# taz.de -- Buchhandel in Deutschland: Finden Sie Amazon auch so toll?
       
       > Verdi, Verlage, Leser: Alle schimpfen gerade auf den Onlinehändler. Und
       > loben die kleine Buchhandlung. Nur nicht unser Autor.
       
 (IMG) Bild: Die kleine Buchhandlung um die Ecke. Hier: in München um die Ecke.
       
       Buchhandlungen werden behandelt wie Eisbärenbabys: Jeder findet sie süß und
       schützenswert, aber nur die Wenigsten tun etwas, um sie zu retten. Beide
       sind in ihrer Existenz bedroht – die einen durch das Internet, die anderen
       durch den Klimawandel.
       
       Der Umgang mit Büchern und den Orten, an denen sie verkauft werden, hat
       hierzulande etwas komisch Moralisches. Die Literaturredakteurin der Zeit,
       Iris Radisch, hat im vergangenen Sommer einen Text über Amazon mit den
       Worten „Ich gestehe“ eröffnet und diese Entschuldigung angefügt: „Wer in
       einem Dorf wohnt, in dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, bestellt schnell
       mal bei Amazon.“ Woher kommt diese Verdruckstheit? Warum ist es so schwer
       zuzugeben, dass man bei Amazon Bücher kauft?
       
       Wie klingt, zum Vergleich, folgendes Geständnis? „Ich gestehe: Ich habe es
       auch getan. Sogar sehr oft. Wer in einem Dorf wohnt, in dem nur zweimal am
       Tag ein Bus hält, bestellt schnell mal bei Zalando Schuhe“. Klingt komisch,
       oder? Schuhe bei Zalando zu bestellen, wird für die Wenigsten ein Grund für
       ein Geständnis sein.
       
       Warum eigentlich? Bei Zalando herrschen, wie bei Amazon, problematische
       Arbeitsbedingungen. Zalando bringt, wie auch Amazon, den Einzelhandel in
       Schwierigkeiten. Bei Zalando zeigen sich, wie bei Amazon, Symptome eines
       kranken Systems. Der Unterschied ist: Im einen Fall geht es um Bücher, im
       anderen um Schuhe. Und das Buch gilt in Deutschland als heiliges Kulturgut.
       
       Der Buchhändler ist im kollektiven Bewusstsein als sympathische Figur
       verankert, er sieht aus wie Hugh Grant in „Notting Hill“: hinter sorgsam
       gestapelten Buchpyramiden wartend, charmantes Lachen, immer bereit für
       einen fachkundigen Tipp. Die Buchhandlung um die Ecke ist, wie der
       Italiener um die Ecke, ein hoffnungslos verkitschter Sehnsuchtsort.
       
       ## „Ein Buchladen zum Verlieben“
       
       Empfehlung am Rande: Wer mehr von diesem Kitsch will, sollte Katarina
       Bivalds Bestseller „Ein Buchladen zum Verlieben“ lesen. Die Handlung: Eine
       arbeitslose Schwedin gerät nach Iowa in die Einöde, eröffnet dort einen
       kleinen Buchladen und rettet die Einwohner des Kaffs „Broken Wheel“ vor
       deren Kultur- und Hoffnungslosgkeit. Wenn Sie Amazon und die USA eher
       kritisch sehen, dann werden Sie dieses Buch lieben.
       
       Schon in den Schulen werden wir, mit moralischem Impetus, dazu gebracht,
       Bücher zu lesen, die wir nicht lesen wollen. Es ist doch verständlich, dass
       ein Siebzehnjähriger wenig mit Emilia Galotti anfangen kann. Und wenn er
       stattdessen die Serie „Homeland“ guckt, dann nicht, weil er lustlos ist.
       Sondern weil „Homeland“ besser unterhält als Gotthold Ephraim Lessing. Es
       ist bei Büchern wie bei Zeitungen: Wenn das Medium nicht überzeugt, dann
       ist das selten die Schuld des Lesers.
       
       ## Wer keine Lust hat zu lesen, muss nicht lesen
       
       Die Moral bringt weder jemanden dazu, ein Buch zu verschlingen, noch eine
       Buchhandlung zu betreten. Wer keine Lust hat zu lesen, muss nicht lesen.
       Wer online Bücher bestellen will, soll online bestellen. Es ist nicht
       verwerflicher, als sich Pizza bringen zu lassen oder einen Urlaub im
       Internet zu buchen.
       
       Das, was uns Amazon bringen wird, ist für viele ein Segen.
       
       Für Menschen zum Beispiel, die sich gerne zu Hause verstecken. Für alle,
       die Fußgängerzonen hassen. Es gibt Leser, die warten nur darauf, dass ihnen
       die Amazon-Drohne ins offene Fenster fliegt und ihnen das Buch bringt, für
       das sie sich, ohne Beratung und menschlichen Kontakt, in freier
       Entscheidung und spontaner Laune entschieden haben.
       
       Geht es Ihnen wie unserem Autor? Oder lieben Sie Amazon aus anderen
       Gründen? Tun Sie gar nicht? Wenn jemand so positiv über diesen Konzern
       schreibt, regt Sie das auf? 
       
       Diskutieren Sie mit! 
       
       Die Titelgeschichte „Oh, Amazon“ lesen Sie in der [1][taz.am wochenende vom
       20./21. Dezember 2014.]
       
       19 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ausgabe-vom-20/21-Dezember-2014/!151525/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Dachsel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Amazon
 (DIR) Buchhandel
 (DIR) Eisbären
 (DIR) Amazon
 (DIR) Verdi
 (DIR) Buchhandel
 (DIR) Kinderpornografie
 (DIR) Streitfrage
 (DIR) Amazon
 (DIR) Streik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Handel mit antiquarischen Büchern: Die Amazonisierung der Nische
       
       Ab November ändert Deutschlands größtes Onlineportal für antiquarische
       Bücher seine Bedingungen – zulasten kleiner Händler.
       
 (DIR) Arbeitskampf bei Amazon: Erneut Streiks im Vertrieb
       
       An fünf Standorten ruft die Gewerkschaft Verdi zu Streiks auf. Die
       Beteiligung sei „zurückhaltend“, so Amazon. Verdi gibt sich derweil
       kämpferisch.
       
 (DIR) Krise der Verlagsgruppe Weltbild: Jede zweite Filiale verkauft
       
       Vor einem halben Jahr schien der ehemalige Kirchenkonzern Weltbild
       gerettet. Doch nun sollen weitere Jobs gestrichen werden.
       
 (DIR) Amazon in Japan: Bücher mit Kinderpornografie online
       
       Verkauf, Vertrieb und Besitz von Büchern mit kinderpornografischen Bildern
       sind in Japan verboten. Nun tauchten solche bei dem Onlineversandhändler
       auf.
       
 (DIR) Die Streitfrage: „Pakete von Oma nehme ich an“
       
       Ist es okay, Pakete von Amazon für die Nachbarn anzunehmen, während Verdi
       streikt? Linke-Chef Bernd Riexinger sagt nein.
       
 (DIR) Online- und Offline-Buchhandel: Sieben Alternativen zu Amazon
       
       Kaufen Sie Ihre Bücher auch immer bei Amazon? Aber jedes Mal mit schlechtem
       Gewissen? Das muss nicht sein.
       
 (DIR) Streik bei Amazon: Verdi setzt auf Konfrontation
       
       Auch am fünften Streiktag legen Mitarbeiter des Versandhändlers Amazon die
       Arbeit nieder. Eine Einigung ist nicht in Sicht.