# taz.de -- "Speed Racer"- Remake: Regression im Rennwagen
       
       > Der neue Film der Wachowski-Brüder "Speed Racer" bietet eine geballte
       > Ladung reaktionärer Ideologie für ein Amerika, das nichts gelernt hat.
       
 (IMG) Bild: Max Weber für Dummies: Die Überwindung von Schmerz und Erinnerung im Dröhnen der Motoren
       
       In der Kinderkultur der späten Sechzigerjahre war die Serie "Speed Racer"
       einer der Vorboten neuer grafischer Erzählweisen - lange, bevor die Worte
       "Manga" und "Anime" zum guten Stil gehörten und der "Iconic Turn" die
       Modelleisenbahnen aus den Kinderzimmern fegte.
       
       Der Held der Manga-Serie "Mach Go Go Go", die in den Jahren 1967 und 1968
       zu einer Zeichentrickserie umgeformt wurde, ist der junge Rennfahrer Go
       Mifune, der sein Rennauto Mach 5 mit allerlei Gadgets ausgerüstet hat. Dazu
       gehören ausfahrbare Teleskopstützen, Sägeblätter und eine schusssichere
       Glaskuppel. Gos jüngerer Bruder Kurio und dessen Schimpanse sorgen für
       Heiterkeit. Der Vater Daisuke und die Mutter Aya sind liebevoll, aber nicht
       gänzlich ohne Probleme. Daisuke nämlich hat Gos älteren Bruder Kenichi
       Mifune im Streit davongehen lassen. Nun taucht der Totgeglaubte in der
       Maske der rätselhaften Nummer 9, als "Fukumen Racer", immer wieder auf,
       gelegentlich wie ein Schutzengel für Go.
       
       Das Ganze ist eine Wunscherfüllungsmaschine für Jungs am Beginn der
       Pubertät, in der die Geborgenheitswünsche, die maschinenverstärkte
       Omnipotenz, die fantastischen Hilfsfiguren, das familiäre Umfeld und nicht
       zuletzt die klaren Rollen und Freund-Feind-Schemen Ordnung garantieren.
       
       Mastermind hinter der Serie war Tatsuo Yoshida, ein fleißiger Mann im
       Gewerbe, der Autor, Produzent, Regisseur und Charakterentwickler zugleich
       war. Seine Idee: eine Art beschleunigtes "Story Telling", mit dem er die
       damals noch eher getrennten Welten von Kinder- und Action-Serien
       miteinander verband. In Japan selbst brachten erst seine Nachfolger diesen
       Genremix zum Erfolg. "Mach Go Go Go" alias "Speed Racer" reüssierte dagegen
       auf dem internationalen Markt der Bilder.
       
       Der deutschen Medienkultur war der niedlich-brutale Jungstraum aus Fernost
       - anders als die fünf Jahre später produzierte Serie "Heidi" - entschieden
       zu viel. Dabei gehorchte beides einem verwandten kulturellen Konzept: Die
       "Cuteness Culture" setzt ein Zeichenreich der ewigen Niedlichkeit - ohne
       dabei "unschuldig" zu sein - gegen die Zumutungen des Erwachsenwerdens.
       
       In Japan selber war die Anime-Serie nur durchschnittlich erfolgreich. In
       den USA aber wurde sie, wie man so sagt, Kult. Sie stimmte die Kids der
       frühen Siebzigerjahre am Samstagvormittag auf ein Weekend der künstlichen
       Paradiese ein und betonte dabei in der Synchronisation noch die "Family
       Values": In "Speed Racer", so der amerikanische Titel, wurden Pops und Mom
       Racer, Speed und Sparky Racer, der Schimpanse Chim-Chim und die Figur des
       verlorenen Sohnes Rex alias Racer X eine ideale Familie. Man montierte die
       Folgen um und dämpfte ein wenig den ursprünglichen Hang zur Hysterie der
       großäugig und weitmaulig gezeichneten Kinderhelden.
       
       In Deutschland dagegen wurde "Speed Racer" eher als Krisensymptom für den
       Verfall der guten Sitten wahrgenommen. Es war die erste Anime-Serie im
       damals noch öffentlich-rechtlichen Fernsehen der BRD und wurde prompt wegen
       der Gewalt und Ideologie heftig angegriffen. Man verstieg sich gar im
       "Pressedienst Kirche und Fernsehen" zu der Beurteilung, "Speed Racer" sei
       "nur faschistischen Durchhaltefilmen vergleichbar"; die Welt schrieb von
       "roher Totschlägergesinnung".
       
