# taz.de -- Soundtrack von Jarvis Cocker: I just want to ffffotograph you
       
       > Der britische Popstar Jarvis Cocker hat einen tollen Soundtrack
       > komponiert – für den abgründigen Film „Likely Stories“.
       
 (IMG) Bild: Nur echt mit Röhren-TV-Brille: Jarvis Cocker
       
       Auf konventionelles Songwriting hat Jarvis Cocker wohl keine Lust mehr.
       Sein letztes Soloalbum, „Further Complications“, erschien bereits 2009, und
       die kurzlebige Reunion seiner Band Pulp – 2011 spielten sie nach
       zehnjähriger Auszeit einige Festival Gigs – führte lediglich zu einer
       Single.
       
       Untätig ist der Schlacks mit der Röhrenfernseherbrille freilich nicht. Der
       renommierte Londoner Verlag Faber & Faber vertraute auf seine literarische
       Expertise und heuerte ihn als Lektor an. Im selben Verlag veröffentlichte
       Cocker 2011 sein entwaffnend kommentiertes Textbuch „Mother, Brother,
       Lover“.
       
       Mit Schnappatmung hervorrufenden Spoken-Word-Einsprengseln hatte er schon
       einige seiner besten Pulp-Songs versehen. Im letzten Jahr hat der
       52-Jährige auf einen gluckernden Housetrack des französischen Produzenten
       Pilooski einen Auszug aus C. G. Jungs „Das Rote Buch“ vorgetragen. Zu hören
       ist die berauschende Performance von [1][„Completely Sun“] auf Pilooskis
       Single „Isola“.
       
       Nun hat Cocker den Score für „Music from Likely Stories“, die Verfilmung
       von vier Kurzgeschichten des britischen Schriftstellers Neil Gaiman
       komponiert. Dabei geht er nicht nur musikalisch neue Wege. In seinem
       Spoken-Word-Vortrag betört er mit der kruden Sexyness eines Serge
       Gainsbourg, nur dass er in seinen Texten die Tür zu menschlichen Abgründen
       noch weiter öffnet, als es der französische Hooligan-Chansonnier je tat.
       
       Die vier Geschichten wurden als „psychologischer Kannibalismus“, „bizarr
       und nicht vorherzusehen“ angekündigt – gefundenes Fressen für den Briten,
       dessen Beschäftigung mit dem Abseitigen auch irgendwie obsessiv ist. „Ich
       musste für dieses Projekt meine Wohlfühlzone nicht verlassen.“
       
       Cocker macht bei den vier nun veröffentlichten Teilen des Scores
       stilistisch Anleihen bei den Soundtracks von italienischen Giallo-Filmen
       der Siebziger. Das „Theme from Likely Stories“ nimmt einen mit in eine
       unheimliche Welt, Scheibenwischersounds künden von einer unabwendbaren
       Ausweglosigkeit, die von einem elegischen Chor, später einsetzenden
       quietschenden Geigen und einem Theremin noch verstärkt werden.
       
       „Looking for a Girl“ handelt von einem Mann, der sein Leben lang von einem
       Pornofotomodell fasziniert ist. Während er immer älter wird, bleibt sie
       seltsam alterslos. Schmierig und melancholisch zugleich rezitiert Cocker:
       „Photographs don’t argue / Photographs don’t get old / Photographs do as
       they are told … / I just want to ffffotograph you.“ Ein Orgelrezitativ und
       Harfenklänge geben dem Track sakralen Charakter. Der krasse Gegensatz von
       Text und Musik ruft Schaudern – und pure Freude – hervor.
       
       11 Jun 2016
       
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 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=4H8fkEQDMbI
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sylvia Prahl
       
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