# taz.de -- US-Serie "Boardwalk Empire": Halbe Gangster? Gibt es nicht
       
       > Prohibition, Whiskey-Schmuggel und verbrecherische Politiker: Am Mittwoch
       > startet das US-Epos "Boardwalk Empire" im deutschen Fernsehen (Mittwoch,
       > 20.15 Uhr, TNT).
       
 (IMG) Bild: Auf dem Flanier-Pier von Atlantic-City verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse.
       
       Wenn es eine anrührende Geschichte über die Geburt des organisierten
       Verbrechens bräuchte, wäre es diese hier. Frühchen unter 1.500 Gramm im
       Ladenlokal an der Promenade begaffen kostet 25 Cent pro Nase, der Strand
       ist immer nah - und ein gewisser Al Capone ist noch ein aus Chicago
       zugereister Italoamerikaner mit eher schlichten Ambitionen. Willkommen in
       Atlantic City, wo es trotz der eben eingeführten Prohibition immer noch
       mehr als genug Whiskey gibt. Geradezu gesittet geht es zu für einen
       Mafiafilm, was vielleicht auch daran liegt, das "Boardwalk Empire" streng
       genommen gar keiner ist.
       
       Hier organisiert das Verbrechen die demokratisch gewählte Stadtverwaltung
       selbst, die Kants kategorischen Imperativ in seine konsequent-optimistische
       US-Version überführt: Tu das, was dir nützt, es tut dann auch den anderen
       gut. Die Grenzen zwischen Gut und Böse, Illegalem und Erlaubten werden
       immer ungenauer. Und die Mittel heiligt sowieso der Zweck. Selten kam
       nackte Gewalt so pragmatisch daher.
       
       Politiker, kein Gangster 
       
       Nicht, dass es hier an der Küste von New Jersey keine Probleme gäbe: Denn
       es ist nun mal dieser verflixte 17. Januar 1920, an dem pünktlich um
       Mitternacht die vom US-Kongress beschlossene Prohibition in Kraft tritt.
       Und längst nicht alle sind so gut darauf vorbereitet wie Enoch "Nucky"
       Thompson, der sein Netzwerk aus offiziellen und nicht ganz so legalen
       Gestalten längst auf die neuen Zeiten eingeschworen hat: Der "Canadian
       Club"-Whiskey kommt jetzt eben als Schmuggelware über den See und wird
       etwas teurer, aber sonst ist (fast) alles beim Altem.
       
       Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der ehrenwerte Nucky Thompson ist
       keinesfalls ein Gangster oder auch nur eine höchst zwielichtige Gestalt. Er
       ist ein politischer Mover und Shaker, der als überzeugter Republikaner die
       altehrwürdige Position des städtischen Kämmerers nur etwas anders,
       großzügiger interpretiert. Zum eigenen Wohl wie zu dem der Gemeinde: Nucky
       hält die Hand auf, und jeder tut gern etwas hinein. Vom Großhotelier bis
       zum obersten Skipper der örtlichen Fischfangflotte. Dass die Polizei von
       Atlantic City auch noch von Nuckys Bruder Elias geführt wird, ist blanker
       Zufall, aber hilft ungemein.
       
       Doch mit dem Alkoholverbot brechen neue Zeiten an in dem verwöhnten
       Urlaubs- und Amüsierort der Reichen wie weniger Betuchten. Denn auch den
       "echten" Gangstern aus Chicago und New York ist die strategisch günstige
       Lage von Atlantic City aufgefallen, und sie wollen mitspielen auf diesem
       großen Spielplatz an der Ostküste, in diesem Vegas, bevor es Las Vegas
       wirklich gab.
       
       "Boardwalk Empire" - der berühmte Plankenweg, die Promenade von Atlantic
       City stand als Namengeber Pate - zeigt die untergegangene Pracht der
       "Roaring Twenties" mit einer Brillanz und Detailversessenheit, wie es so
       nur bei amerikanischen Pay-TV-Sendern möglich ist. Es sind epische Bilder,
       die einen umhauen. Und ein Drehbuch, dass anders als bei deutschen
       Ausstattungshöchstleistungen wie der am Wochenende bei RTL laufenden
       "Hindenburg"-Luftschiffsaga nicht gegen das Setting abfällt.
       
       HBO schlägt zurück 
       
       Produziert wird "Boardwalk Empire" vom Kabelkanal HBO. Der war früher
       ungekrönter König des großen Kinos im Fernsehen - musste zuletzt aber
       hinter der Werbeleute-Serie "Mad Men" vom Konkurrenzkanal AMC
       zurückstecken. "Boardwalk Empire" ist jetzt der gelungene Versuch, die
       Spitzenposition zurückzuholen.
       