       Natürlich darf man argwöhnen, dass nicht nur die "Gesinnung" die damals
       noch von keinerlei postmoderner Sophistication angekränkelten Kritiker
       erzürnte, sondern auch die aggressive Gestaltung - ein Zeichen-Code, der
       für die Erwachsenen nur die pure Abstraktions- und Beschleunigungs-Barbarei
       sein konnte, von den Kids aber auf Anhieb verstanden und adaptiert wurde.
       Der Protest indes zeigte Wirkung, die Serie wurde abgesetzt. Aber dann gab
       es ein weiteres Medienspektakel: Es hätten nämlich, so wurde behauptet, so
       viele Kinder empörte Briefe geschrieben, dass man deren kleine Herzen nicht
       brechen wollte und die Serie wieder ausstrahlte.
       
       "Speed Racer" wirkte also kulturell höchst unterschiedlich: fast unsichtbar
       im Überangebot in Japan, Kult in einer eingemeindeten und veränderten Form
       in den USA und Skandal in der bundesdeutschen Fernsehgeschichte.
       Grenzübertritte von Bildern hatten damals noch etwas zu erzählen. Als dann
       Anfang der 1990er-Jahre bei RTL die Serie wieder ausgestrahlt wurde, waren
       die Kids schon anderes gewöhnt. Die FSK gab der einst als "Horror-und
       Karambolage-Comic" gefürchteten Serie beim DVD-Erscheinen bedenkenlos eine
       Freigabe ab sechs Jahren.
       
       Nun gibt es in Deutschland wohl weder Erinnerungen an den einstigen
       Skandal, noch war die Serie so kultig, dass man sich nicht nur an ein
       Medienerlebnis erinnert, sondern an ganze Lebensabschnitte und
       Zeichen-Epochen, wie das in den USA der Fall ist. Der unabdingbare
       "Realfilm" steckte seit langem in der Entwicklungshölle der Traumfabrik.
       Erst einmal scheiterte das Projekt an technischen und sonstigen
       Schwierigkeiten, nachdem bereits 1992 die Rechte dafür gekauft worden
       waren. Schließlich entstand er 2007 unter der Regie der
       "Matrix"-notorischen Brüder Wachowski als beinahe komplette
       Greenscreen-Produktion in Babelsberg mit einigen Aufnahmen in Berlin (was
       zu einem der merkwürdigsten Auftritte des Brandenburger Tores in der
       Geschichte des Films führt).
       
       Wenn es darum ginge, die kindische Jungswelt von "Mach Go Go Go" mit einem
       computertechnologischen, aber durchaus auch grafisch-ästhetischen Overkill
       auf die Riesenleinwand zu übertragen, dann müsste man den neuen Film der
       Gebrüder Wachowski als gelungen bezeichnen. Und auch wenn es darum ginge,
       die transkulturelle Mediengeschichte von "Speed Racer" wieder
       rückzuübersetzen in japanische, amerikanische und, ja, auch deutsche
       Elemente, wäre an diesem globalisierten popkulturellen Recyclingprodukt das
       eine oder andere zu dekonstruieren. Allerdings hat auch die Verbindung von
       "Cuteness Culture" und computergenerierter Bildwelt ihre Tücken.
       
       In der Trilogie der "Matrix"-Filme ging es darum, mit allem, was sich in
       einem Jungszimmer befindet, kurz bevor man es endgültig verlässt, den Sinn
       des Lebens zu beschreiben. Also mit Action-Figuren, Hermann-Hesse-Büchern,
       Science-Fiction, Computerspielen, coolen Klamotten, Rock-n-Roll-Magazinen
       und "Subjektphilosophie für Dummies". Nach dem beeindruckenden ersten Teil
       konnte man den Brüdern Wachowski dann beim Scheitern zusehen. Sie haben es
       einfach nicht geschafft, dieses überfüllte, unaufgeräumte und ein bisschen
       muffige Zimmer zu verlassen und sich der Welt zu stellen. Vielleicht ist es
       deswegen auch kein Wunder, dass sie sich nun noch weiter zurückbewegen, in
       ein Kinderzimmer, in dem eine Matchbox-Autorennbahn aufgebaut ist, ein
       Stapel Comics herumliegt und in dem es immer noch nach den 70er-Jahren
       riecht.
       
