# taz.de -- Strategie rechter Populisten: Angststaubsauger mit Dreckschleuder
       
       > Die rechte Masche ist einfach und erfolgreich: Realängste vor einer
       > Pandemie oder der Klimakrise in neurotisch-paranoide Ängste
       > transformieren.
       
 (IMG) Bild: Wer ist hier giftig? Rechtspopulisten oder „Gutmenschen“?
       
       Ist Angst ein guter oder ein schlechter Ratgeber? Man sollte im Sinne von
       Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, zunächst Realangst,
       Gewissensangst und neurotische Angst unterscheiden.
       
       Realangst, etwa die [1][realitätsbezogene Angst vor dem Treibhauseffekt],
       einem Wassermangel, dem Artensterben, den Folgen des russischen
       Angriffskriegs oder einer lebensgefährlichen Infektion, ist sicherlich ein
       guter Ratgeber – auch wenn wir uns in Bezug auf den Klimawandel lange wie
       eine Person verhalten haben, die die regelmäßig wiederkehrenden lästigen
       Briefe vom Amt einfach in die unterste Schublade des Schreibtischs oder in
       den Papierkorb befördert und sich dann wundert, wenn plötzlich der
       Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.
       
       Die rechten Populisten befördern systematisch solche Mechanismen der
       Verleugnung und der Bagatellisierung gegenüber den Realängsten. Sie zeigen
       sich betont furchtlos, so als wären die Probleme nur von einigen
       hysterischen Personen, von der „Impfmafia“ oder den „Heizungsideologen“
       erfunden worden, über welche man sich durchaus lustig machen kann.
       
       Auch unsere Gewissensangst – die Angst, Unrecht zu tun – ist ein guter
       Ratgeber, wenn sie uns daran erinnert, dass wir eigentlich Kranke besuchen,
       Verletzte, Unbekleidete, Hungernde und [2][Verfolgte ohne Haus und Heimat]
       versorgen sollten. Besonders die Bilder verletzter, sterbender und
       gestorbener Kinder kann kaum jemand aushalten. Sie überwinden die Schranken
       der Hautfarbe und aller rassistisch begründeten, vorgeblichen Unterschiede.
       
       ## Pauschale Kriminalisierung und „woker Terror“
       
       Die Rechtspopulisten haben aber zahlreiche rhetorische Figuren erfunden, um
       die Gewissensregungen außer Kraft zu setzen. Dazu gehören die pauschale
       Kriminalisierung der notleidenden Gruppen, ihre Beschmutzung zum Beispiel
       als Migranten aus „shit hole countries“ (O-Ton: Donald Trump), die
       Verächtlichmachung der HelferInnen als „Gutmenschen“, und die Unterstellung
       eines [3][bedrohlichen Terrorregimes] der Political Correctness oder
       neuerdings „Wokeness“.
       
       Die Gewissensrepräsentanten erscheinen in diesen Erzählungen dann als
       „selbsternannte“ Oberlehrer und Elite, die uns jeglichen Spaß, zum Beispiel
       die Freude am schnellen Autofahren, verderben wollen. Die Demagogen
       erweisen sich dagegen als Protagonisten eines aggressiven kabarettistischen
       Humors, der auf Kosten von sogenannten Moralaposteln und von realen
       Minderheiten geht, die sich – mehr oder weniger wehleidig – über
       Diskriminierung beklagen.
       
       Der österreichischer ÖVP-Politiker Jochen Danninger sprach Anfang Juni 2023
       von einer unerträglichen Arroganz des „moralischen Hochadels“. „Die Grünen
       baden schon viel zu lange selbstherrlich in ihren realitätsfremden
       Vorstellungen, der politischen Korrektheit, wo man keinen ‚M*** im Hemd‘
       essen darf, jeder Satz mit Gender-Sternchen unleserlich gemacht werden
       muss, und die Kinder sich nicht mehr als Indianer verkleiden dürfen.“
       
       Die dritte Art von Ängsten sind die neurotischen Ängste, die sich auf unser
       teils lustvolles, teils brodelnd-aggressives Innenleben beziehen. Hier gibt
       es eine Angst vor seltsamen Gespenstern, monströsen Triebtätern, bösartigen
       Verfolgern und Unholden, welche wir zum Teil selbst sind. Unsere
       neurotische Angst ist mit einer Vielzahl von Hirngespinsten verbunden.
       Deshalb kann man sie auch neurotisch-paranoide Angst nennen.
       
