# taz.de -- Unpolitisches Olympia-TV: Ist das etwa nicht lustig?
       
       > ZDF und ARD haben zu Politischem in Sotschi kaum etwas zu sagen. Lieber
       > verlegt man sich auf Putziges – und preist obskure Maskottchen.
       
 (IMG) Bild: ZDF-Maskottchen Wotschi: Für den Namen kann der Plüschwolf nichts, den haben die Zuschauer per Abstimmung ausgewählt.
       
       Kennen Sie Ron Burgundy? Diesen stets unverschämt gut frisierten, doch
       recht tumben Moderator aus den siebziger Jahren, den Will Ferrell in seiner
       Komödie „Anchorman“ mimt? Ganz zu Beginn des Films präsentiert Burgundy in
       den Hauptnachrichten einen Channel-4-Exklusivbeitrag mit Nutty, dem
       Eichhörnchen – es fährt Wasserski. Burgundy lacht. Toller Beitrag.
       
       Der Zuschauer wird ins Setting des Films eingeführt. Er weiß nun: Die Zeit
       damals war lustig, aber dämlich, nun ja, so waren sie halt, die Siebziger,
       „damals glaubten die Menschen noch alles, was im Fernsehen berichtet
       wurde“, wie es im Vorspann heißt.
       
       Gut, dass das heute ganz anders ist, wenn Katrin Müller-Hohenstein für das
       ZDF aus Sotschi berichtet und einen Plüschwolf in die Kamera hält: „So,
       liebe Zuschauer, den kennen Sie schon: Das ist Wotschi, das
       ZDF-Olympiamaskottchen. Es gibt aber tatsächlich auch ein offizielles
       olympisches Maskottchen hier in Sotschi und das sieht so aus.“ Schnitt.
       Danach: Ein großer weißer Plüschbär versucht, in ein Auto einzusteigen.
       „Ein Bär, wahrscheinlich ein Eisbär“, flötet Müller-Hohenstein aus dem
       Hintergrund.
       
       Wahrscheinlich hat sie mit ihrer scharfen Beobachtung recht. „Und nachdem
       es heute so furchtbar geregnet hat, wollte dieser Bär also gerne mal mit
       dem Auto fahren, und Sie sehen schon, das ist gar nicht so einfach, wenn
       man so einen großen Kopf hat. Da müssen ein paar Freiwillige her, und die
       versuchen dann, von vorne zu schieben und von hinten zu ziehen, und es geht
       und geht aber nicht.“
       
       Das ist ja fast so witzig, als würde ein Eichhörnchen Wasserski fahren.
       Schön, dass die Geschichte mit dem Bären, der weiß und deswegen vermutlich
       ein Eisbär ist, dann doch gut ausgeht – und KMH, wie sie kürzelnd genannt
       wird, fröhlich den Beitrag zu Ende betexten kann. „Also: vorne raus, hinten
       rein, quer auf die Bank gelegt. Tür zu.“ Sie lacht. Humor ist ja, wenn man
       trotzdem lacht. „Und fertig.“
       
       ## Infantiler Beitrag
       
       Na gut, man muss wohl bei täglich dreizehn Stunden Liveprogramm auch mal
       einen derart infantilen Beitrag über sich ergehen lassen. Es sollen ja
       schließlich alle Zuschauer abgeholt werden, auch die, die um diese Zeit
       eigentlich „Leute heute“ erwarteten. Aber das wird es doch nun gewesen
       sein. Zurück zum Sport. Oder zum Wetter.
       
       Doch nicht mit dem ZDF und KMH, die im Anschluss gleich noch „eine andere
       tierische Geschichte“ auf Lager haben: „Wenn Sie ein Hundefreund sind, dann
       wird Ihnen diese Geschichte sehr zu Herzen geht.“ Wenn nicht, grämen Sie
       sich nicht. Allzu herzerwärmend ist die Geschichte dann doch nicht. Sie ist
       eigentlich sogar recht simpel: Der US-Amerikaner Gus Kenworthy,
       Silbermedaillengewinner im Slopestyle, hat fünf streunende Hunde, die in
       der Nähe des Pressezentrums wohnen, in sein Herz geschlossen. Und deshalb
       will er sie mitnehmen in die USA. Ende der Story. Der Beitrag dauert, und
       zwar drei Minuten.
       
