# taz.de -- Streit über Bienenkiller: Umweltschützer:innen loben EuGH
       
       > Mitgliedstaaten dürfen die von der EU verbotenen Pestizide Thiamethoxam
       > und Clothianidin nicht zulassen. Das hat der Europäische Gerichtshof
       > entschieden.
       
 (IMG) Bild: Bienen und andere Insekten wird das EuGH-Urteil freuen
       
       BERLIN taz | Umweltschützer:innen haben begrüßt, dass der Europäische
       Gerichtshof mehrere Notfallzulassungen für eigentlich in der EU verbotene
       [1][Pestizide] gekippt hat. „Mit diesem Urteil wird nahezu der Hälfte der
       von den EU-Ländern gewährten Notfallzulassungen für verbotene Pestizide ein
       Riegel vorgeschoben werden“, sagte Hans Muilerman, Chemikalienbeauftragter
       des europäischen Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN Europe). Die Organisation
       hatte das Verfahren mit einer Beschwerde vor einem belgischen Gericht gegen
       Notfallzulassungen für die Pestizide Thiamethoxam und Clothianidin aus der
       Gruppe der Neonikotinoide in Gang gebracht.
       
       Eigentlich hat die EU 2018 verboten, Thiamethoxam und Clothianidin im
       Freiland auszubringen. Mehrere Studien hatten gezeigt, dass praxisübliche
       Mengen dieser Pestizide Bienen schädigen. Neonikotinoide können
       Expert:innen zufolge Insekten bereits bei einer niedrigen Dosierung
       lähmen, töten oder das Lernvermögen und die Orientierungsfähigkeit
       beeinträchtigen. Das betrifft nicht nur Bienen, sondern auch andere
       Insekten und Wasserorganismen. Da immer mehr Insektenarten aussterben,
       wollte die EU das nicht länger hinnehmen.
       
       Doch Belgien und andere Mitgliedstaaten erteilten mehrere
       Notfallzulassungen. Die EU-Pestizidverordnung erlaubt solche Ausnahmen,
       wenn sich eine „Gefahr“ nicht anders abwehren lässt. Die „Gefahr“ war zum
       Beispiel eine Blattlaus, die durch Saugen die Pflanzen mit verschiedenen
       Vergilbungsviren infiziert. Die Blätter verfärben sich gelblich, die
       Photosynthese stockt, und die Rübe verkümmert. Das kann die Ernte erheblich
       schmälern.
       
       Der EuGH bestätigt mit seinem am Donnerstag veröffentlichten Urteil nun,
       dass die giftigen Stoffe nicht eingesetzt werden dürfen. Das begründet er
       mit dem europäischem Vorsorgeprinzip. Dieses besagt, dass Pestizide schon
       verboten werden, wenn ihre Gefährlichkeit nur teilweise bewiesen ist.
       
       [2][Neonikotinoide] werden in der Landwirtschaft eingesetzt, um Pflanzen
       vor Insekten zu schützen. Oft wird bereits das Saatgut mit den Mitteln
       behandelt, weswegen anschließend die ganze Pflanze die giftigen Stoffe
       enthält. Vor allem Bienen nehmen das Gift dann über Blüten oder den Nektar
       der Pflanzen auf.
       
       Thomas Radetzki ist Imker und Vorstand der Aurelia Stiftung, die sich für
       den Erhalt der Artenvielfalt einsetzt – und zufrieden mit dem Urteil. Er
       sagt, dass es ein langer Kampf gewesen sei bis zu dem [3][Verbot der
       Pestizide 2021]. „Umso glücklicher bin ich jetzt darüber, dass das Gericht
       urteilt: ‚es war ernst gemeint‘“, sagte Radetzki der taz.
       
       Das Urteil sei „bahnbrechend“ und werde eine EU-weite Wirkung haben, sagen
       die Umweltorganisationen. Imker Radetzki kritisiert aber, dass das Urteil
       „hochspezifisch“ sei. Es betreffe nämlich nicht alle verbotenen Stoffe, für
       die es Notfallzulassungen gibt. Radekzki hofft aber, dass „eine moralische
       Wirkung“ von dem jetzigen Urteil ausgeht.
       
       ## Intransparenz bei Notfallzulassungen
       
       PAN Europe schreibt in einem [4][Bericht], dass zwischen 2019 und 2022
       Notfallzulassungen für 24 gefährliche Substanzen erlassen wurden, die
       eigentlich verboten sind. Insgesamt wurden demnach 236 Notfallzulassungen
       festgestellt, knapp die Hälfte davon für Neonicotinoide. Die meisten davon
       in Österreich, Finnland und Dänemark. In Deutschland seien es neun gewesen.
       Und nur eine Notfallzulassung für Neonicotinoide.
       
       Radetzki beklagt die [5][Intransparenz der Sonderzulassungen]. „Wir wissen
       gar nicht, welche Pestizide eingesetzt werden, obwohl sie schon verboten
       wurden“, sagt der Vorstand der Aurelia Stiftung. Zwar seien
       Sonderzulassungen wichtig, sie dürften aber nur dann eingesetzt werden,
       wenn sie verhältnismäßig und befristet sind.
       
       21 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://www.global2000.at/sites/global/files/PAN-Europe-Report_Banned-Pesticides_2023-Web.pdf
 (DIR) [5] /Pestizide-in-der-Europaeischen-Union/!5899656
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Burggraf
       
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