       Und dafür ist nichts zu teuer: Martin Scorsese hat beim Pilotfilm Regie
       geführt und damit Stil wie Charakter für die gesamte Serie vorgegeben. 60
       Millionen Dollar sollen allein die ersten 13 Folgen gekostet haben. Und
       dass mehr als ein Hauch des HBO-Erfolgs "Sopranos" über der Serie liegt,
       ist natürlich auch kein Zufall. "Sopranos"-Autor Terence Winter hat auch
       "Boardwalk Empire" geschrieben, man stolpert schon im Pilotfilm ständig
       über Verbindendes. Steve Buscemi, der als "Nucky" Thompson "Boardwalk
       Empire" fast allein trägt, hat bei drei Folgen der "Sopranos" Regie geführt
       und in späteren Staffeln Tony Sopranos Cousin Tony Blendetto gespielt.
       
       HBO setzt mit der Serie auf einer realen Story auf: Enoch Lewis "Nucky"
       Johnson (1883-1968) war in den 1920er- und 1930er-Jahren tatsächlich für
       die Finanzen von Atlantic City wie für die Verbindung zum organisierten
       Verbrechen zuständig, großer Whiskeyschmuggler, großer kommunaler Wohltäter
       und republikanischer Deal-Maker, bis er 1941 wegen Steuerhinterziehung
       hinter Gitter musste. Wie sein reales Vorbild lebt auch der Film-Nucky
       nicht zu Hause im bescheidenen Eigenheim, sondern in einer luxuriösen
       Zimmerflucht des Ritz-Carlton Hotels direkt am Boardwalk. "Macht" Richter
       und Bürgermeister, schlägt sich mit den FBI-Agenten herum, die versuchen,
       die Prohibition durchzusetzen. Und trauert seiner verstorbenen Frau Mabel
       nach.
       
       Doch "Boardwalk Empire" ist gerade keine Verfilmung des Lebens des echten
       Nucky Johnson. Bei allen "Sopranos"-Anklängen ist die Serie auch beileibe
       kein bloß zeitlicher "Vorläufer" für die psychologisch leicht aus dem Lot
       geratene ehrenwerte Soprano-Familie. Und "Boardwalk Empire" ist schon gar
       kein düster-klassisches Mafia-Epos, das sich ständig Richtung "Der Pate"
       verbeugen müsste. HBO ziegt hier eher eine ganz eigene Variante des
       American Dream, des Glaubens an die eigene Schaffens- und
       Durchsetzungskraft der Menschen, ihrem - zum guten Teil eben höchst
       illegalen, aber verfassungsmäßig festgeschriebenen - Pursuit of Happiness.
       "I wish you luck, but you don't seem to need it", sagt Steve Buscemi als
       Nucky Thompson zu den zugereisten jungen Gangstern aus New York. "We make
       our luck ourselves", lautet deren nüchterne wie bitterernste Antwort.
       
       Wenn sich Buscemi in der Anlage seiner Rolle des Nucky überhaupt vor
       jemandem verbeugt, dann vor dem anderen ganz großen Knautschgesicht: Wenn
       er seinem Fahrer und Handyman Jimmy, der eben traumatisiert aus dem Ersten
       Weltkrieg zurückgekehrt nur noch töten will, sein "You got brains kid, you
       gotta future" entgegennuschelt, hat das mehr als nur ein bisschen von
       Humphrey Bogart.
       
       Böses als Mittel zum Guten 
       
       Buscemis Rolle lebt, wie der ganze Film, von der ewigen Frage nach Gut und
       Böse, und bei aller Farbigkeit liegt ein entschiedenes Grau über seinem
       Charakter. Denn man nimmt diesem Nucky Thompson ab, dass für ihn das Böse
       eigentlich nur Mittel ist, um das Gute zu erreichen - natürlich unter der
       Prämisse, dass das ganze Leben ein Geschäft und für Geld alles zu haben
       ist.
       
       So hält er gleich zu Beginn von "Broadwalk Empire" erst vor den
       rechtschaffenen Damen der Stadt eine rührende Rede für die Prohibition und
       macht sich für das 1920 noch nicht eingeführte Frauenwahlrecht stark. Um
       gleich danach die nötigen Vorkehrungen zu treffen, dass der Alkohol weiter
       fließt. Bei aller Abgezocktheit trauert er zutiefst verletzt und rührend
       menschlich seiner vor sieben Jahren verstorbenen Frau nach und kann es
       nicht ausstehen, wenn ihn seine heutigen Geliebten beim Sex "Cowboy"
       nennen.
       
       "You can't have dead bodies lying about in the road. It's bad for business"
       sagt Nucky nüchtern, nachdem Jimmy den neuen Gegnern aus New York eine
       Whiskey-Fuhre wieder abgenommen hat. Doch die Tage dieses kleinen Königs
       von Atlantic City, der freigiebig den Armen hilft und hier und da
       Robin-Hood-Statuts genießt, sind gezählt. "You can't be half a gangster,
       Nucky", sagt Jimmy am Schluss der ersten Pilotfolge, "not anymore".
       
       2 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Grimberg
       
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