       „Auch das ist Olympia“, sagt KMH und lächelt. Das ist der sichere Grund,
       auf dem sich die Moderatorin des „Aktuellen Sportstudios“ gerade bewegt.
       Ganz anders agiert sie bei all diesen negativen Beiträgen, die es auch hin
       und wieder an- und abzumoderieren gilt, die sie fast angewidert
       wegzudrücken versucht.
       
       Kaum ist ein Einspieler über die unwürdige Behandlung von Umgesiedelten
       oder die Zerstörung der Umwelt oder die horrenden Kosten oder die
       Verfolgung von Homosexuellen (und Eigensinnigen) beendet, folgt die
       typische Überleitung à la KMH: Jetzt aber mal wieder zu etwas Schönerem.
       Zum Sport. Zum Wetter. Oder zu Hunden.
       
       ## Sehr geringe Dosen
       
       Wobei das jetzt kein ZDF-Bashing sein soll. Denn Michael Antwerpes macht
       das bei der ARD kaum besser. Warum scheint es so, als schämten sich die
       ModeratorInnen fast für derlei Beiträge? Gerade das öffentlich-rechtliche
       Fernsehen ist doch gefordert, auf Politisches zu verweisen – wenn schon das
       Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht den Mut dazu hat. Auf jeden
       dieser Beiträge – die ja in sehr geringen Dosen, aber immerhin gezeigt
       werden – müssten die Sender doch stolz sein.
       
       Aber es wirkt nicht so. Stattdessen feiert ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz
       die hohen Quoten – trotz dieser ganzen Negativberichte im Vorfeld. Fast
       neun Millionen schauten bei der Eröffnungsfeier vor zwei Wochen zu, das
       Rodel-Einsitzer-Finale der Männer sahen – trotz mangelnder Spannung – 9,2
       Millionen, und selbst die Biathlon-Mixed-Staffel vorgestern erreicht
       nachmittags um halb vier deutlich mehr als fünf Millionen Menschen in
       Deutschland. Der Zuschauer könne „offenbar trennen zwischen der schwierigen
       Gesamtsituation der Spiele in Sotschi und ihrer sportlichen Attraktivität“,
       so Gruschwitz. Der eigenen Moderatorin scheint das schwerer zu fallen.
       
       Aber jetzt mal rüber zu etwas Erfreulichem: Rudi Cerne etwa, der beim ZDF
       deutlich souveräner durchs Programm führt: Die „Aktenzeichen XY“-Schule
       scheint sich auszuzahlen, auch kritische Berichte hält er aus. Die
       Kommentierung der Sportereignisse ist zumeist angemessen mitreißend bei
       möglichen deutschen Erfolgen.
       
       Alexander Bommes, der Mann vom NDR, der im Ersten eigentlich nur die
       Nachrichtenblöcke moderiert, bringt Humor und Lässigkeit mit, die Gerhard
       Delling vor langer Zeit auf einem Moderationspult, an dem er einst
       gemeinsam mit Günter Netzer stand, liegen gelassen haben muss. Außerdem
       verheben sich ARD und ZDF diesmal nicht daran, krampfhaft Bezug zu
       Social-Media-Aktivitäten aufzubauen, kein „Was sagt eigentlich die
       Netzgemeinde dazu?“ – Gott sei Dank.
       
       Und da sind ja noch die Livestreams von ARD und ZDF: Oasen der Erholung.
       Keine Moderationen, sonst nur selten zu hörende Kommentatoren. Die leider
       nur im Internet zu sehenden Übertragungen sind der „Eurosport“-Ersatz bei
       diesen Spielen. Sport pur. Das ist häufig wohltuender als dieser verschämte
       Blick, mit dem vermeintlich negativ besetzte, aber unbedingt notwendige
       Themen leider allzu häufig abqualifiziert werden. Jetzt aber wieder zu
       etwas Fröhlichem. Wo ist Wotschi? Ach, der fährt Wasserski. Da schalten wir
       doch gleich mal hin, meine Damen und Herren.
       
       21 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürn Kruse
       
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