# taz.de -- Überraschungsteam Atletico Madrid: Überleben und siegen
       
       > Diego Pablo Simeone, der Trainer von Atletico Madrid, steht für
       > altbackene Ideale. Damit macht er selbst Real und Barça das Leben schwer.
       
 (IMG) Bild: Auch in der Hocke erfolgreich: Trainer Diego Pablo Simeone
       
       MADRID taz | Der Spitzname gehört zu einem argentinischen Fußballer wie das
       Silikon zur Spielerfrau. Eher ungewöhnlich ist allerdings, dass er gleich
       eine Ideologie bezeichnet. Was nicht mal Diego Maradona – „El Diez“, „El
       Pelusa“, „El Pibe de Oro“ – gelang, kann nun Diego Pablo Simeone – „El
       Cholo“ – für sich reklamieren.
       
       Spätestens indem die spanische Sprachakademie kürzlich den „Cholismo“ auf
       ihre Auswahlliste zum Wort des Jahres setzte, wurde sein Wirken
       gewissermaßen zum Kulturerbe erklärt.
       
       Es ist ja auch wirklich eine Quadratur des Kreises, die Simeone da mit
       seinem Cholismus gelungen ist: Der Trainer von Atlético Madrid hat mit
       seiner Elf die vermeintliche Unausweichlichkeit der „spanischen
       Verhältnisse“ überwunden. Am Samstag empfängt man den punktgleichen FC
       Barcelona zum Spitzenspiel, der Lokalrivale Real wurde auswärts geschlagen
       und ist bereits um fünf Punkte abgehängt.
       
       Dabei beträgt der Saisonetat nur rund ein Viertel der zwei Riesen. Nicht
       mal die Gehälter des VfL Wolfsburg kann das verschuldete Atlético bezahlen,
       sonst wäre der einst ausgeliehene Spielmacher Diego längst wieder in
       Madrid.
       
       ## 21 Trainer seit der letzten Meistersaison 1995/96
       
       Der 106-malige Auswahlspieler Simeone kam mit Jahresbeginn 2012 zu seinem
       einstigen Klub Atlético zurück, auf Anhieb wurde die Europa League
       gewonnen, im Jahr darauf der spanische Pokal durch einen Finalsieg gegen
       Real in dessen Stadion. Für einzelne Highlights war der gefühlige
       Arbeiterklub aus dem ärmeren Süden der Hauptstadt allerdings immer schon zu
       haben.
       
       Für Verlässlichkeit weniger: Simeone ist der 21. Trainer seit der letzten
       Meistersaison 1995/96. „Hoffentlich wird der Cholo der Ferguson von
       Atlético und bleibt 25 Jahre“, sagt Linksverteidiger Filipe Luís, „aber
       wenn er geht, wird man seine wahre Handschrift in dieser Mannschaft erst
       richtig sehen. Er hat praktisch alles verändert.“
       
       Der Cholismus also. Streng genommen handelt es sich um eine Ansammlung von
       Aphorismen und Imperativen, die sich größtenteils auf Charakter, Teamgeist
       oder Arbeitseinstellung beziehen und deren berühmteste Losung lautet: „Wir
       müssen von Spiel zu Spiel denken.“ Neulich erhöhte er sie sogar zu einer
       Metapher auf die Gesellschaft: „Von Spiel zu Spiel ist das Leben jeder
       beliebigen Person auf der Straße. Wir sehen uns in vielen Leuten
       reflektiert, die jeden Tag aufs Neue kämpfen und machen und tun müssen, um
       durchzukommen.“
       
       Der Fight gegen Real Madrid und Barcelona als Parabel auf ein Volk in der
       Wirtschaftskrise, wo immer mehr Menschen im Müll nach Essen wühlen und
       Zeitarbeit oft das Höchste der Gefühle ist. Atléticos Identität war gewiss
       nie stärker.
       
       ## Underdog-Kultur des Cholismus
       
       Wie im täglichen Überlebenskampf gilt es auch bei Simeone erst mal, sich zu
       verteidigen. Das Prunkstück seiner Elf ist die Defensive mit Abwehrkette,
       Doppelsechs sowie unermüdlich nach hinten arbeitenden Angreifern, darunter
       der robuste Topstar Diego Costa. Zur Underdog-Kultur des Cholismus gehört,
       dass der Fußball eher konterkulturell daherkommt, jedenfalls wenn man das
       Kurzpass-Ideal des FC Barcelona oder der spanischen Nationalelf heranzieht.
       
       Simeones Atlético spielt so kratzbürstig wie er früher selbst im defensiven
       Mittelfeld. Es werden Räume eng gemacht und auf Fehler des Gegners
       gelauert, es gibt taktische Fouls und besonderes Augenmerk auf
       Standardsituationen, derweil der Ball ruhig, so wie zuletzt am Dienstag im
       Pokal bei Valencia (1:1), zu 70 Prozent dem Gegner gehören darf. Für
       Simeone ist die Sache klar: „Du wirst immer mehr mit dem Charakter gewinnen
       als mit gutem Fußball.“
       
       Die Opferbereitschaft, die er einfordert, lebt Simeone selbst vor. Den Job
       bei seinem Herzensklub übernahm er, obwohl seine Frau und seine drei Söhne
       in Buenos Aires blieben. Als er seinem Jüngsten sagte, er gehe nach
       Spanien, wünschte dieser ihm allen Misserfolg dieser Welt.
       
       Danach sieht es nun allerdings gerade gar nicht aus. Der Cholismus ist auf
       dem Siegeszug, auch wenn das spanische Wort des Jahres am Ende „estrache“
       wurde – es bezeichnet Stand-up-Demonstrationen vor den Häusern korrupter
       Politiker. Ist ja auch eine wichtige Sache.
       
       11 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Florian Haupt
       
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