# taz.de -- Ziele der EU-Kommission: Zentralbanken For Future
       
       > Eine der Aufgaben der EU nach der Wahl: Artensterben bekämpfen.
       > Unterstützung könnte von unerwarteten Verbündeten bekommen.
       
 (IMG) Bild: SchülerInnen während eines Klimastreiks für die Umsetzung der Pariser Abkommens
       
       Ende April veröffentlichten die Vereinten Nationen einen schockierenden
       Bericht über den Zustand des Lebens auf der Erde: Mehr als eine Millionen
       Spezies sind vom Aussterben bedroht. Die schiere Grundlage menschlicher
       Existenz sei gefährdet, hieß es darin. Es gibt zum Glück ein Drehbuch aus
       der Misere, wackelig und vage ist es, aber besser als nichts. Europa, sein
       nächstes Parlament und die nächste Kommission spielen darin eine wichtige
       Rolle.
       
       Versagt Brüssel, so könnten Akteure voranschreiten, die bisher wohl kaum
       jemand in Sachen Umweltschutz auf dem Zettel hatten: die Zentralbanken. Sie
       haben die Macht, schnelle Entscheidungen zu treffen, um den Finanzmärkten
       das Geldverdienen mit dem Zerstören der Natur zu versauen.
       
       Das zumindest glaubt Benoît Lallemand, Generalsekretär der Brüsseler NGO
       Finance Watch. Dort erarbeitet eine kleine Gruppe ehemaliger Finanzprofis
       Ideen, wie das Geldsystem grün werden kann. Vergangene Woche
       veröffentlichten sie [1][einen Bericht] mit einem utopischen Titel: „Wie
       das Finanzwesen der Natur dienen kann.“
       
       Die Umwelt retten, das haben sich die Regierungen der Welt bereits 2010 im
       japanischen Aichi vorgenommen und sich auf sogenannte Biodiversitätsziele
       geeinigt. Zwischen 150 und 440 Milliarden Dollar pro Jahr hätte es
       gebraucht, um Wälder nachhaltig zu bewirtschaften oder vor allem die
       Landwirtschaft ökologisch umzubauen. Vor allem private Geldgeber sollten
       das aufbringen.
       
       Der Plan schlug komplett fehl: Aus Klimaschutz lässt sich ein bankfähiges
       Geschäft machen – Solarzellen bauen, Energieeffizienz – aus Naturschutz
       nicht, so die Lehre. Noch nicht mal die Geschwindigkeit der globalen
       Umweltzerstörung hat sich seitdem verlangsamt.
       
       ## Das Wunder von Brüssel
       
       Im Klimaschutz allerdings gab es Fortschritte. Die Maßnahmen, die vor allem
       die EU dazu entwickelt hat, ließen sich möglicherweise auch auf den Kampf
       gegen das Artensterben übertragen. Der Reihe nach. Was den Klimaschutz
       richtig antreibt ist das globale Klimaschutzabkommen von Paris von 2015 –
       mit dem Ziel, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen. Paris ist
       nicht bindend, kein Staat wird bestraft, wenn er aussteigt wie die USA und
       trotzdem ist das Abkommen zum normativen Maßstab einer guten
       Zukunftspolitik geworden.
       
       Nirgends wird Paris so akribisch umgesetzt wie in der EU, vor allem nicht,
       seit Donald Trump in Washington irrlichtert. Die EU hat ihre Klimaziele
       Ende 2018 verschärft; mehr erneuerbare Energien bis 2030, mehr
       Energieeffizienz als ursprünglich geplant.
       
       Und dann das Wunder von Brüssel im Dezember: Das EU-Parlament setzte sich
       gegen die Autoindustrie durch. [2][Der CO2-Ausstoß von Neuwagen in der EU]
       soll bis 2030 im Vergleich zu 2021 um 37,5 Prozent sinken. Autobauer, die
       das nicht schaffen, müssen Strafen zahlen. Die Bundesregierung hatte sich
       für VW, Daimler und BMW ins Zeug gelegt, nur 30 Prozent gefordert und
       scheiterte damit.
       
       Das ist der Grund, warum die deutsche Autoindustrie umsteuert: Daimler will
       auf einmal bis 2039 CO2-neutral werden, VW bis 2030 fast die Hälfte seiner
       Neuwagen elektrisch betreiben. [3][Das Artensterben wird das alles nicht
       aufhalten]: Das Elektroauto mag mit Grünstrom betrieben das Klima im
       Vergleich zu einem Benziner weniger belasten, die Straße, auf der es fährt,
       zerschneidet trotzdem die Natur. Trotzdem hätte vor zehn Jahren kaum jemand
       für möglich gehalten, was für ein Umbruch sich da gerade vollzieht. In
       Wolfsburg und Stuttgart werden sie wegen des Paris-Abkommens Elektrofans.
       
       Im nächsten Jahr nun wird im chinesischen Beijing die internationale
       Gemeinschaft um ein weltweites Abkommen zum Schutz der Natur ringen. Es
       könnte eine ähnlich moralische Messlatte definieren, wie das Abkommen von
       Paris für das Klima. Voraussetzung ist, dass Europa voranschreitet.
       
