# taz.de -- Debatte Aufklärung in der Schule: Sexualpädagogik hat Grenzen
       
       > Das Thema Sex im Schulunterricht darf das Schamgefühl der Kinder nicht
       > verletzen. Sonst können sie leichter Opfer von Missbrauch werden.
       
 (IMG) Bild: Scheinbar lief bei ihrer Sexualerziehung nichts schief.
       
       Kinder und Jugendliche brauchen dringend Orientierung im Dschungel der
       sexuellen Botschaften und des heute jederzeit zugänglichen sexuellen
       Bildmaterials. Deshalb ist es auch Aufgabe schulischer Sexualpädagogik,
       Eindrücke zu sortieren, Falschinformationen richtigzustellen und zu
       vermitteln, dass bestimmte Themen zur Sexualität Erwachsener gehören
       beziehungsweise gehören können. Sexualpädagogik darf der Wissensflut nicht
       noch mehr Details hinzufügen und die Sexualität restlos ausleuchten.
       
       Sexualpädagogik muss besonders sensibel mit den Grenzen von Intimität und
       Scham von Schülerinnen und Schülern umgehen. Dieser Leitgedanke sollte für
       alle von ihr verwendeten Methoden gelten. Hier setzt meine Kritik an dem
       von [1][Elisabeth Tuider durch ihr Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ zur
       Diskussion] gestellten Ansatz an. Wenn beispielsweise Schülerinnen und
       Schüler in ihrer Klasse über ihre eigenen sexuellen Erfahrungen sprechen
       sollen, ist das grenzüberschreitend und nicht akzeptabel.
       
       Schamgefühl ist ein wichtiger Schutz für Mädchen und Jungen, um zu spüren,
       wann ihre Grenzen verletzt werden, und sich entsprechend zu schützen. Es
       ist eine bekannte Täterstrategie, Kinder in Gespräche mit sexuellen Themen
       zu verwickeln und ihre schützenden Widerstände mit falscher Scham abzutun.
       Bei Mädchen und Jungen, die Grenzüberschreitungen gewohnt und deshalb
       desensibilisiert sind, haben die Täter ein leichteres Spiel. Deshalb ist es
       so wichtig, dass diese Grenze in der Sexualpädagogik nicht überschritten
       wird, sondern ganz im Gegenteil die Bedeutung von Intimität sowie der
       achtsame Umgang mit den eigenen Grenzen und dem eigenen Körper („Mein
       Körper gehört mir“) vermittelt werden.
       
       Aktuelle Empfehlungen für die Bildungspläne der Länder, sexuelle Vielfalt
       fächerübergreifend an Schulen zu behandeln, wurden in den letzten Monaten
       immer wieder gleichgesetzt mit Empfehlungen aus dem Methodenbuch
       „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von Elisabeth Tuider. Eine unzulässige
       Vermengung, die eine Welle von unberechtigter Kritik und Stimmungsmache
       gegen modernde Sexualpädagogik hervorgerufen hat.
       
       ## Gegen pauschale Kritik
       
       Ich trete pauschalen Anfeindungen gegen eine moderne Sexualpädagogik
       ausdrücklich entgegen. Grenzachtende moderne Sexualpädagogik ist sehr
       wichtig für den verantwortungsvollen und respektvollen Umgang mit Beziehung
       und Sexualität, für die Vermeidung von sexueller Gewalt und ein offenes und
       tolerantes Miteinander, das sich an heutigen Lebenswelten orientiert.
       
       Moderne Sexualpädagogik muss sich aber offensiv der kritischen Prüfung
       stellen: Wann entfaltet sie positive präventive Wirkung und wann werden
       durch ihre Instrumente und Methoden unverantwortlich Grenzen überschritten?
       
       Sexualpädagogische Arbeit muss allen Schülerinnen und Schülern gerecht
       werden – auch denen, die von sexueller Gewalt betroffen sind. Deshalb muss
       bei der Entscheidung für Themen und Methoden auch immer bedacht werden, wie
       sich Mädchen oder Jungen fühlen, die missbraucht wurden.
       
       ## Vorbeugung ist wichtig
       
       Sexualpädagogik ist für die Prävention von sexueller Gewalt von großer
       Bedeutung. Sie kann den entwicklungspsychologisch völlig natürlichen
       Wissensdurst von Mädchen und Jungen zu sexuellen Fragen in einem
       pädagogischen Kontext stillen. Sie macht Kinder sprachfähig zu sexuellen
       Themen. Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung dafür, dass sich Kinder
       bei sexuellen Übergriffen überhaupt anvertrauen und Hilfe holen können.
       Mädchen und Jungen brauchen dieses Wissen aber auch, um Täterstrategien
       eher zu erkennen, um nicht leicht manipuliert oder perfide ausgenutzt zu
       werden.
       
       Schülerinnen und Schüler müssen wissen, dass sexuelle Übergriffe keine
       Spielart von Sexualität sind, sondern pure Gewalt, die sich sexueller
       Mittel bedient. Sexualpädagogik kann vermitteln, dass Sexualität wertvoll
       für das menschliche Leben ist, während sexuelle Gewalt schwere Folgen haben
       und die Fähigkeit, zu vertrauen, schwer belasten kann. Sexualpädagogik muss
       Antworten darauf finden, dass Mädchen und Jungen oft schon ein sexuelles
       Wissen besitzen, das für ihre eigene psychosexuelle Entwicklung noch gar
       nicht relevant ist und sie zum Teil nachhaltig verstören und verunsichern
       kann.
       
       Ich halte es angesichts der aktuellen Debatte für unabdingbar, dass Schule
       und Elternhäuser bei diesen Themen enger zusammenwirken und sich ergänzen.
       Das Recht der Eltern auf Information darf keine Formalie sein. Schulen
       können Elternverantwortung nicht übernehmen. Elternabende bieten die
       Chance, das Vertrauen der Eltern in die schulische Sexualerziehung und ihre
       Anliegen zu gewinnen, Unsicherheiten abzubauen und Eltern zu ermutigen,
       dieses Bildungsthema nicht an die Schule abzutreten, sondern es aktiv
       mitzugestalten.
       
       16 Feb 2015
       
       ## LINKS
       
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