# taz.de -- Tarantino-Film "Inglourious Basterds": Sieg Hollywood!
       
       > Hitler goes kaputt: "Inglourious Basterds", Quentin Tarantinos neuer
       > Film, beendet den Zweiten Weltkrieg in einem Pariser Kinosaal.
       
 (IMG) Bild: "Koscheres Porno"? Donowitz (Eli Roth) und Raine (Brad Pitt) auf Nazijagd.
       
       Ein Wehrmachtsoffizier kniet auf dem Boden. Er sieht aus, wie man sich
       einen Musternazi vorstellt: kantiger Schädel, blaue Augen, blondes Haar.
       Die meisten Soldaten seiner Truppe liegen tot im Gras, einige von ihnen
       wurden skalpiert, ihre Schädel leuchten als rote Punkte auf grünem Grund.
       Um den Offizier herum verteilen sich die Männer von Aldo Raine (Brad Pitt),
       ein jüdisch-amerikanisches Kommando, das im deutsch besetzten Teil
       Frankreichs stationiert ist. Es ist das Jahr 1944. Raine verhört den
       Deutschen: "Wo ist die Stellung deiner Leute?" Der Wehrmachtsoffizier
       verrät nichts, auch dann nicht, als Donny Donowitz (Eli Roth) aus dem
       Dunkel einer Höhle tritt und dabei einen Baseballschläger schwingt. Raine
       freut sich: "Wenn Donny loslegt, dann ist das für uns, als gingen wir ins
       Kino." Was folgt, hat viel von einem Duell im Western. Die Musik stammt von
       Ennio Morricone, durch die Montage wird das Zusammentreffen von Donowitz
       und dem Deutschen spannungsreich hinausgezögert. Als es soweit ist, macht
       Donowitz seinem Spitznamen "Bärenjude" alle Ehre. Er prügelt den Mann
       buchstäblich zu Klump; die Kamera schaut hin, statt sich dezent abzuwenden.
       
       In Cannes, bei der Pressekonferenz zu Quentin Tarantinos neuem Film
       "Inglourious Basterds", fand der Darsteller des "Bärenjuden" einprägsame
       Worte. "Für mich ist der Film koscherer Porno", sagte Roth, der sich als
       Regisseur von Horrorfilmen ("Cabin Fever", "Hostel") einen Namen gemacht
       hat. "Etwas, wovon ich schon als kleines Kind Fantasien hatte." Ist
       "Inglourious Basterds" also eine jüdische Rachefantasie? Eine nachträgliche
       antifaschistische Wunscherfüllung im Gewand des B-Pictures, ausgeführt mit
       einer Verve, wie sie noch keines der im Augenblick so beliebten
       Geschichts-Movies an den Tag gelegt hat? Dafür spricht vieles - nicht
       zuletzt das grandiose Finale, in dessen Verlauf die Großaufnahme eines
       Frauenkopfs erst auf eine brennende Leinwand, dann in Rauchschwaden
       hineinprojiziert wird, während die Stimme dieser Frau sagt: "Dies ist das
       Gesicht der jüdischen Rache." Erinnyen gibt es nicht nur in der
       griechischen Mythologie, sie suchen auch Pariser Kinosäle heim.
       
       Manches wiederum spricht dagegen, in "Inglourious Basterds" einzig die
       Rachefantasie zu erkennen. Tarantino selbst gibt sich sybillinisch. "Ich
       kann verstehen, dass man das so sieht", sagte er in Cannes, "aber ich würde
       ihn in der Videothek nicht unbedingt unter dieser Rubrik einordnen." Was
       oberflächlich daran liegt, dass Raine und sein Kommando nur in wenigen
       Szenen so agieren, wie man es von einem blutigen Revenge-Movie erwartet (in
       diesen Szenen freilich haben weder sie noch die Kamera irgendwelche
       Hemmungen). Der Schauplatz des in fünf Kapitel gegliederten Films verlagert
       sich mit dem dritten Teil vom Schlachtfeld ins besetzte Paris und dort in
       ein Kino, sodass der Genremixtur - Tarantino kreuzt zunächst Kriegsfilm und
       Western - die Gesellschaftskomödie beigemengt wird. Filme wie "Quel
       maledetto treno blindato" (1978) von Enzo G. Castellari, Robert Aldrichs
       "The Dirty Dozen" (1967) oder Monte Hellmans "Ride in the Whirlwind" (1965)
       standen Pate, zugleich lässt sich ein gewisser Lubitsch-Touch nicht
       leugnen. Tarantino hat es ja schon immer verstanden, den Vorwärtsdrang des
       Genrefilms zu torpedieren, indem er die Figuren ausgedehnt über Gott und
       die Welt, Madonna und Hamburger, Fußmassagen und Race-Car-Filme meditieren
       ließ. Diesmal sind es Gespräche über G. W. Pabst, über Apfelstrudel und
       Milch, Winnetou und King Kong, mit denen "Inglourious Basterds" vom
       Fortgang der Handlung abschweift.
       
