# taz.de -- Zum ersten Magnus-Hirschfeld-Gedenktag: „Eine Ikone der queeren Geschichte“
       
       > Erstmals erinnert am 14. Mai ein Gedenktag an den Berliner
       > Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Alfonso Pantisano über das Ziel
       > des Erinnerns.
       
 (IMG) Bild: Magnus Hirschfeld in seinem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, eine Aufnahme von 1919
       
       taz: Herr Pantisano, Berlin hat als erstes Bundesland den 14. Mai zum
       Gedenktag für Magnus Hirschfeld gemacht. Warum braucht es einen solchen Tag
       für diesen Arzt und Sexualwissenschaftler, der Jude und Homosexueller war?
       
       Alfonso Pantisano: Magnus Hirschfeld erinnert uns alle daran, dass wir der
       Wissenschaft vertrauen sollten, denn nur so kommen wir zu wirklicher
       Gerechtigkeit. Queeres Leben war schon immer zu Hause in unserer Stadt und
       ist nie ein Trend gewesen, sondern eine Realität. Das zu akzeptieren ist
       unsere Aufgabe, denn nur so können wir garantieren, dass alle Menschen in
       der Regenbogen-Hauptstadt ein würdiges und sicheres Leben in Freiheit leben
       können. Das ist die Mahnung von Magnus Hirschfeld.
       
       Zur langen Geschichte von queerem Leben in Berlin fällt mir das „Eldorado“
       ein. Auch im Programm des Magnus-Hirschfeld-Tages taucht der Name des
       Lokals auf. Was hat es damit auf sich? 
       
       Im historischen Regenbogen-Kiez rund um den Nollendorfplatz blühte ja schon
       vor über 100 Jahren das queere Leben – so lange, bis die Nazis kamen und
       alles zugrunde gerichtet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es die
       Community durch viel Leid und viel Stärke geschafft, aus den dunklen Zeiten
       hervorzutreten und wieder ins Licht hineinzukommen. Diese Position der
       Stärke, des Selbstbewusstseins und des Stolzes gilt es jetzt zu
       verteidigen. [1][Das Eldorado, ein Travestielokal,] war einer der vielen
       Orte für Homosexuelle und Transpersonen in den 1920er Jahren. Das Eldorado
       stand für Freiheit – wurde von den Nazis geschlossen und ist später nie
       wieder zurückgekehrt. Wir bringen das Eldorado jetzt für eine Nacht zurück.
       
       Ins „Metropol“ am Nollendorfplatz – dort war aber das originale Eldorado
       nicht, oder? 
       
       Das Eldorado gab es in Berlin an drei verschiedenen Locations: zuerst an
       der Kantstraße, dann auf der heutigen Martin-Luther-Straße und später auf
       der Motzstraße – in den Räumlichkeiten befindet sich heute ein Biomarkt.
       
       Wer hatte die Idee zu diesem Gedenktag am 14. Mai? 
       
       Die Idee kommt aus der Community. Wir haben es geschafft, diese in den
       Koalitionsvertrag zu schreiben und in den Richtlinien der Regierungspolitik
       zu verankern. Damit ist es jetzt ein Projekt des gesamten Berliner Senats
       und der Stadt Berlin.
       
       Berlin ist damit Vorreiter, denn der erste landesweite
       Magnus-Hirschfeld-Tag ist deutschlandweit einmalig. 
       
       Es hat schon den einen oder anderen Magnus-Hirschfeld-Tag gegeben, der von
       Organisationen wie der [2][Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft] organisiert
       wurde, aber wir sind das erste Bundesland, das einen landesweiten
       Magnus-Hirschfeld-Tag begeht.
       
       Es ist leider ein Gedenktag und kein gesetzlicher Feiertag. Das würde ja
       bedeuten, man hätte einen freien Tag an so einem queeren Feiertag. Das wäre
       ja eigentlich erstrebenswert! 
       
       Das wäre natürlich schön. Ich finde, Berlin hat sowieso noch ein, zwei,
       drei Feiertage zu wenig. (lacht) Aber Spaß beiseite, ich bin sehr glücklich
       darüber, dass wir die Gelegenheit nutzen, diesen einen Tag jetzt offiziell
       begehen zu können und dafür sorgen können, dass das Leben und Wirken von
       [3][Magnus Hirschfeld] in der Stadtgesellschaft näher gebracht werden kann.
       Denn wir müssen ganz ehrlich sein: Obwohl er eine Ikone der queeren
       Emanzipationsgeschichte und der Sexualgeschichte gewesen ist, kennen ihn
       hier bei uns nur wenige. Denn der Nationalsozialismus hat versucht, sein
       Wirken und Andenken systematisch zu zerstören. Im Ausland ist das anders,
       dort wird er sehr viel breiter geschätzt und geehrt.
       
       Dann kann dieser Tag sicher einen Beitrag dazu leisten, Hirschfeld und sein
       Wirken den jüngeren Generationen bekannter zu machen. 
       
       Nicht nur bei der jungen, auch bei der älteren Generation. Viele glauben
       immer, dass die queere Emanzipationsgeschichte bei den Aufständen in
       [4][Stonewall] in den 1960er Jahren ihren Anfang nahm. Das ist mitnichten
       so. Berlin ist eine der Geburtsstätten der queeren Emanzipationsbewegungen.
       Hirschfeld hat hier den ersten queeren Verein gegründet – 1897. Er hat im
       selben Jahr dann die erste Petition zur Abschaffung des Paragrafen 175 mit
       6.000 Unterschriften eingebracht und sich somit damals schon dafür
       eingesetzt, dass dieser Unrechtsparagraf, der Homosexualität unter Straße
       stellte, abgeschafft wird. Das ist ihm nicht gelungen, und später haben die
       Nazis den Paragrafen noch drastischer verschärft. Und auch das ist eine
       Mahnung von Magnus Hirschfeld: genau aufzupassen, was wir als Demokraten
       zulassen und was nicht. Denn wir laufen derzeit Gefahr, dass die
       Errungenschaften queerer Menschen, die in der Vergangenheit für
       Gerechtigkeit gekämpft haben, wieder auf dem Spiel stehen.
       
