# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Hass in Zeiten der Masern
       
       > „Von Experten lassen wir uns gar nichts sagen.“ Diese Haltung vieler
       > Impfgegner kam ursprünglich von den Ökos. Jetzt beflügelt sie
       > Verschwörungstheorien.
       
 (IMG) Bild: Erderwärmung? So ein Quatsch, die Erde kühlt ab! Und Impfen ist übrigens ungesund
       
       Nichts ist in diesen Tagen so ansteckend wie die Wut auf die Impfgegner.
       Unser Freund J. mit einem kleinen Kind schließt genervt die Augen und
       zischt: „Diese Vollidioten!“, wenn er an die Debatten in der Kita denkt.
       Immerhin geht in und um Berlin die Angst vor einer Masernepidemie um, ein
       kleines Kind ist bereits gestorben, und die Bundesregierung denkt darüber
       nach, ob man die Menschen zum Impfen zwingen kann.
       
       Ein anderer Bekannter, der ein langes Physikstudium hinter sich hat, sagt:
       „Wenn beim Hausfest die Familie aus dem zweiten Stock mit ihren
       Verschwörungstheorien zum Impfen anfängt, verdrücke ich mich schnell zum
       Grill. Sonst passiert ein Unglück.“
       
       So schimpfen wir alle mit Recht und Selbstgerechtigkeit auf die Eltern, die
       mit ihrem „Du, die Impfung nutzt nur der Pharmaindustrie“ ihre eigenen
       Kinder, deren ungeschützte Altersgenossen [1][und eine erfolgreiche
       Gesundheitsvorsorge gefährden]. Aber wir sehen nicht, dass die Einstellung
       der Impfioten inzwischen weit verbreitet ist: „Von Experten lasse ich mir
       gar nichts sagen!“ Und dass die grünen Aufklärer – und wir Journalisten –
       dabei zumindest Beihilfe geleistet haben.
       
       Denn wenn die Umweltbewegung in Deutschland und weltweit etwas erreicht
       hat, dann das: Der Ratschlag von Fachleuten wird nicht einfach so
       hingenommen, wenn er nicht in den Kram passt. Mit dem Argument „Geht nicht,
       gibt’s nicht!“ schmetterten schließlich jahrzehntelang die Hohepriester des
       Sachzwangs alle Forderungen nach Industrie ohne Gift, Strom ohne Atom oder
       Fleisch ohne Doping ab.
       
       ## Vertrauen auf Dr. Google
       
       Und die Wissenschaft hat sich oft genug kaufen lassen oder sich in
       Sackgassen verrannt: vom Freispruch für gefährliche Chemikalien bis zu
       Universitäten voller Ökonomen, die auch nach Internetblase und Finanzcrash
       von der Richtigkeit ihrer falschen Theorien überzeugt bleiben.
       
       Die Folge: Misstrauen gegen eine Wissenschaft, die weniger Wissen als
       Fakten schafft; Do-it-yourself in Forschung und Praxis, die Suche nach
       alternativen Wegen. Und seit es das Internet gibt, googelt sich sowieso
       jeder zurecht, welche Fakten er glaubt.
       
       Auf den Trümmern der Experten-Diktatur blühen nun viele hässliche Pflanzen.
       Weil immer weniger Menschen Wissenschaft verstehen oder ihr vertrauen,
       können die „Klimawandelleugner“ den gequirltesten Blödsinn („Die Erde kühlt
       sich ab!“) als Erkenntnis vortragen. Weil keine Sau die Eurorettung
       kapiert, kann die AfD Gold als sichere Anlage empfehlen. Weil sie die
       Grundlagen der Statistik ignorieren, können Fremdenfeinde behaupten,
       Deutschland sei kein Einwanderungsland.
       
       ## Noch mehr Aufklärung
       
       Und weil die Politik zwischen Ukraine und Endlagerkommission immer
       komplexer wird, gedeihen die Verschwörungstheorien. Bei Schmerzen am
       Hintern fragen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker, sondern surfen auf der
       Webseite www.Arschkrebs.de. Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.
       
       Was hilft gegen zu viel Aufklärung? Noch mehr Aufklärung! Wissenschaft und
       Politik noch offener betreiben. Auch mal deutlich sagen, von wem wer
       bezahlt wird und was wir alles nicht wissen. Und sich an den alten
       Grundsatz halten: „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht
       auf eigene Fakten.“
       
       Bisher habe ich den Klimaleugnern entgegengehalten: „Wenn Ihre Tochter
       hohes Fieber hat und 97 von 100 Ärzten raten zu einem bestimmten Medikament
       – welchem Rat würden Sie folgen?“ Denke ich an Impfgegner, muss ich mir
       wohl ein neues Argument einfallen lassen.
       
       6 Mar 2015
       
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