       Diese durch Einschübe und Rückblenden gestückelte Handlung besteht darin,
       dass die Nazielite die Premiere eines NS-Propagandafilms in Paris besuchen
       will. Den Männern von Aldo Raine bietet sich deshalb die Gelegenheit,
       Hitler, Goebbels, Göring und Bormann auf einen Schlag zu ermorden.
       Unabhängig voneinander verfolgen andere Figuren in Tarantinos Ensemblestück
       denselben Plan: die jüdisch-französische Kinobetreiberin Shosanna (Mélanie
       Laurent), deren Familie im ersten Kapitel des Films von einem Trupp SSler
       umgebracht wird, und ein cinephiler britischer Leutnant namens Hicox
       (Michael Fassbender), Experte für den deutschen Film der 20er-Jahre.
       
       Ihr größter Gegner ist der SS-Oberst Hans Landa (Christoph Waltz), in dem
       sich Brutalität und Gewandtheit zu einer stupenden Mischung vereinen.
       Fließend parliert er auf Französisch, Englisch und, in einer sehr
       vergnüglichen Szene, auch noch auf Italienisch, was wiederum Raine, der
       sich in ebendieser Situation als italienischer Stuntman ausgibt, in arge
       Bedrängnis bringt. Landa nötigt die Basterds, ihre falschen italienischen
       Namen mehrmals zu wiederholen. Der eine dehnt sein "Marghareti" ein paar
       Mal, der andere stößt sein "De Coco" wie eine Kampfansage hervor, während
       Raine es erst gar nicht schafft, etwas zu äußern, was auch nur annähernd
       italienisch klingt. Sein Südstaatenenglisch ist so breit, dass es sich auf
       seine Physiognomie übertragen hat (wenn Sie sich die großartige
       Vielsprachigkeit des Films nicht entgehen lassen wollen, schauen Sie bitte
       unbedingt die Originalfassung - die Synchronfassung überträgt das Englische
       ins Deutsche, was in mindestens zwei Szenen zu inhaltlichen Entstellungen
       führt).
       
       "Inglourious Basterds" greift kühn in den Lauf der Geschichte ein; der
       Spielfilm interessiert sich nicht für das, was war, und auch nicht für das,
       was plausiblerweise hätte sein können. Er giert auch nicht nach der
       Bedeutsamkeit des geschichtlichen Stoffs, um sich selbst Relevanz zu
       verleihen. Stattdessen erfindet er etwas, wovon man sich wünscht, dass es
       sich zugetragen hätte: einen geglückten Akt des Widerstands, der den Krieg
       beendet. Dani Levys Komödie "Mein Führer" hatte vor zwei Jahren eine
       ähnliche Absicht (Sylvester Groth gibt praktischerweise in beiden Filmen
       Goebbels), traute sich aber nicht, die Fantasie konsequent durchzuspielen.
       Tarantino hat erwartungsgemäß weniger Scheu. Von der
       Authentizitätshörigkeit deutscher Filmemacher ist er weit entfernt. Oliver
       Hirschbiegel und Bernd Eichinger verzichteten in "Der Untergang" darauf,
       den Selbstmord Hitlers ins Bild zu setzen, angeblich, weil es keinen
       unmittelbaren Zeugen und damit keine unmittelbare historische Quelle
       gegeben hat. Das trug ihnen zu Recht den Vorwurf ein, Hitler selbst postum
       noch Respekt zu zollen.
       
