# taz.de -- Wärmeenergie aus Flusswasser: Mannheims Riesenpumpe
       
       > Im Herbst geht Deutschlands größte Flusswärmepumpe in Betrieb. Die
       > Nischentechnologie könnte ein wichtiger Bestandteil der Energiewende
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Versorgte bald tausende Haushalte: ein Teil der neuen Mannheimer Flusswärmepumpe
       
       MANNHEIM taz | Es wäre ein guter Tag, um einen Werbefilm für die
       Energiewende zu drehen. An einem Mittwoch Ende März blicken sechs gut
       gelaunte Männer bei strahlendem Sonnenschein zwischen Containern,
       Industrieschornsteinen und pipelinegroßen Rohren in den Frühlingshimmel.
       Sie tragen dunkle Anzughosen, gelbe Westen und überdimensionierte
       Sicherheitsbrillen auf der Nase. Aus der Ferne unterscheiden sie sich nur
       durch ihre Helme: vier tragen Gelb, zwei von ihnen Weiß.
       
       Stolz präsentieren die Männer das, worauf sie seit Monaten hinarbeiten: die
       neue Flusswärmepumpe, die vorerst größte Deutschlands. Sie soll in Mannheim
       direkt am Rhein zusammengesetzt werden und ab Herbst Fernwärme
       produzieren.„Die Einzelteile sind gestern aus Schweden gekommen“, erzählt
       Rolf Scheinost. Er ist Ingenieur der Firma GKM, auf deren Firmengelände die
       Flusswärmepumpe steht.
       
       Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verspricht sich
       einiges von dem Projekt. Genug, um die Flusswärmepumpe mit 15 Millionen
       Euro zu fördern. Denn die Maschine, deren größter Bestandteil wie der
       Milchtank eines bäuerlichen Großbetriebs aussieht, ist eine Nischentechnik
       mit Energiewendepotenzial.
       
       Das signalisieren zumindest die Zahlen. „Wir reden von mehr als 20
       Megawatt“, sagt Rolf Scheinost, der neben einem menschengroßen Motor steht.
       Das sei ungefähr die tausendfache Strommenge [1][einer normalen
       Wärmepumpe]. Damit könne die Firma etwa 3.500 Haushalte mit Fernwärme
       versorgen. „Das Prinzip ist das Gleiche wie bei einer herkömmlichen
       Wärmepumpe“, erklärt der Ingenieur. „Der Unterschied ist die schiere
       Größe.“
       
       Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern benötigen Wärmepumpen keine
       Brennstoffe. Sie entziehen der Natur ihre Wärme. Je nach Modell ist das die
       Wärme der Außenluft, des Wassers oder des Erdreichs. Grün ist dieser
       Hoffnungsträger der Energiewende allerdings nur, wenn der dafür benötigte
       Strom aus erneuerbaren Quellen kommt. Das sei hier zu 100 Prozent der Fall,
       versichert Scheinost. Die Pumpe verwandle eine Kilowattstunde Strom in das
       2,5- bis 3-Fache davon.
       
       Um zu verstehen, was in einer Wärmepumpe passiert, kann man sich an den
       Physikunterricht der Oberstufe erinnern. Denn auf dem Papier sieht das
       Ganze in etwa so aus wie bei einem Schaltkreis – also ein aufgemaltes
       Rechteck mit schwierigen Wörtern entlang der Linien. Im Fall der Wärmepumpe
       steht dort: Verdampfer, Verdichter, Kondensator, Expansionsventil.
       
       Das klingt kompliziert, ist tatsächlich aber ziemlich einfach. Es gilt zwei
       Regeln der Physik zu beachten. Erstens: Damit ein Stoff den Zustand von
       flüssig zu gasförmig verändert, also verdampft, erfordert es viel Energie.
       Das ist wie beim Kochen. Nachdem das Wasser im Topf anfängt zu blubbern,
       dauert es sehr lange, bis der letzte Tropfen verdampft.
       
