# taz.de -- Tod unter Videoüberwachung: Suizid im Suizid-Schutzraum
       
       > Im Wolfenbütteler Knast bringt sich im Juni ein Häftling in einem
       > geschützten Haftraum um. Das Justizministerium ist in Erklärungsnot.
       
 (IMG) Bild: Besonders gesicherte Hafträume wie hier in der JVA des offenen Vollzugs in Berlin sollen Gefangene vor sich selbst schützen
       
       OSNABRÜCK taz | Ein Häftling hat sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA)
       Wolfenbüttel in seiner Zelle das Leben genommen. Sein Tod am 19. Juni, der
       erst Ende Juni bekannt geworden ist, wirft Fragen auf.
       
       Die Selbstgefährdung des Mannes war bekannt. Deswegen war er in einem
       sogenannten besonders gesicherten Haftraum (BgH) untergebracht worden –
       einer Zelle, die von Gittern umschlossen ist, damit die JVA-Mitarbeitenden
       jederzeit von außen Kontakt zum Gefangenen aufnehmen können und in der es
       nur eine Matratze und kein weiteres Mobiliar oder andere gefährdende
       Gegenstände gibt. Auch die dauerhafte Kameraüberwachung wurde angeordnet.
       Es half alles nichts. Er starb.
       
       „Wir bedauern den Tod des Gefangenen zutiefst“, schreibt Verena Brinkmann
       der taz. Sie ist die Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums in
       Hannover. Das Ministerium nehme den Vorfall „äußerst ernst“ und werde „den
       gesamten Vorgang aufarbeiten“.
       
       Auf Nachfrage gibt es aus dem Ministerium keine näheren Auskünfte über die
       genauen Todesumstände. In anderen Medien ist die Rede davon, der 35-jährige
       polnische Häftling habe sich mit Verbandsmaterial an den Gitterstäben der
       Zelle stranguliert.
       
       ## Offene Fragen
       
       Man bemühe sich, den gesetzlichen Auftrag der „sicheren Unterbringung“ zu
       erfüllen, so schreibt die [1][JVA Wolfenbüttel auf ihrer Website in ihrer
       Selbstdarstellung]. Dieses Bemühen hat hier offenbar nicht ausgereicht und
       nun stehen viele unbeantwortete Fragen im Raum.
       
       Eine dieser Fragen ist, ob menschliches Versagen den Suizid des Häftlings
       ermöglicht oder begünstigt haben könnte. Alle Justizvollzugsbediensteten
       würden „umfassend geschult und ausgebildet“, versichert Brinkmann. „Im
       Rahmen der Aufarbeitung dieses Einzelfalls werden die Schulungsinhalte
       gleichwohl nochmals überprüft.“
       
       Überbelegt ist die JVA derzeit nicht: Anfang Juli waren von 377 Haftplätzen
       326 belegt. Und mit 281 Bediensteten sei „das vorgesehene
       Beschäftigungsvolumen quasi vollständig genutzt“, erklärt Brinkmann.
       Dennoch können Justizmitarbeitende überlastet sein.
       
       „Die Bundesarbeitsgruppe für Suizidprävention berichtet seit 2000 von
       mindestens fünf Fällen solcher Art“, schreibt Christina Müller-Ehlers,
       Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe in
       Berlin, der taz. „Es sollten also Einzelfälle sein, da die Unterbringung in
       den besonders gesicherten Hafträumen dies ja gerade verhindern soll.“
       Insgesamt habe es 2023 [2][in deutschen Gefängnissen 96 Suizide gegeben] –
       die höchste Anzahl seit 2001.
       