       Mom und Dad schauen zärtlich und stolz: Das unausweichliche "Ich liebe
       dich" - "Ich liebe dich auch", das sich die Mitglieder einer amerikanischen
       Mittelstandsfamilie mindestens einmal täglich in die Ohren sülzen müssen,
       darf nicht fehlen. Es vernichtet allerdings einen ursprünglichen
       Verweigerungs-Gestus der "Cuteness Culture". Hier wird man ein niedlicher
       und brutaler Spießer, hier ist man nicht niedlich gegen die Gesellschaft,
       sondern für sie.
       
       Symptomatisch ist das für die Traumfabrik Hollywood insgesamt: 2006 und
       2007 gehen vielleicht in die Filmgeschichte ein als die Jahre, in denen dem
       amerikanischen Kino große, erwachsene, kritische und eigensinnige Filme
       gelangen, über die Vergangenheit und über die Gegenwart des Krieges. "There
       Will Be Blood", "In the Valley of Elah", "No Country for Old Men",
       "Badland". Für das Publikum war das offensichtlich eine Zumutung zu viel.
       Die Traumfabrik scheint sich derzeit von ihrem Anflug von Melancholie und
       Schönheit zu erholen; "Speed Racer" verlangt die radikale Regression.
       
       Dabei geht es keinesfalls nur um Kindischkeit als Programm. "Speed Racer"
       ist eine geballte Ladung reaktionärer Ideologie, gedacht für ein Amerika,
       das nichts gelernt hat und schon wieder ins nächste Rennen oder in den
       nächsten Krieg will. Die direkteste Verbindung des kleinbürgerlichen
       amerikanischen Familienromans mit den Globalisierungskriegen, die ewige
       Erneuerung des amerikanischen Kapitalismus durch Sieges- und
       Aufstiegswillen des Mittelstands, die Überwindung von Schmerz und
       Erinnerung im Dröhnen der Motoren, die sexuelle Sublimation. Max Weber für
       Dummies.
       
       Aber habt euch doch nicht so! Und kein Zurück in den
       Sozialpädagogen-Moralismus der Siebziger! Das nimmt doch niemand ernst, die
       Kids sind Schlimmeres gewöhnt. Dass man nicht mehr mit Schnitt und Blende
       die Einstellungen verbindet, sondern Bildelemente überlagert und
       dreidimensional montiert, dass die Unwahrscheinlichkeit der CGI-Effekte in
       der Comic-Adaption, in Überlagerungen, Speedlines und Split Panels wieder
       kohärent wird, dass Farb- und Formenkonzeptionen durchaus ihren
       ästhetischen Reichtum haben und - wenn man so will - transkulturell und
       gelegentlich ironisch doppeldeutig wirken, dass "Speed Racer" ein weiterer
       Schritt hin zu einer Meta-Sprache des Kinematografischen aus Elementen des
       Realfilms, des Comics und der Computerspiele ist, dass man auch
       Schauspieler wie Comicfiguren führen kann - das alles mag ein
       Oberflächeninteresse wecken: hat wohl alles mit dem Pictorial Turn und der
       Zukunft der Welt-Bilder zu tun.
       
       Aber es hilft nichts: Dieser Film ist in seiner Melange aus japanischer
       Kamikaze-Gewalt, amerikanischer Brutalsentimentalität und deutscher
       Wundertüten-Faschismus-Ästhetik ziemlich unerträglich. Und ist das noch
       Ironie oder schon Vermarktungsgenie, dass ein Blockbuster für den
       Weltmarkt, der Kids ohne weiteres töten und verstümmeln lässt, einen
       simplen Kuss dramaturgisch abbricht wie jeder Bollywood-Schinken?
       Antikörperlichkeit als Programm, pure Paranoia für Jungs, die mit größter
       Zärtlichkeit über eine Autokarosserie streichen und lieber Sieger als
       Personen werden.
       
       Leute, die nie Kinder waren und nie erwachsen wurden, müssen solche Filme
       machen und müssen solche Filme lieben. Die anderen seien gewarnt: Auch in
       einem quietschbunten, höllenlauten, flitzeschnellen Computerspektakel, in
       dem seltsamerweise John Goodman und Susan Sarandon auftauchen und eine Art
       Comic-Parodie von Christina Ricci, kann man sich tierisch langweilen.
       
       8 May 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Seesslen
       
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 (DIR) Spielfilm
       
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