# taz.de -- Virus-Mechanismen: Nach der Seuche ist vor der Seuche
       
       > Ein unsichtbarer Erreger, Ansteckung, Angst, Isolation: In der
       > Coronakrise sind dieselben Mechanismen wirksam wie bei Cholera oder
       > Spanischer Grippe.
       
 (IMG) Bild: Bloß nicht zu nahe kommen: Menschen warten auf ihre Essensbestellung
       
       HAMBURG taz | Ein kleines Ding mit enormen Auswirkungen, [1][so ein Virus]:
       Schlüpft noch durch Filter, an denen die Bakterien scheitern. Besteht
       überhaupt aus wenig mehr als den Zutaten für seine eigene Reproduktion, aus
       seinem eigenen Bauplan.
       
       Umso mehr ist so ein Ding, das die Wissenschaft gar nicht zu den Lebewesen
       zählt, auf eine Umgebung angewiesen, die ihm diese Vermehrung ermöglicht:
       einen Wirt, der ausführt, was das Virus an Programm mitgebracht hat,
       eingeschleust, -geschmuggelt.
       
       Nicht aufzuspüren, ja unsichtbar, aber aus diesem Verborgenen hoch wirksam.
       Virus war der metaphorische Name der Wahl für einen Typ von Programmen, die
       mit der privaten Nutzung von Computern aufkamen: sich selbst verbreitende
       Software, die die Gerätschaften nichtsahnender Nutzer*innen befiel,
       ansteckte; aufmerksam auf sich machend nur insofern, als manche dieser
       ungebetenen Codezeilen ja gerade beauftragt waren, eine sehr drastische
       Wirkung zu entfalten.
       
       Dass das klassische Virus in diesem Sinne längst ein Auslaufmodell ist,
       verdrängt vom noch mal sehr viel effizienter sich vervielfältigenden
       „Wurm“: [2][Fachleute interessiert so was], für alle anderen ist der
       Unterschied wohl egal, sind auch „Wurm“ oder „Trojaner“ – Viren.
       
       Ein kleines Ding ohne Absichten oder eigenen Willen, das doch zur Prüfung
       werden kann für allerkomplexeste Systeme oder gleich eine ganze
       Weltgemeinschaft: Wie sehr sie eine Gemeinschaft ist, auch dafür ist Corona
       ja eine Anlass zur strengen Überprüfung. Braucht es wirklich nicht mehr als
       so eine schwer zu ortende Gefahr, um infrage zu stellen, was in Jahrzehnten
       an Einigung und Annäherung erreicht wurde? Oder zeigen sich unter den
       Bedingungen der Pandemie längst vorhandene Risse nur besonders deutlich?
       
       ## Ihr-und-wir-Denken wird schnell reaktiviert
       
       Es scheint so, betrachten wir, was sich in den vergangenen Wochen in Europa
       abgespielt hat – oder auch [3][zwischen den sonst zu gern Gemeinsamkeit
       behauptenden Nachbarn] Hamburg und Schleswig-Holstein. Wenig scheint
       schneller wieder reaktiviert als ein geradezu tribalistisches
       Ihr-und-wir-Denken.
       
       Bezeichnend, wenn auch nur ein Nebenaspekt: Dass der Ursprung dieser oder
       jener Krankheit zuverlässig beim anderen angesiedelt wird, ist keine
       Erfindung eines [4][xenophoben heutigen Regenten] in Wahlkampfnöten, der
       immer schon etwas gegen China hatte – auch die „Spanische“ Grippe war ja
       nicht spanisch.
       
       Wär’s angesichts sehr vieler sehr echter Tragödien, sehr realen Leids nicht
       so vermessen, dann ließe sich in dieser drastischen Ernüchterung ein Wert
       ausmachen. Deutlich ist in diesen Tagen ja die Ungleichheit geworden, über
       deren angebliches Verschwinden so gern sonntagsgeredet wird. Und das nicht
       erst im Rückblick auf einen 128 Jahre zurückliegenden Cholera-Ausbruch.
       1892, in einer Stadt wie Hamburg, tötete jener Erreger ja sehr deutlich
       entlang der sozialen Schichtgrenzen, die auch welche auf dem Stadtplan
       waren.
       
       Ein Test ist so ein Virus nicht nur im Großen. Auch das ganz Intime ändert
       sich ja durch so eine Bedrohung, die sich ausgerechnet über Kontakt und
       über Nähe verbreitet. Waren diese nicht, als Antidot zur Einsamkeit, bis
       eben noch, was uns den Tod länger vom Hals halten sollte?
       
       Mehr zu historischen und höchst aktuellen Pandemien lesen Sie in der taz am
       Wochenende oder im [5][eKiosk].
       
       17 Apr 2020
       
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