# taz.de -- Russisches Manöver in Belarus: Kriegerische Gedankenspiele
       
       > In Belarus steigt die Sorge vor einer Eskalation des Ukraine-Konflikts.
       > Das gemeinsame Militärmanöver mit Russland befeuert Spekulationen.
       
 (IMG) Bild: Vor lauter Bäumen den Krieg nicht sehen: Propagandabilder vom Militärmanöver in Belarus
       
       MINSK taz | Auf den Straßen der belarussischen Hauptstadt Minsk sind in
       diesen Tagen nur wenige Menschen zu sehen. In den Geschäften stehen die
       Minsker*innen Schlange und rüsten sich für den Ernstfall. In ihren
       Einkaufswagen stapeln sich Mehl, Buchweizen und Konserven. Kaum jemand
       nimmt das Wort Krieg in den Mund, aber sie ist ständig spürbar, diese
       klebrige, erstickende Angst.
       
       Eine ältere Dame sagt zu einer Frau, die hinter ihr steht: „Ich habe mit
       einer Freundin gesprochen und ihr gesagt: Ich bin vor dem Zweiten Weltkrieg
       geboren und erinnere mich noch gut, wie meine Mutter uns fünf Kinder im
       Keller versteckt hat, wenn die Flugzeuge über uns hinweg donnerten. Wir
       haben geweint und uns vor Angst in die Hosen gemacht. Ich fürchte mich so
       davor, dass es einen Dritten Weltkrieg geben könnte.“
       
       Seit der vergangenen Woche läuft in Belarus ein groß angelegtes
       Militärmanöver mit belarussischen und russischen Truppen, das bis zum 20.
       Februar andauern soll. Das Ziel der Übungen sei, die Streitkräfte darauf
       vorzubereiten, externe Aggressionen im Rahmen eines Verteidigungseinsatzes
       zu stoppen und abzuwehren, heißt es in einer Erklärung des russischen
       Verteidigungsministeriums von vergangener Woche. Die Übungen finden auf
       fünf Militärgeländen, vier Luftwaffenstützpunkten sowie an weiteren Orten
       in Belarus statt – unter anderem in der im Grenzgebiet zur Ukraine
       gelegenen Region Brest.
       
       Wer Genaueres über das Manöver namens „Entschiedenheit der Bündnispartner
       2022“ erfahren möchte, wird auf der Webseite sputnik.by fündig. Die Seite,
       die von Russland finanziert und im Zweistundentakt aktualisiert wird, macht
       Stimmung für einen Anschluss von Belarus an Russland. Belarussische
       Journalist*innen, die dort arbeiten, sind bei ihren Kolleg*innen, die dem
       autoritären Regime von Präsident Alexander Lukaschenko kritisch gegenüber
       stehen, unten durch.
       
       ## Westliche Terrororganisationen
       
       Unlängst war vor dem Hintergrund des Militärmanövers auf sputnik.by
       folgendes „Szenario“ zu lesen. In einer Konfrontation stehen sich zwei
       fiktive Verbündete, die „Republik Polesie“ (Belarus, Anm. d. Red.) und die
       „Östliche Föderation“ (Russland) sowie der Westen gegenüber.
       
       Der hat einen Versuch unternommen, die politische Situation in der
       „Republik Polesie“ zu destabilisieren und damit auch die „Östliche
       Föderation“ zu schwächen, um die dortige politische Führung zu stürzen.
       Danach werden weitere radikale Maßnahmen ins Werk gesetzt: Mithilfe von
       Terrororganisationen und der Opposition provoziert der Westen einen
       bewaffneten Konflikt mit der „Republik Dneprovia“ (Ukraine), dem Nachbarn
       des Unionsstaates (Belarus und Russland). Doch der Unionsstaat antwortet
       mit einer Gegenoffensive und am Ende siegt das Gute über das Böse, das
       heißt die Union über die „Republik Dneprovia“.
       
       Erst vor wenigen Tagen war Lukaschenko im belarussischen Staatsfernsehen
       aufgetreten und hatte gesagt: „Wenn es zu einer Aggression gegen unser Land
       kommt, werden Hunderttausende russische Truppen hier sein. Zusammen mit
       Hunderttausenden Belarussen werden sie diese heilige Erde verteidigen. Wir
       werden wie ein Mann zusammenstehen. Und sogar die, die das nicht wollen,
       werden für die Verteidigung unserer Erde und unseres Vaterlandes
       aufstehen.“
       
       Am 4. Februar hatte Lukaschenko dem russischen Journalisten Wladimir
       Solowjow, einem der einflussreichsten Vertreter der Kreml-treuen
       Medienwelt, auf dessen Youtube-Kanal „Solowjow Live“ ein Interview gegeben.
       Thema: Die Schaffung eines Gegengewichtes zum „kollektiven Westen“ und der
       Nato, die die belarussisch-russischen Beziehungen zerstören wollen.
       
       An die Ukraine gewandt, deren Präsidenten Wolodimir Selenski er als
       kopflos bezeichnete, sagte Lukaschenko: „Ihr wärt verrückt, euch mit
       Russland anzulegen. Und wir werden nicht an eurer Seite stehen. Minsk wird
       sich genauso verhalten wie Moskau.“ Dann teilte er den Belaruss*innen
       noch mit: Er werde immer Präsident von Belarus sein, sollten „schwierige
       Umstände“ dies erfordern.
       
       ## Lukaschenko könnte bleiben
       
       Am 27. Februar soll in Belarus ein Verfassungsreferendum stattfinden. Dabei
       geht es unter anderem darum, die bislang weitestgehend machtlose
       Belarussische Volksversammlung mit mehr Vollmachten auszustatten. Die
       Amtszeit des Staatsoberhaupts soll künftig auf zwei Mandate begrenzt sein –
       eine Regelung, die aber erst nach dem Referendum in Kraft treten soll. Ergo
       könnte Lukaschenko, der seit 1994 an der Macht ist, seinen Landsleuten als
       Präsident auch weiter erhalten bleiben. Doch Beobachter*innen denken
       noch über ein anderes Szenario nach. Selbst wenn Lukaschenko den
       Präsidentensessel räumen sollte, könnte er den Vorsitz der Belarussischen
       Volksversammlung übernehmen und somit weiter Einfluss auf die Politik des
       Landes nehmen.
       
       An diesem Abend ruft eine Freundin an. Vor Aufregung kann sie kaum
       sprechen. „Meine Eltern leben in der Grenzregion. Seit Beginn der
       Coronapandemie fahren keine Züge mehr. Es gibt dort nur wenige Brücken, die
       Flüsse sind breit und es ist Winter. Wie soll da eine Evakuierung der
       Bevölkerung vonstatten gehen?“ Eine Stunde später meldet sich ein Bekannter
       aus Kiew. Panik herrsche noch nicht, sagt er, doch die Menschen bereiteten
       sich auf eine Bombardierung vor. „Die Frage ist doch nicht, ob wir Angst
       haben oder nicht“, sagt er. „Keine Angst vor einem Krieg zu haben, wäre
       dumm. Die Frage, die sich jeder Einzelne stellen muss, lautet: Was ist zu
       tun, wenn es wirklich losgeht?
       
       Aus dem Russischen von Barbara Oertel und [1][Gaby Coldewey]
       
       14 Feb 2022
       
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