       ## Die Ängste personalisieren
       
       Erfolgreiche Demagogen und Verschwörungstheoretiker arbeiten vor allem
       damit, dass die Realängste systematisch in neurotisch-paranoide Ängste
       transformiert werden. Die Ängste der Menschen werden von den Demagogen mit
       großer psychologischer Sensibilität aufgespürt, wie mit einem Staubsauger
       eingesammelt und mit den Hirngespinsten vermengt. Die Ängste werden dabei
       konkretisiert und personalisiert. Das heißt, es wird so getan, als ob es
       nur einige wenige dingfest zu machende Ursachen für die Angst gäbe, die von
       einer Gruppe beherzter Personen rasch beseitigt werden könnten, zum
       Beispiel durch den [4][Sturm auf das Machtzentrum].
       
       Und die Ängste werden personalisiert: Es wird so getan, als ob sich hinter
       den bedrohlichen Missständen eine steuernde Elite versteckt, die entmachtet
       und verfolgt werden muss. So sollen es die Freunde des US-amerikanischen
       Investors George Soros und andere finstere Figuren sein, die in den
       westlichen Ländern einen „großen Austausch“ der Bevölkerung planen, um die
       angestammten Bewohner des Landes zu schwächen.
       
       Der rechtspopulistische Staubsauger ist mit einer
       Dreckschleudervorrichtung versehen, die auf Personen und bestimmte Gruppen
       gerichtet wird. Bei der [5][Großversammlung unter dem Titel „Stoppt die
       Heizungsideologie“] im bayrischen Erding am 10. Juni stand der bayerische
       Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern am Mikrofon
       und versprach schreiend, dass man sich von den Regierenden „die Demokratie
       zurückholen“ werde. „Ihr habt’s wohl den Arsch offen da oben.“
       
       Markus Söder und die Kabarettistin Monika Gruber, die das Ganze organisiert
       hatte, standen eher hilflos daneben. Auch deswegen, weil die gesamte
       Veranstaltung auf einer ähnlich paranoiden Massenmobilisierung beruhte, wie
       sie dann im frenetisch geteilten Auftritt von Aiwanger deutlich wurde.
       Söder sprach dann noch von Personen, die uns zwingen wollen, nur noch vegan
       zu essen, und zwanghaft gendern wollen.
       
       ## Wie reagieren auf die Dreckschleuder?
       
       Jeder kleine Mann oder jede kleine Frau kann sich heute mithilfe der
       sozialen Medien als emotionaler Volksredner mit begeisterten Followern
       inszenieren, ungestraft gehässige Kommentare abgeben und die Bestrafung von
       Schuldigen verlangen. Der eruptive Einsatz der Dreckschleuder und der
       Austausch mit dem Publikum sind, wie der Fall Aiwanger zeigt, hochgradig
       lustvoll. Derlei findet ständig im ganzen Land statt.
       
       Wie kann man darauf antworten? Ein erster Reflex könnte es sein, den Dreck
       zurückzuschleudern. Viel schwieriger ist es, die im Hintergrund und in der
       Realität vorhandenen Missstände, Dilemmata und Lösungsvorschläge – wie bei
       der dringend notwendigen Umstellung unserer Heizungen – Schritt für Schritt
       in Ruhe zu erklären und plausibel zu machen. Wirtschaftsminister Robert
       Habeck ist für seine Bemühungen in dieser Richtung zu bewundern. Manchmal
       helfen aber auch nur Strafanzeigen.
       
       10 Aug 2023
       
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