       Bei Tarantino ist von solchem Respekt erfrischenderweise nichts zu spüren.
       Hitler goes kaputt. So verwandelt sich im flirrenden Irrealis des
       B-Pictures die Ohnmacht, die man angesichts des realen Verlaufs der
       Geschichte empfindet, in Aggression und Selbstermächtigung. "Inglourious
       Basterds" bietet den Raum, diese Empfindungen auszuagieren. Das ist eine
       befreiende Erfahrung. Ihr von vornherein mit den Argumenten der Vernunft -
       Rache macht die, die sich rächen, ihrerseits zu Tätern - zu begegnen,
       unterdrückt die Empfindungen, bevor sie sich artikulieren können.
       
       An dieser Stelle bleibt Tarantinos Film jedoch nicht stehen. Er ist smart
       genug, den dialektischen Umschlag, der der Rachefantasie innewohnt, nicht
       auszublenden. Dass sich Donowitz umso stärker seinem Gegner anverwandelt,
       je hemmungsloser er den Baseballschläger schwingt, tritt deutlich zutage.
       "Inglourious Basterds" schwelgt zwar in einer Gewalt, die korrekt zu sein
       scheint, weil sie das richtige Objekt hat: die Nazis. Zugleich aber lässt
       der Film ins Genießen den Zweifel, ob das Genießen in Ordnung geht,
       einsickern.
       
       Wenn etwa der von Martin Wuttke konsequent als Kasperl angelegte Hitler
       wiehernd lacht, weil ihn die Schießereien im Film "Stolz der Nation" so
       anturnen, drängt sich die Frage auf, wo der Unterschied zwischen der
       Ballerei im NS-Propaganda-Machwerk (das übrigens von Eli Roth inszeniert
       wurde) und dem Halsaufschlitzen und Skalpieren der Basterds liegt. Und
       spätestens, wenn knapp 300 Menschen in einem brennenden Kino eingeschlossen
       sind, wenn sie panisch Richtung Tür drängen, werden noch einmal ganz andere
       Bilder aufgerufen. Dabei ist "Inglourious Basterds" nicht so bigott, sein
       Publikum erst mit Gewalt heißzumachen und ihm dann ein schlechtes Gewissen
       dafür einzureden. Eher existieren die Empfindungen nebeneinander: Zweifel,
       Freude, Erleichterung und Befreiung.
       
       Zu dieser Ambivalenz gesellt sich eine weitere - eine Freude an den
       Thrills, die der Faschismus bereithält. Wer in einschlägige
       Exploitation-Filme wie "Ilsa, She Wolf of the SS" von Don Edmonds (1975)
       oder "Love Camp 7" von Lee Frost (1969) hineingeschaut hat, hat eine
       Vorstellung von den billigen, sadistischen Thrills, von der unseligen
       Verquickung von Lüsternheit und faschistischer Machtausübung, wie sie sich
       im Begriff "Sadiconazista" artikuliert. "Inglourious Basterds" kopiert
       diese Form von Nazi-Pulp nicht, lässt sie aber mitschwingen.
       
       Tarantino selbst wurde im Umfeld der Berliner Premiere seines Films nicht
       müde zu betonen, wie sehr ihn das Werk Leni Riefenstahls beeindruckt hat
       und wie sehr er es genoss, in Babelsberg zu drehen - auf dem Gelände, auf
       dem auch Goebbels produzieren ließ. Dass diese Faszination sich auf den
       Film überträgt, lässt sich an dem Interesse ablesen, mit dem der Regisseur
       die Figur des Oberst Landa bedenkt. Dieser aasige Kerl drängt denjenigen,
       den man als Helden des Films wahrnehmen möchte, den Anführer der Basterds,
       rasch an den Rand. Landa, der SSler, ist die wirkliche Hauptfigur des
       Films, sein Zutun ist entscheidend für das Gelingen des Racheplans. Die
       kühne, antifaschistische Wunscherfüllung hat mit ihm einen faschistischen
       Flecken; Landa mischt sich ihr bei wie ein Tropfen Gift - bis mit der
       allerletzten Einstellung von "Inglourious Basterds" das Gegengift
       verabreicht wird.
       
       18 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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