# taz.de -- Vorentscheidung bei der Tour de France: Kannibale fährt mit
       
       > Tadej Pogacar wartet nicht erst auf hohe Pässe. Er zeigt schon im ersten
       > Drittel der Tour de France, dass er der dominierende Pedaleur ist.
       
 (IMG) Bild: Stets der Konkurrenz voraus: Tadej Pogacar im Gelben Trikot
       
       LAUSANNE taz | Rafal Majka ist ein netter Bursche. Der Pole ist zurzeit der
       beste Radsportkumpel von [1][Tadej Pogacar]. Er spielt mit ihm Schere,
       Stein, Papier, wenn es darum geht auszubaldowern, wer von beiden eine
       Etappe gewinnt. Das war so bei der Slowenienrundfahrt. Bei der Tour gab es
       eine solche Situation noch nicht. Die Gegnerschaft ist stärker. Aber auch
       bei der Tour ist Majka der letzte Mann vom Team UAE, wenn es in die Berge
       geht und Kapitän Pogacar eine Tempobeschleunigung fordert.
       
       Nachdem auf diese Art mal wieder ein Etappensieg herausgesprungen war,
       dieses Mal auf der Planche des Belles Filles, sah Majka sich gezwungen, die
       Radsportwelt zu beruhigen: „Keine Angst, Tadej wird den anderen auch noch
       Siege lassen. Er will bloß das Gelbe nach Paris bringen“, sagte er.
       
       Ganz so stimmt das aber nicht. Denn tags darauf in Lausanne stürzte sich
       Pogacar erneut in den Kampf um den Etappensieg. Knapp wurde er von den
       Bergsprintspezialisten Wout van Aert und Michael Matthews abgefangen. Aber
       die Aktion bestätigte, dass Pogacar immer mehr vom kleinen Kannibalen, wie
       man ihn in Anlehnung an den [2][Radsportheros der Vergangenheit, Eddy
       Merckx,] lange nannte, zu einem Kannibalen von ganz eigener Statur.
       
       Er siegt, wie einst der Belgier, auf jedem Terrain. Der Slowene war bereits
       der Beste des Hauptfeldes auf der Pflastersteinetappe von Lille nach
       Arenberg. Ein Angriff von ihm zerlegte am Tag später das gesamte Peloton
       nach einem langen, harten Tag in den Ardennen. Auf der Planche des Belles
       Filles trotzte er nach mächtiger Vorarbeit seines Teams einem Antritt
       seines Herausforderers Jonas Vingegaard und flog förmlich dem Ziel
       entgegen.
       
       ## Neue Sprinterqualitäten
       
       Diesen beiden Tagessiegen ließ er in Lausanne Platz 3 folgen. „Schade, dass
       ich nicht gewonnen habe“, sagte er hinterher. Er grämte sich aber nicht
       lange und schob nach: „Es ist einfach toll, dass ich im Sprint mithalten
       kann. Früher, in Jugendzeiten, hatte ich im Sprint gar keine Chance. Ich
       war da immer unter den Letzten.“ Der schmal gebaute Pogacar hatte gegenüber
       den größer gewachsenen Altersgenossen das Nachsehen. Das immerhin focht ihn
       nicht an. Vielmehr machte er offenbar früh die Erfahrung, dass Radsport
       sehr oft verlieren bedeutet. Das machte ihn mental robust. Und Jahr für
       Jahr lernte er sich zu verbessern.
       
       Dass seine stetige Verbesserung nicht abbrach wie bei so manchen
       Trainingsgefährten im Nachwuchsteam KD Rog oder anderen
       Nachwuchsmannschaften weltweit, sondern immer weiter anhielt, ist wohl das
       große Geheimnis hinter der aktuellen Leistungsfähigkeit. KD Rog ist
       übrigens nicht benannt nach Pogacars Erzrivalen Primoz Roglic, sondern nach
       der Fahrradfabrik in Ljubljana, die dieses Team von den 1950er bis in die
       1990er Jahren unterstützte. 2006 wurde die mittlerweile brachliegende
       Fabrik sogar besetzt und zu einem autonomen Zentrum. Ob Pogacar dort auch
       mit Che-Guevara-T-Shirts herumlief, ist allerdings nicht überliefert.
       
       Einen Behauptungswillen wie einst die Companeros in der Sierra Madre
       schätzt jedenfalls sein aktueller Teamchef Mauro Gianetti als
       hervorstechendste Eigenschaft seines Schützlings ein. „Seine mentale Stärke
       ist noch größer als seine physische. Unter Druck bricht er nicht ein,
       sondern zeigt sein Bestes“, schwärmte Gianetti der taz vor.
       
       ## Staunende Konkurrenten
       
       Dass er das so früh zeigt, verwundert die Konkurrenz. „Ich weiß nicht, ob
       es ganz ohne Risiko ist, so früh im Rennen schon so viel zu investieren und
       so offensiv zu fahren“, sagte Rolf Aldag, Performance Director bei Bora
       Hansgrohe, der taz.
       
       In den letzten beiden Jahren war die Herangehensweise von Team UAE noch
       anders. „Da gingen sehr viele Siege an Fluchtgruppen. Da hat man die Ziele
       darauf reduziert, in Paris oben zu stehen. In diesem Jahr aber nehmen sie
       mit, was sie mitnehmen können“, analysierte Aldag. Das wirkt wie eine
       Kurzzeitstrategie, ganz so, als wolle Pogacar mit seiner frühen Übermacht
       die Konkurrenz einschüchtern.
       
       Es kann auch eine Reaktion auf die Coronagefahr im Peloton sein. Ein
       Teamkollege von Pogacar wurde kurz vor dem Tourstart wegen Corona
       ausgetauscht, ein zweiter Fahrer musste wegen eines positiven Tests
       vorzeitig abreisen. Lieber nehmen, was man kriegen kann, bevor man mit
       leeren Händen abreisen muss, scheint da eine vernünftige Heransgehensweise
       zu sein.
       
       11 Jul 2022
       
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