       „Die EU muss hier die Führung übernehmen, weil die USA ausfallen. Die
       Öffentlichkeit muss die neue Kommission da unter Druck setzen“, sagt
       Lallemand. Ohne ein solches politisches Signal zur Rettung der Natur werde
       nichts geschehen.
       
       ## Umlegen der Naturschäden
       
       Der Grund, warum der Klimaschutz klare Ziele zumindest benennt, ist
       einfach: Er ist exakt vermessen. Wissenschaftler berechneten die maximal
       verantwortbare CO2-Konzentration in der Atmosphäre, daraus Emissionsziele –
       und die lassen sich am Ende herunterbrechen auf einen Auspuff oder eine
       Fabrik. Ökonomisch gesprochen können so externe Kosten, also Schäden an der
       Allgemeinheit durch den Klimawandel, als interne Kosten auf die Verursacher
       umgelegt werden.
       
       Darum geht es, wenn Deutschland seit Monaten um eine CO2-Steuer oder den
       Emissionshandel streitet. Und dieses Umlegen der Naturschäden sei auch beim
       Artensterben machbar, sagt Lallemand. Seit Jahren wird dazu geforscht, was
       Bienen wert sind, die Blüten befruchten, oder ein unberührtes Moor, das
       Wasser filtert. Das nennt sich dann Ökosystemdienstleistung.
       
       Die Idee lässt sich bis in die 70er-Jahre zurückverfolgen, die UN hat im
       Jahr 2005 eine weltweite Bestandsaufnahme vorgelegt. Der Wert der
       Ökosystemdienstleistungen beläuft sich auf sehr surrealistische 125
       Billionen Dollar im Jahr. Die Wirtschaftskraft der Natur ist damit höher
       als die der Menschen. Ein Konzept, das auch von vielen kritisiert wird. Die
       Natur so in Wert zu setzen zeugt von einer gänzlichen Unterwerfung unter
       die Logik des Kapitals.
       
       Lallemand sagt, dass sich der Wert von Ökosystemen mittlerweile so exakt
       vermessen lässt, dass auch ihre Zerstörung ein Preisschild bekommen kann.
       Und hier kommen die Zentralbanken wie die EZB ins Spiel (die amerikanische
       Fed ist wegen Trump raus). Die sind für die Stabilität des Finanzsystems
       verantwortlich und sehen den Klimawandel mittlerweile als Gefahr dafür an.
       
       Seit dem Abkommen von Paris arbeiten etwa die britische, niederländische,
       französische oder schweizerische Zentralbank daran, von Banken und
       Versicherern zwei Dinge zu verlangen: Sie sollen ermitteln, welche ihrer
       Investitionen zerstört werden, wenn Meeresspiegel steigen, Stürme, Dürren
       und Hitze zuschlagen, Verteilungskämpfe ausbrechen.
       
       ## „Das hassen Banken“
       
       Und sie sollen ermitteln, wie viel Geld sie in Kohleminen, Raffinerien oder
       Ölbohrlöcher stecken haben. Das Zeug ist nämlich bald nichts mehr wert,
       wenn passiert, was gerade passiert: Autobauer weg vom Öl wollen und Länder
       wie Deutschland einen Kohleausstieg beschließen. Zentralbanken könnten dann
       verlangen, dass solche Investitionen in die alte, braune Industrie mit mehr
       finanziellen Sicherheiten hinterlegt werden müssen. Schlicht um zu
       verhindern, dass es zu großen Klimapleiten von Banken kommt, die das
       Finanzsystem gefährden könnten.
       
       Noch steckt das alles in den Anfängen. Doch die EU flankiert die Ideen mit
       einem ganzes Bündel an Maßnahmen, um den Klimawandel als Risiko
       einzupreisen.
       
       Das könnte auch mit Umweltzerstörung gehen, glaubt Finance Watch. Man
       stelle sich vor, die Europäische Zentralbank verlangt von der Commerzbank,
       zu ermitteln, wie viele ihrer Kredite an Firmen gehen, die Luft
       verschmutzen, Wasser verseuchen, dazu beitragen, dass Arten aussterben. Je
       schlimmer, desto mehr Sicherheiten müsste die Bank hinterlegen, wenn sie
       solche Kredite vergibt. „Das hassen Banken. Wenn sie das machen müssten
       würden sie sofort anfangen, ihr Geld umzuschichten“, sagt Lallemand.
       
       Klingt utopisch. Doch vor ein paar Jahren hielten es die meisten Experten
       für undenkbar, Klimasünden einen Preis zu geben. Heute geht das. Das allein
       allerdings würde nicht ausreichen, um das Sterben der Biosphäre
       aufzuhalten. Direkte Umweltschutzmaßnahmen ließen sich so nicht
       finanzieren, dafür brauche es Milliarden an öffentlichen Geldern, glaubt
       Lallemand. Seine erste Hausaufgabe an die EU nach der Wahl: Die 58
       Milliarden EU-Agrarsubventionen so verteilen, dass Umweltschutz belohnt
       wird. Das kostet nämlich nichts.
       
       27 May 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.finance-watch.org/publication/making-finance-serve-nature-report/
 (DIR) [2] /Debatte-CO2-Steuer/!5593028
 (DIR) [3] /Warum-der-Oeko-Kollaps-droht/!5593118
       
       ## AUTOREN
       
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