       Zweitens: Andersherum geht es schneller. Beim Übergang von gasförmig zu
       flüssig wird Energie freigesetzt. Das Prinzip ist das Gleiche wie bei dem
       Milchschäumer an einer Espressomaschine, der heißen Dampf in die kalte
       Milch pustet. Der Dampf kondensiert und gibt Wärme an die Milch ab, wodurch
       diese erhitzt wird.
       
       In einer Wärmepumpe sieht das so aus: Flüssiges Kältemittel fließt in einen
       Verdampfer. Dort trifft es auf die Wärme aus Luft, Wasser oder Boden. Die
       Umweltwärme erhitzt das Kältemittel, bis es verdampft. Das Kältemittel ist
       jetzt also gasförmig.
       
       Mithilfe von Strom, der von außen zugeführt wird, wird das Gas im nächsten
       Schritt verdichtet. Der nun heiße, verdichtete Dampf wird im Kondensator,
       also im Milchschäumer, freigesetzt. Hier verflüssigt sich der Dampf. Dabei
       wird Energie abgegeben. Mithilfe dieser Energie erhitzt sich das
       Heizwasser, bis die Heizung bollert. Das Kältemittel fließt danach ins
       Expansionsventil. Das Ventil reduziert den Druck, das Kältemittel kann
       aufatmen. Es hat nun wieder mehr Platz und kühlt deshalb ab. Dann beginnt
       im Verdampfer alles wieder vorn.
       
       ## Es gibt auch ökologische Bedenken
       
       Zurück zur Flusswärmepumpe auf dem Mannheimer Industriegelände. Die
       Ingenieure erzählen, dass sie Glück mit der Bürokratie hatten. Die
       Genehmigung habe schon nach einem halben Jahr vorgelegen. Ein
       Planungsbeschleunigungsgesetz, wie Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) es für
       [2][Wind, Solar und Schiene forderte] und das nun auch Fernstraßen
       beinhaltet, habe man nicht nötig.
       
       Tatsächlich profitierte die Flusswärmepumpe in Mannheim von einer
       bürokratischen Abkürzung: Das Regierungspräsidium Karlsruhe, die für
       Prüfverfahren zuständige Behörde, passte lediglich die wasserrechtliche
       Erlaubnis des bestehenden Kraftwerks an den neuen Zweck an. Das
       Großkraftwerk Mannheim nutzte den Rhein zuvor als Kühlwasserquelle. Über
       denselben Anschluss soll dem Fluss das Wasser in Zukunft mit einer
       Geschwindigkeit von einem Kubikmeter pro Sekunde als Wärmequelle für die
       Pumpe entzogen werden. Man habe festgestellt, dass dabei keine nachteiligen
       Auswirkungen auf den Rhein zu erwarten seien, heißt es vonseiten des
       Regierungspräsidiums.
       
       Die Männer formulieren das so: „Die Flusswärmepumpe ist gewässerdienlich.“
       Denn der Rhein sei durch den Klimawandel tendenziell zu warm. Die Pumpe
       führe das Wasser aber 2 bis 3 Grad Celsius kälter also vorher zurück in den
       Fluss. So verschaffe sie dem Rhein ein wenig Abkühlung.
       
       Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie ist von dieser
       Erklärung nicht überzeugt. Grundsätzlich sei es richtig, dass die Abkühlung
       von Flusswasser einem guten ökologischen Zustand diene, so wie es das
       Wasserhaushaltsgesetz vorschreibt.
       
       Entscheidend für die Ökobilanz einer Flusswärmepumpe sei aber, wie der
       Wärmeübertrager der Pumpe gereinigt werde, durch den das Flusswasser
       fließt. Diese Reinigung ist nötig, weil sich dort Mikroorganismen, Tiere
       und Pflanzen ansiedeln können, ein Prozess, den man in der Fachsprache
       Biofouling nennt. Wie alle festen Flächen, die für längere Zeit mit See-
       oder Flusswasser in Berührung kommen, läuft auch der Wärmeübertrager
       Gefahr, dass sich dort Zebra- und Dreikantmuscheln ansiedeln. Wenn die
       Muscheln den Wärmeübertrager überwuchern, wird die Technologie weniger
       effizient. Der Bewuchs verhindert die problemlose Wärmeübertragung und
       verschlechtert den Wasserfluss durch die Rohre.
       