       „Selbstgefährdende Personen sollten nicht in [3][besonders gesicherte
       Hafträume], sondern in klinische Einrichtungen verlegt und dort behandelt
       werden“, so Müller-Ehlers. Mehr noch: „Die Unterbringung in besonders
       gesicherten Hafträumen erfolgt immer wieder auch bei Personen, die
       eigentlich eine psychiatrische Behandlung benötigen, für die aber kein
       Behandlungsangebot besteht.“
       
       „Die Justizministerin muss erklären, wie es dazu kommen konnte“, schreibt
       Martina Machulla, CDU-Abgeordnete im niedersächsischen Landtag, in dieser
       Woche in einer Erklärung. Es habe in jüngster Zeit „zahlreiche Vorkommnisse
       in unseren Haftanstalten“ gegeben. „Der Suizid in kameraüberwachten
       Hafträumen, Einbringung illegaler Drogen, Alkoholkonsum im offenen Vollzug
       und die Flucht von Gefangen.“
       
       [4][Machulla bezieht sich auf zwei Vorfälle in der JVA Meppen] im Emsland:
       Häftlinge des offenen Vollzugs filmten sich beim unerlaubten Saufen und
       zuvor war ein Häftling auf Freigang entkommen – er wurde allerdings einen
       Tag später wieder einkassiert.
       
       „Wir müssen eine grundlegende Debatte über den Justizvollzug in
       Niedersachsen führen“, findet Machulla. Man müsse den Justizvollzug
       „komplett überprüfen“. Niedersachsens Justizministerin Karin Wahlmann (SPD)
       müsse „schnell ein Konzept vorlegen, wie sie den Justizvollzug wieder
       sicher machen will“.
       
       ## Probleme in allen Bundesländern
       
       Derweil ist die Staatsanwaltschaft Braunschweig am Zuge. „Wie bei allen
       Todesfällen in staatlicher Obhut wurde auch im vorliegenden Fall ein
       Todesermittlungsverfahren eingeleitet“, teilt Sascha Rüegg der taz mit.
       Rüegg ist Staatsanwalt und Sprecher der Braunschweiger Behörde. Die
       Obduktion des Verstorbenen habe nach dem vorläufigen Ergebnis keine
       Hinweise auf ein Fremdverschulden ergeben.
       
       Bundesweit besonders problemauffällig ist der niedersächsische
       Justizvollzug übrigens nicht. Aber das ist keine Entwarnung: „Die von
       Martina Machulla angesprochenen Probleme existieren in allen
       Bundesländern“, “ so Müller-Ehlers.
       
       Haben Sie suizidale Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche
       und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die nächste
       psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf an unter
       112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter
       [5][taz.de/suizidgedanken.]
       
       4 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://justizvollzugsanstalt-wolfenbuettel.niedersachsen.de/aktuelles/herzlich-willkommen-bei-der-justizvollzugsanstalt-wolfenbuttel-83393.html
 (DIR) [2] /Justizvollzug-in-Deutschland/!5957365
 (DIR) [3] /Suizidpraevention-im-Gefaengnis/!5974298
 (DIR) [4] /Nach-Alkoholparty-in-der-JVA-Meppen/!6014826
 (DIR) [5] /Hilfsangebote-bei-suizidalen-Gedanken/!6009869
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
       ## TAGS
       
 (DIR) JVA
 (DIR) Justizvollzugsanstalt
 (DIR) Justizvollzug
 (DIR) Wolfenbüttel
 (DIR) Suizid
 (DIR) Haft
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) JVA
 (DIR) Maßregelvollzug
 (DIR) Suizidhilfe
 (DIR) Suizidversuch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Urteil gegen Justizvollzugsbeamten: Ungerechtfertigte Schläge
       
       Ein Beamter einer Hamburger Justizvollzugsanstalt steht wegen
       Körperverletzung eines Häftlings vor Gericht. Das Urteil: über 11.000 Euro
       Geldstrafe.
       
 (DIR) Berliner Maßregelvollzug: Tod im Isolierraum
       
       Trotz einer 24-Stunden-Überwachung ist ein Patient des Maßregelvollzugs im
       Isolierraum erstickt. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft zu dem
       Todesfall.
       
 (DIR) Umgang mit Suizid in den Medien: Rufen Sie bitte später zurück
       
       Medien fügen meist einen Hinweis zur Telefonseelsorge an, wenn sie über
       Suizid berichten. Die hilft Menschen in akuten Krisen aber nur bedingt.
       
 (DIR) Suizidprävention im Gefängnis: Schützende Räume
       
       Die Suizidrate in Gefängnissen ist allgemein hoch. In der JVA Moabit wird
       jetzt modellhaft ein Raum eingerichtet, der Selbsttötungen verhindern soll.