# taz.de -- Roadmovie von Cohn-Bendit: Es regiert der Ball
       
       > Daniel Cohn-Bendit war während der Fußball-WM mit dem VW-Bus in Brasilien
       > unterwegs. Sein Film zeigt die politische Dimension des Spiels.
       
 (IMG) Bild: Im Film kommt kein einziger Ballwechsel vor: Das Drama der Copa spiegelt sich nur in den Augen der Zuschauer.
       
       Wer mit der „Mannschaft“ als Film zur Fußball-WM nicht zufrieden war, für
       den kommt Daniel Cohn-Bendits Roadmovie [1][„Futebol e vida“] gerade recht:
       ein persönliches, im besten Sinne herzergreifendes Logbuch über das
       Verhältnis von Fußball, Politik und Leben.
       
       Den Abschied von Brüssel hat sich der ehemalige Europaabgeordnete von
       langer Hand mit dem Plan versüßt, im Juni und Juli 2014 auf den Spuren der
       Seleção durch Brasilien zu touren. Und zwar mit seinem Sohn, dem
       Filmemacher [2][Niko Apel].
       
       Der 87-minütige Film beginnt am Strand von Rio, auf der Küstenstraße bleibt
       ein Camping-Bulli („ungelogen: Jahrgang 68“) an einer Großleinwand stehen.
       Cohn-Bendit steigt aus, auf der Leinwand taucht vor seinem inneren Auge die
       2011 verstorbene [3][Fußball-Legende Socrates] auf und mit ihm die
       Erinnerung an die erste Begegnung des schlaksigen Spielers mit dem damals
       noch barockrunden Dany.
       
       ## „Siegen oder verlieren, aber immer mit der Demokratie!“
       
       1984 setzte Socrates sich als Spieler der Corinthians São Paulo für das
       Ende der Militärdiktatur und eine demokratische Mannschaftsführung ein. Im
       Stadion wurde ein Spruchband entfaltet: „Siegen oder verlieren, aber immer
       mit der Demokratie!“ Ein magischer Moment: Der Fußball war politisch
       geworden und die Politik mitten auf dem Fußballfeld angekommen.
       
       Von diesem Erinnerungsort startet die Tour 7.500 Kilometer durch das Land
       im Tross der brasilianischen Auswahl, die dreißig Jahre später
       intellektuell wie spielerisch ein Schatten ihrer selbst ist. Beim FedCup
       2013 hatten noch Zigtausende demonstriert, bei der WM selbst gab es nur
       noch wenige Proteste, das Volk stand hinter seiner Mannschaft. Es regierte
       der Ball.
       
       Das Schöne an der Dokumentation ist, dass sie sich ständig um Fußball dreht
       und kein einziger Ballwechsel vorkommt. Das Drama der Copa spiegelt sich
       nur in den Augen der Zuschauer beim Public Viewing, mit jeweils
       eingeblendetem Spielstand, bis zum bitteren Endstand 1:7. Kein
       Sommermärchen, nirgendwo.
       
       Auf Danys Beifahrersitz nehmen Zeitzeugen von damals und Aktivisten von
       heute Platz, einleitend und abschließend der Jugendtrainer Paolo Chipa.
       Wladimir, Socrates’ Adjutant, erklärt Fußballdemokratie; Sergio Vaz
       organisiert ein Anti-Fifa-Poetry Slam, Karla Oliveira von der Bewegung der
       Landlosen widmet ihr Leben dem Sozialismus. Kommentar Cohn-Bendit: „Da habe
       ich mich selbst überrascht – wie damals im Kibbuz: wie schön kann die Idee
       des Sozialismus sein, wenn sie so aufrichtig ist.“
       
       ## Großmacht auf tönernen Füßen
       
       Socrates’ jüngerer Bruder Rai, der im Ausland unter anderem bei Paris
       Saint-Germain gespielt hat, hat von Europa Egalitarismus gelernt. Die
       Mülltrennung in der Favela erwärmt das Herz des Grünen, auch die
       Footvolley-Weltmeisterinnen Lana und Patricia, und mehr noch, als das
       Produktionsteam außerplanmäßig im Reservat der Guarani den jungen Wera
       aufspürt, der bei der Eröffnungsfeier das rote Transparent „Demarcacao ya!“
       hochgehalten hat.
       
       Die indigene Bevölkerung fordert mehr Land von der Regierung, doch im
       Fernsehen war davon nichts zu sehen – Fifa-Zensur. Und dann sind da noch
       Yoca Kfouri, Sportreporter, vor vierzig Jahren war er Chauffeur des
       Stadtguerilleros Carlos Marighela und kämpft heute gegen die Fifa, und
       Alfredo Sirkis, auch Exguerillero, der heute den Reformismus der kleinen
       Schritte predigt.
       
       Der Film liefert ein entspanntes, aber hochkonzentriertes Porträt einer
       Großmacht auf tönernen Füßen, deren Widersprüche am besten „Monseigneur“,
       der weltberühmte Jazzgitarrist und linke ehemalige Kulturminister Gilberto
       Gil, erklärt. Der Candomblé-Priester Dotéo Amilton entpuppt sich als der
       zornigste Copa-Gegner. Cohn-Bendit ist ihnen ein wahrhaft sokratischer
       Gesprächspartner und bekennt am Ende: „Ich habe meine Lust an der Utopie
       wiedergefunden, es zählen die kleinen, aber dauerhaften Revolten.“
       
       Revolution, das war einmal. Aber Chipa hofft, das Volk sei kritischer
       geworden und würde bei den nächsten Wahlen anders wählen. Mit ihm spielt
       Dany, der immer für Argentinien war, Schürrles Pass und Götzes Treffer
       nach, noch ein Wermutstropfen. Der Film bereitet schon vor auf die Pein von
       2018 und 2022: Werden die Anhänger des „jogo bonito“ den unumgänglichen
       Boykott der WM in Russland und Katar mittragen?
       
       10 Mar 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.arte.tv/guide/de/048000-000/futebol-e-vida
 (DIR) [2] /!57398/
 (DIR) [3] /!140008/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claus Leggewie
       
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