       Deswegen reinigen die Betreiber von Flusswärmepumpen den Wärmeübertrager.
       In Mannheim geschieht das durch das sogenannte Schwammkugelverfahren. Dabei
       putzen kleine Kugeln aus Gummi das Innere der Rohre, durch die das Wasser
       fließt. Laut Martin Pusch lassen sich mit dem Schwammkugelverfahren die
       sehr fest sitzenden Muscheln, die sich in den Rohren ansiedeln, aber nicht
       problemlos entfernen. In der Vergangenheit reinigten Firmen den
       Wärmeübertrager deshalb chemisch mithilfe der hochgiftigen Substanz
       Hydrazin. Martin Pusch befürchtet, dass erneut darauf zurückgegriffen wird,
       wenn sich das Schwammkugelverfahren als ineffizient erweist.
       
       ## Bei Großwärmepumpen hinkt Deutschland bislang hinterher
       
       Die Technologie der Flusswärmepumpen ist nicht neu. Skandinavische Länder
       nutzen Großwärmepumpen schon seit vielen Jahren. Die Bestandteile der
       Mannheimer Pumpe baute Siemens Energy in Schweden und brachte sie von dort
       nach Baden-Württemberg. Bei herkömmlichen Wärmepumpen haben die
       Skandinavier ebenso die Nase vorn. In Norwegen heizen so etwa zwei Drittel
       aller Haushalte ihre Wohnung. Deutschland erlebt aktuell zwar einen Hype
       für haushaltsgroße Wärmepumpen, doch bei Großwärmepumpen hinkt das Land
       hinterher.
       
       Dass die Technologie in Deutschland bisher quasi unberührt geblieben ist,
       hat vor allem einen Grund: Große Wärmepumpen rentierten sich nicht. In
       Schweden, Norwegen und Finnland ist der Strom günstiger als in Deutschland.
       Ohne Förderung könne man Großwärmepumpen in Deutschland noch nicht
       wirtschaftlich betreiben, sagt Werner Lutsch, Geschäftsführer des
       Energieeffizienzverbandes AGFW.
       
       „Ich denke, dass es in Deutschland in der Vergangenheit in erster Linie
       eine wirtschaftliche Entscheidung war“, vermutet auch der Ingenieur
       Scheinost. „Als sich die Skandinavier damals für Großwärmepumpen
       entschieden, waren die Strompreise dort sehr, sehr niedrig.“
       
       Der Gedanke, dass bald mehr Großwärmepumpen in Deutschland [3][grüne
       Energie produzieren könnten], zaubert den Wissenschaftlern Tobias Fieback
       und Thomas Grab von der Technischen Universität Freiberg ein Lächeln ins
       Gesicht. Die beiden erforschen Technologien für erneuerbare Energien. Dass
       in Deutschland endlich jemand Großwärmepumpen für Fernwärmenetze
       vorantreibe, sei sehr wichtig, sagen die Thermodynamiker. „Ohne
       Großwärmepumpen werden wir eine Wärmewende nicht hinbekommen“, ist Fieback
       überzeugt.
       
       Auch die Ingenieure vor Ort in Mannheim sind zuversichtlich, dass sich die
       Situation in Deutschland bald ändert. Die Firma bekäme in letzter Zeit
       viele Anfragen, erzählt Scheinost. „Die Leute fragen uns: Seid ihr
       zufrieden? Wie sieht das bei euch aus?“
       
       Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert bis 2026 vier
       weitere Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen in Berlin, Stuttgart und
       Rosenheim. Die Stuttgarter Pumpe, die den Neckar nutzt, soll noch dieses
       Jahr in Betrieb gehen. Vor allem die Energiekrise seit dem russischen
       Angriff auf die Ukraine hat ein zügiges politisches Umdenken erzwungen: Im
       September 2022 beschloss die Bundesregierung, 3 Milliarden Euro für ein
       grüneres Fernwärmenetz auszugeben.
       
       10 Apr 2023
       
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