) Österreich hat einen neuen Kanzler: Wie lange ohne Kurz?
       
       Österreich hat mit Alexander Schallenberg einen neuen Kanzler. Ob dessen
       Vorgänger nochmal zurückkommt, hängt von mehreren Faktoren ab.
       
 (DIR) Rücktritt von Kanzler Kurz: Kernschmelze eines Systems
       
       Wie soll in Österreich eine Regierung mit einem Strohmann, den der Pate
       Sebastian Kurz nach Mafiaart im Kanzleramt installiert, arbeiten können?
       
 (DIR) Österreich, Facebook und Steueroasen: Kurzschluss
       
       Die österreichischen Grünen dürfen sich nicht vom nächsten ÖVP-Mafioso
       durchkanzlern lassen. Und: Von was bitte soll Ringo Starr zurücktreten?
       
 (DIR) Kanzler in Österreich: Sebastian Kurz tritt zurück
       
       Nach einer Razzia im Kanzleramt stemmte sich der konservative Parteichef
       gegen einen Rückzug. Nun zog er vor einem möglichen Misstrauensvotum die
       Konsequenzen.