       Wie wollen Sie das Interessen an Hirschfelds Leben und Wirken wecken? 
       
       Wenn Menschen sich fragen „Magnus – wer?“ haben wir schon etwas erreicht.
       Denn wenn das Interesse geweckt ist, lassen sich heute schnell dank
       digitaler Medien Informationen besorgen. So kann man auch Dinge über Magnus
       Hirschfeld hinterfragen, denn wir wollen auch, dass sich alle kritisch mit
       ihm auseinandersetzen, so wir es auch tun. Wir haben parallel dazu eine
       sehr breite Informationskampagne gestartet, die in der Stadt sichtbar sein
       wird. Wir haben unterschiedliche Clips produziert, damit Menschen auf
       diesem Wege Informationen darüber bekommen, wer Hirschfeld gewesen ist. Wir
       weisen unter anderem auch darauf hin, dass sein Institut für
       Sexualwissenschaften weltweit das erste seiner Art war. Auch da war er ein
       Pionier. Und wir zeigen, dass sein Institut auf dem heutigen Gelände des
       Haus der Kulturen der Welt gestanden hat.
       
       Das wusste ich noch nicht. 
       
       Das ist ja der Grund dafür, dass das Haus der Kulturen der Welt heute eine
       Magnus-Hirschfeld-Bar und einen Lili-Elbe-Garten hat.
       
       Warum Lili Elbe? 
       
       Weil Magnus Hirschfeld die vermutlich erste geschlechtsangleichende
       Operation an Lili Elbe durchgeführt hat. Lili Elbe war eine dänische
       Malerin. Haben Sie zufällig [5][„The Danish Girl“] gesehen? Der Film
       erzählt die Geschichte von Lili Elbe. Und im Film sagt sie, dass sie nach
       Deutschland geht, um sich in einer Klinik von Magnus Hirschfeld der
       Operation zu unterziehen.
       
       Neben der breiten Kampagne, um Hirschfeld wieder bekannter zu machen, wird
       es Veranstaltungen geben … 
       
       … Lesungen, Talks in Volkshochschulen, Stadttouren, es gibt Vereine und
       Träger, die ihre eigenen Programme anbieten. Und wir haben einige
       Unternehmen, die sich engagieren, indem sie ihre Kundschaft und
       Mitarbeiterschaft über den Gedenktag informieren, über die internen und
       auch externen Kommunikationswege.
       
       Das ist eine interessante Herangehensweise. 
       
       Unser Ziel war es ja, möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen zu
       erklären, warum es diesen Tag gibt. Die Berliner Sparkasse zum Beispiel
       bietet ihren Mitarbeitenden eine Führung durch den Regenbogen-Kiez an. Die
       Rewe-Gruppe weist in allen internen Medien und in der App auf den Tag hin –
       das alles ist eingebettet im Kontext von Vielfalt am Arbeitsplatz. Die
       Clubcommission macht mit, und somit erreichen wir auch viele junge
       Menschen. Die Komische Oper beteiligt sich im Aktionsmonat: Alle
       Aufführungen von [6][„La Cage aux Folles“] stehen in Zusammenhang mit dem
       Gedenktag. Am Tag selbst, also dem 14. Mai, wird das Stück gezeigt, davor
       gibt es eine Einführung ins Stück, die Bezug auf Magnus Hirschfeld nimmt,
       und später ein feierliches Zusammensein. Gleichzeitig hat die Komische Oper
       in ihren digitalen Formaten und ihrem Magazin über Hirschfeld informiert.
       
       Weitere Unternehmen? 
       
       Siemens und auch Vattenfall beteiligen sich, die Deutsche
       Rentenversicherung ist mit dabei.
       
       Das ist breit gestreut. 
       
       Ja, unser Ziel war es wirklich, in die Stadtgesellschaft hineinzugehen und
       breit zu informieren. Wir haben alle Werbematerialien zur Verfügung
       gestellt, in allen möglichen Variationen auch Biografien erstellt, von kurz
       bis ausführlich … Wir haben versucht, es so niederschwellig wie möglich zu
       machen. Es ist zudem eine gute Gelegenheit, mal jenseits der
       [7][Pride-Saison] auf die Vielfalt und der Forderung nach Respekt und
       Akzeptanz aufmerksam zu machen.
       
       Und am Gedenktag selbst? 
       
       Am 14. Mai, einem Dienstag, gibt es eine Kranzniederlegung an der
       Gedenkstelle gegenüber des Rathauses Charlottenburg, wo Hirschfeld gelebt
       hat. Und am Vorabend, dem 13. Mai, findet die [8][große Festveranstaltung]
       mit einem tollen Programm statt.
       
       13 May 2024
       
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 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Magnus_Hirschfeld
 (DIR) [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Stonewall
 (DIR) [5] /Mainstream-Film-The-Danish-Girl/!5266095
 (DIR) [6] /Barrie-Koskys-La-Cage-aux-Folles/!5912039
 (DIR) [7] https://www.visitberlin.de/de/lgbti-veranstaltungen-berlin
 (DIR) [8] https://magnus-hirschfeld-tag.de/
       
       ## AUTOREN
       
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