# taz.de -- St. Pauli gegen Hansa Rostock: Das Geister-Hassspiel
       
       > Ohne Rostocker Fans schlägt der FC St. Pauli den FC Hansa mit 4:0 – und
       > untermauert damit seine Spitzenposition in der 2.
       > Männerfußball-Bundesliga.
       
 (IMG) Bild: Beeindruckten mangels gegnerischer Fans vor allem sich selbst: Ultras des FC St. Pauli
       
       Sie sind ganz in Schwarz gekleidet. In Dreierreihen gehen sie die
       Budapester Straße am Millerntorstadion entlang – oder muss man das schon
       marschieren nennen? – breitschultrig, breitbeinig, fußwegbreit. Kein
       Vorbeikommen.
       
       Und sie sind nicht allein. An jeder Ecke stehen Trupps der
       Bereitschaftspolizei, sogar welche aus Bremen. Die Reiterstaffel
       patrouilliert auf einer Linksabbiegerspur.
       
       Das erste Spiel des FC St. Pauli gegen Hansa Rostock seit neun Jahren hat
       die Hamburger Polizei als Risikospiel eingestuft. Dabei sind die Hansa-Fans
       gar nicht dabei. Wieder mal. Beim letzten Aufeinandertreffen 2012 hatte die
       Polizei den Verkauf von Gästekarten verboten.
       
       In diesem Jahr haben die Rostocker freiwillig verzichtet. Sie protestieren
       damit gegen die 2G-Regel, nach der nur ins Millerntorstadion darf, wer
       gegen Corona geimpft oder davon genesen ist. Fan-Initiativen hatten sich
       für einen Boykott ausgesprochen und der FC Hansa daraufhin das
       Gästekontingent komplett zurückgegeben.
       
       Dabei hatte der FC St. Pauli lange mit dem Hamburger Senat verhandelt, um
       eine 3G-Lösung zu erreichen, nach der auch ein negativer Coronatest den
       Eintritt ins Stadion ermöglicht hätte. Letztlich erlaubte die Stadt erst
       unter 2G-Bedingungen eine zunehmende Stadionauslastung. Sie ebnete auch
       der Rückkehr der Ultras den Weg, die zunächst ihrerseits Heimspiele
       boykottiert hatten, an denen sie wegen der Abstandsregeln nicht in voller
       Stärke hätten teilnehmen können. Gegen Rostock waren schon gut 22.000 der
       über 30.000 Plätze besetzt. Aber eben nur von St.-Pauli-Anhängern.
       
       ## Im Fußball geht es oft um einfache Botschaften
       
       Warum das Rostock-Spiel dennoch ein Risikospiel blieb? Dafür sprechen
       einerseits Erfahrungen aus früheren Jahren, in denen der Stadtteil St.
       Pauli ein einziges Schlachtfeld gewesen war, ohne dass mehr als ein loser
       Bezug zum Besitz von Eintrittskarten fürs Stadion erkennbar war.
       
       Auch diesmal wollten die Rostocker Fans trotz Abwesenheit die
       Deutungshoheit nicht den St. Paulianern überlassen, setzten im Vorfeld
       Duftmarken. Sie bemalten nicht nur die Davidtreppe mit ihren Farben, durch
       ihre Lage unweit der ehemals besetzten Hafenstraßen-Häuser ein maximal
       politisch aufgeladener Ort, den auch HSV-Anhänger regelmäßig kolorieren.
       
       Schon Tage vor dem Spiel hatten mutmaßlich Rostocker Fans ein Transparent
       mit dem Slogan „Pauli-Schweine!“ über eine Autobahnbrücke gespannt, daneben
       einen Schweinekopf gehängt. Im Fußball geht es oft um einfache Botschaften.
       Dieselbe Installation wiederholte sich ein paar Tage später mitten in
       Hamburg. Die Polizei nahm daraufhin Ermittlungen wegen Beleidigung auf,
       auch wenn es nicht ganz leicht sein dürfte, ein Subjekt zu finden, das sich
       durch die Aktion beleidigt fühlt. Aber mit den Rostocker Fans haben die
       Hamburger Ordnungshüter ohnehin eine Rechnung offen, seit in deren Fankurve
       beim letzten Heimspiel mit einem Transparent gefeiert wurde, dass ein
       Hamburger Polizist bei einer Übung in Mecklenburg-Vorpommern ums Leben
       gekommen war.
       
       Die Abneigung beider Fan-Szenen reicht zurück bis in die 90er-Jahre.
       Rostock galt vielen St.-Pauli-Fans schlicht als Nazi-Verein. Viele
       assoziierten mit der Stadt vor allem die [1][rassistischen Pogrome von
       Lichtenhagen], gegen die sie zum Teil selbst vor Ort demonstriert hatten.
       St. Pauli war dagegen für viele Rostocker ein Hort des Linksradikalismus,
       wo der gerade überwundene Sozialismus verherrlicht wurde. Abneigungen im
       Fußball haben die Eigenheit, sich zu verselbständigen und sich weit länger
       zu halten als die politischen Zuschreibungen, die ihnen mal zugrunde
       gelegen haben mögen.
       
       ## St. Pauli ist nun endgültig der Gejagte
       
       Von alledem werden die Akteure auf dem Platz allenfalls von Hörensagen
       wissen. Nur St. Paulis Trainer Timo Schultz hat als Aktiver in den
       Nullerjahren das eine oder andere Hass-Spiel miterlebt. Seine Spieler
       konnten das Spiel gegen die Rostocker als das betrachten, was es war: das
       Duell des Tabellenführers mit einem Aufsteiger.
       
       Nur in den ersten zehn Minuten ließen die St. Paulianer ihren Gästen
       höflich viel Raum, sodass die den Eindruck gewinnen konnten, hier gäbe es
       was zu holen. Doch nach zwei Kopfballtoren von Jackson Irvine und Kofi
       Kyereh wurde es ein sehr einseitiges Spiel. St. Pauli kreierte mit seiner
       sehr variablen Offensive und, wie Schultz sagte, „ungeheurer Spielfreude“
       zahlreiche Chancen und Rostock hatte praktisch keine.
       
       Als Mittelstürmer Guido Burgstaller endlich auch sein Tor gemacht hatte und
       der für ihn eingewechselte Simon Makienok nach wenigen Sekunden gar zum 4:0
       traf, sah es nach einer angemessenen sportlichen Antwort an die Hansa-Fans
       aus.
       
       In jedem Fall war es eine Ansage an die Verfolger in der Tabelle, denn St.
       Pauli ist nun endgültig der Gejagte. Die Fans besingen schon die
       Meisterschaft. „Das Lied gab’s auch schon in der Dritten Liga“, bleibt
       Trainer Schultz ganz trocken, „von daher sollten wir da nicht so viel drauf
       geben. Immerhin haben sie diesmal die zweite Strophe weggelassen, wo es um
       den DFB-Pokalsieg geht.“
       
       24 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Kahlcke
       
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