# taz.de -- Urteil gegen taz-Autor: Pressefreiheit auf Bewährung
       
       > Für seine Berichterstattung über die IAA-Proteste betrat ein taz-Reporter
       > ein besetztes Haus in München. Dafür wurde er nun verurteilt.
       
 (IMG) Bild: München, 10. September 2021: Polizeieinsatz vor einem besetzten Haus in der Karlstraße
       
       MÜNCHEN taz | „Man muss sich mit Verfahren nicht leicht tun“, sagt Thomas
       Müller zu Beginn seiner Urteilsbegründung, und ganz offensichtlich war
       dieses ein Verfahren, mit dem er sich nicht leicht tat. Gerade hat er den
       taz-Journalisten Michael Trammer und vier junge Klimaaktivisten schuldig
       gesprochen. Schuldig des Hausfriedensbruchs.
       
       Die Aktivisten hatten im Rahmen der [1][Proteste gegen die Internationale
       Automobilausstellung im vergangenen September] ein Haus in der Münchner
       Innenstadt besetzt. Trammer hatte darüber berichtet – und war ihnen dafür
       ins Haus gefolgt. Und das, so der Richter, gehe halt nicht.
       
       Zugleich lässt er deutlich seine Sympathie mit den Motiven der Angeklagten
       erkennen und zwischen den Zeilen durchblicken, dass er sich eigentlich von
       Seiten der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens gewünscht
       hätte. Doch diesen Gefallen wollte ihm der Staatsanwalt nicht tun, obwohl
       auch der zugab, dass es hier eigentlich um recht harmlose Vorwürfe ging.
       Gegen Hausbesetzer fährt man in Bayern traditionell besonders schwere
       Geschütze auf.
       
       Der Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft auch hier ein Zeichen setzen
       wollte, ist nicht vollends abwegig. Auch hätte es gar nicht zu Ermittlungen
       kommen müssen: Hausfriedensbruch ist ein sogenanntes Antragsdelikt, nur
       weil der Hauseigentümer, der Freistaat Bayern, Strafantrag stellte, wurden
       die Behörden tätig.
       
       ## Auch der Richter räumt ein: Es geht um eine Bagatelle
       
       Er selbst habe sich nun zwischen einem Freispruch, wie ihn die Verteidiger
       der Angeklagten gefordert hatten, und einem Schuldspruch entscheiden
       müssen, erklärte Richter Müller. Und obwohl er die Angeklagten schuldig
       spricht, weicht er dann bei der Strafzumessung weit von der Vorstellung der
       Staatsanwaltschaft ab. Strafen von 40 bis 60 Tagessätzen hatte diese
       gefordert. Müller belässt es – außer im Fall eines schon vorbelasteten
       Aktivisten – bei einer Verwarnung mit einer einjährigen Bewährungsfrist.
       
       Eine Strafe würde erst fällig, sollten die Verurteilten sich in dieser Zeit
       etwas zuschulden kommen lassen. Und selbst dann wäre sie noch deutlich
       niedriger als vom Ankläger gefordert; in Trammers Fall beispielsweise 450
       statt 1.000 Euro.
       
       Die Szene mutet schon etwas skurril an: Die Verhandlung findet wegen des
       vermuteten großen Andrangs im Gerichtssaal A101 statt. Hier wurde
       beispielsweise der NSU-Prozess verhandelt, auch der Mord an Rudolph
       Moshammer. Diesmal dagegen geht es um eine Bagatelle, wie der Richter
       selbst sagt, etwas, was am untersten Rahmen dessen anzusiedeln sei, was man
       überhaupt als Hausfriedensbruch werten könne. „Sie sind ja nicht in ein
       Wohnzimmer und haben da beim Mittagessen in die Suppe gespuckt.“
       
       In der Tat nicht. Das Haus, dessen Frieden Trammer und die Klimaaktivisten
       gebrochen haben sollen, stand leer. Die Aktivisten waren in der Nacht auf
       den 10. September in der Karlstraße in das Gebäude eingedrungen, offenbar
       durch ein offenstehendes Fenster. Mittels ausgehängter Türen hatten sie
       sich dort notdürftig verbarrikadiert. Als am nächsten Tag gegen Mittag ein
       Demonstrationszug der IAA-Gegner an dem Haus vorbeikam, hängten sie
       Transparente aus den Fenstern, brannten Rauchtöpfe ab, eine Frau seilte
       sich ein paar Meter aus einem der Fenster ab.
       
       ## Einblick ins Innenleben des Richters
       
       Trammer, der durch einen Tipp auf die Aktion aufmerksam gemacht worden war,
       kam in der Nacht ebenfalls zu dem Haus, begleitete die Aktivisten und
       berichtete [2][auf Twitter] und [3][taz.de]. Zuvor hatte er sich noch
       schnell kundig gemacht, dass das Haus dem Freistaat gehört und schon seit
       längerem nicht mehr genutzt wird. Er habe, so schildert es der Journalist
       vor Gericht, blitzschnell eine Abwägung treffen müssen: „Überwiegt das
       öffentliche Interesse oder lass ich das und gehe?“ Aus seiner Sicht habe
       das öffentliche Interesse an einer freien Berichterstattung dann aber das
       unerlaubte Betreten des Grundstücks gerechtfertigt. So plädiert denn auch
       sein Verteidiger, mit einem höher zu wertenden Grundrecht.
       
       Eine Argumentation, der Richter Müller nicht folgen will. Edle Motive
       stellten einen nicht straffrei, befindet er. Trammer hätte sich für seine
       Berichterstattung nicht stundenlang in dem Haus aufhalten müssen.
       Gleichzeitig betont der Richter aber auch den hohen Wert der Motive sowohl
       des Journalisten als auch seiner Mitangeklagten und lässt ungewöhnlich tief
       in sein richterliches Inneres blicken, erklärt, wie er zu der
       Urteilsfindung gelangt sei, was ihn dabei bewegt hat.
       
       „Ich verstehe Ihre Frustration und Wut“, sagt er. Und dass Protest für eine
       plurale Gesellschaft sehr wichtig sei. Dann seufzt er, kruschtelt
       ausführlich in seinen Akten, redet schließlich von Donald Trump und davon,
       wie dieser der Freiheit von Presse und Justiz geschadet habe, auch davon,
       dass wir ja alle mal jung gewesen seien und dass er einen Vogel kriege,
       wenn mal wieder so ein internationaler Klimagipfel stattfinde und am Ende
       doch wieder nichts passiert. „So geht's halt einfach nicht weiter.“ Und ein
       Stück weit sei es ja auch gewünscht, dass die jüngere Generation Rabatz
       mache. Klingt fast wie ein Appell.
       
       Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Staatsanwaltschaft und Angeklagte
       können in Berufung gehen. Er werde sich jetzt erst mal in Ruhe mit seinem
       Anwalt beraten, sagt Trammer, der trotz des geringen Strafmaßes kein
       Verständnis für den Schuldspruch hat. Und auch taz-Chefredakteurin Ulrike
       Winkelmann kommentiert: „Es klingt, als wollte das Gericht hier milde
       wirken, aber wir bleiben dabei: Eine Hausbesetzung journalistisch zu
       begleiten ist Journalismus und kein Hausfriedensbruch. Hier kann es nur
       einen Freispruch für unseren Kollegen geben.“
       
       5 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Automesse-IAA-in-Muenchen/!5797084
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 (DIR) [3] /Aktionen-gegen-Automesse-IAA/!5800060
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Baur
       
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