# taz.de -- Hartz IV-Entscheidung in München: Kostenlose Pille statt Stigma
       
       > In München zahlen Hartz-IV-Empfängerinnen selbst für ihre Verhütung –
       > bislang. Doch das Geld der Betroffenen reicht dafür nicht immer.
       
 (IMG) Bild: Kostet im Schnitt zwischen 6 und 18 Euro im Monat: die Pille.
       
       BERLIN taz | Eine 27-jährige Frau mit Borderline-Störung hat bereits drei
       Kinder, die sie selbst nicht versorgen kann. Sie leben in Pflegefamilien.
       Die Münchnerin will keine Kinder mehr, sie ist bereits einmal ungewollt
       schwanger geworden und musste abtreiben. Aber als Hartz-IV-Empfängerin
       reicht das Geld nicht für die Verhütung. Was nun?
       
       Unter 400 Euro stehen einer Hartz-IV-Empfängerin im Monat zu. 16,81 Euro
       davon sieht der Staat für Gesundheitspflege vor. Darunter fallen alle nicht
       verschreibungspflichtigen Medikamente, bei Frauen also auch die Verhütung.
       Geht man davon aus, dass die Pille zwischen 6 und 18 Euro im Monat kostet
       und man ja auch mal in Nasenspray gegen den Schnupfen investieren muss,
       dann wird das ganz schön knapp.
       
       Deshalb entscheidet der Münchner Stadtrat am Mittwoch darüber, ob er ab
       Januar 2015 die Kosten für alle Verhütungsmittel von
       Hartz-IV-Empfängerinnen in München übernimmt. Davon würden Frauen wie die
       27- jährige Münchnerin profitieren. Die Pille, den Verhütungsring, die
       Verhütungsspirale und sogar Sterilisationen – alles kostenlos. Der
       Sozialausschuss hat bereits am 4. Dezember dafür gestimmt, die
       Mehrheitsverhältnisse sind dort die gleichen wie im Stadtrat.
       
       Betroffen sind davon mehr als 20.000 Frauen zwischen 20 und 50, für die die
       Stadt 1,6 Millionen Euro zur Verfügung stellen will.
       
       Seit das Vorhaben bekannt ist, wird viel diskutiert. Es werden Studien
       darüber angeführt, dass Frauen aus prekären Verhältnissen immer weniger
       verhüten, dass sie deshalb häufiger ungewollt schwanger werden und
       abtreiben. Dann wird gerne argumentiert, dass der Freistaat Bayern jede
       Abtreibung bezahle. Das koste jedes Mal über 400 Euro.
       
       ## Studien nicht repräsentativ
       
       Repräsentativ sind diese Studien nicht. „Es geht hier nicht darum, die
       armen Frauen zu stigmatisieren“, betont Christian Reisenberg,
       Geschäftsführer von ProFamilia München. „Aber jeder Mensch hat das Recht
       auf sexuelle Selbstbestimmung, also auch auf Familienplanung.“ Dieses
       UN-Recht sei aber nur ausübbar mit den entsprechenden finanziellen
       Möglichkeiten.
       
       Stadtkämmerer Ernst Wolowicz (SPD) kritisiert, dass die kostenlosen
       Verhütungsmittel einer freiwilligen Regelsatzerhöhung gleichkämen. „Warum
       stocken wir gerade in dem Bereich auf? Bei den Regelsätzen ist es objektiv
       überall zu wenig.“
       
       Doch dieser Protest ist im Grunde überholt. In einigen Städten und
       Landkreisen bekommen Bedürftige schon seit 2008 die Pille umsonst. Der
       Rechnungshof in Berlin hat die Regelung für legitim befunden, solange die
       Frauen die kostenlose Verhütung beantragen und nicht automatisch bekommen.
       
       Reisenberg will eigentlich zurück zur alten Regelung. Vor Hartz IV wurden
       Verhütungsmittel an alle bedürftigen Frauen ausgegeben.
       
       Der Weg dahin ist ein weiter. Zwar forderte selbst die Frauen-Union beim
       letzten CSU-Parteitag die kostenlose Pille für Hartz-IV-Empfängerinnen.
       Doch weil Ministerpräsident Horst Seehofer zu lange redete, wurde der
       Tagesordnungspunkt einfach gestrichen.
       
       17 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Backes
       
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