# taz.de -- Schreibworkshop NaNoWriMo: No Plot? No Problem!
       
       > Jedes Jahr versuchen Hobbyschriftsteller 50.000 Wörter zu schreiben –
       > innerhalb eines Monats. So soll der „innere Lektor“ abgestellt werden.
       
 (IMG) Bild: 300.000 Menschen nehmen am NaNoWriMo teil.
       
       HAMBURG taz | Johanna Gerhart ist als Glücksbärchi verkleidet. Auf ihrem
       rosa Pulli trägt sie das Bild einer Feder, sie ist ein Schreibbärchi. Es
       ist der 31. Oktober, Halloween. Aber es geht hier nicht ums Gruseln,
       sondern ums Schreiben. Schreiben nehmen Gerhard und ihre Freundinnen sehr
       ernst.
       
       Fünf verkleidete Frauen sitzen um einen Wohnzimmertisch und essen Kuchen:
       Es gibt wildere Partys, aber die Stimmung ist aufgeregt. „Ich kann es gar
       nicht erwarten“, sagt Gerhard. Noch eine halbe Stunde, dann dürfen sie
       endlich anfangen zu schreiben. Gerhard liebt das Schreiben. Aber warum legt
       sie dann nicht einfach los? „Das wäre gegen die Regeln“, sagt sie. Sie muss
       warten, bis eine Sekunde nach Mitternacht, dann beginnt der November und
       mit ihm der National Novel Writing Month, kurz [1][NaNoWriMo].
       
       Der NaNoWriMo ist so etwas wie die größte Schreibgruppe der Welt. Über
       300.000 Menschen nehmen an ihm teil. Vor allem aber ist der NaNoWriMo eine
       Herausforderung. In 30 Tagen sollen 50.000 Wörter geschrieben werden. Die
       Idee dahinter ist es, den „inneren Lektor“, wie es die NaNo-Community
       nennt, abzustellen. Große Literatur ist eine komplizierte Sache. Aber
       einfach nur ein Buch schreiben, das kann man mit ein bisschen Disziplin
       schaffen.
       
       Und darum geht es beim NaNoWriMo: dass man was schafft. Dass man endlich
       mal was aufschreibt, ohne es ständig nochmal zu lesen und sich zu denken:
       Das ist scheiße, das muss ich noch mal schreiben. Dass man die Ideen, die
       man mit sich herumträgt, endlich zu Papier bringt. Der NaNoWriMo macht
       Hunderttausend Hobbyschreiber zu Schriftstellern.
       
       Auf der Website des NaNoWriMo klingt das so: „310.095 Teilnehmer begannen
       den Monat als Automechaniker, arbeitslose Schauspieler und
       Grundschullehrer. Sie beendeten ihn als Schriftsteller.“
       
       ## Zufriedenheit statt großer Literatur
       
       50.000 Wörter sind ein machbares Ziel, das ist ungefähr die Länge von „Der
       große Gatsby“. Es geht dabei aber nicht darum, große Literatur zu
       schreiben: Zufriedenheit ist der einzige Lohn. Bis zum 30. November um 24
       Uhr muss man seinen Text auf der NaNo-Webseite einreichen. Wer die 50.000
       geknackt hat, wird zum „Gewinner“ ernannt. Mehr nicht.
       
       Johanna Gerhard ist 26, sie arbeitet in der Personalabteilung eines
       Unternehmens, das Chips für Giro- und Kreditkarten herstellt – und sie war
       schon fünf Mal ein „Gewinner“. Mit ihrem Freund bewohnt Gerhard ein
       Apartment im Hamburger Vorort Pinneberg. Im Regal stehen die gesammelten
       Bände von George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“, besser bekannt
       als „Game of Thrones“, und Liebesromane von JoJo Moyes.
       
       Gerhard würde selbst gern ein Buch schreiben, eines, mit dem sie so
       zufrieden ist, dass sie es einem Verlag anbieten würde. Das verlangt viel
       Arbeit, das weiß sie. „Alleine schaffe ich es nicht, mich aufzuraffen“,
       sagt Gerhard, „wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, dann sind mein
       Bett, mein Sofa, meine Badewanne einfach verführerischer.“
       
       Der NaNoWriMo funktioniert ein bisschen wie eine Selbsthilfegruppe: Während
       der 30 Tage sollen sich die Teilnehmer in den NaNo-Foren gegenseitig
       unterstützen. Zudem verschicken die Organisatoren regelmäßig Nachrichten
       mit Tipps gegen Schreibblockaden und motivierende Ansprachen, sogenannte
       pep talks. Überhaupt ist die Sprache des NaNoWriMo geprägt von einem
       eindringlichen Motivationston. Das offizielle Motto lautet: „The World
       Needs Your Novel“, das Mantra seiner Teilnehmer: „Quantity over Quality“;
       und Chris Baty, der den NaNoWriMo 1999 erfand, ist Autor des Buches „No
       Plot? No Problem!: A Low-Stress, High-Velocity Guide to Writing a Novel in
       30 Days“.
       
       ## Sich gegenseitig unterstützen
       
       Die Teilnehmer des National Novel Writing Month treffen sich auch in der
       echten Welt, das ist vom US-amerikanischen Hauptquartier, dem „Office of
       Letters and Light“, so gewollt. Man soll sich gegenseitig unterstützen.
       Etwa 20 Leute sitzen im Séparée eines Restaurants im Hamburger Stadtteil
       Altona und gucken in ihre Laptops. Nur zwei von ihnen sind Männer. Einer
       der beiden ist Andreas Meyer, 37, Ingenieur für Windkraftanlagen. „Leute
       mit Übergewicht könnten auch einfach abnehmen“, sagt er, „trotzdem gehen
       sie zu Weight Watchers. In der Gruppe ist man einfach stärker.“
       
       Meyer, der unter dem Namen Aeric Winter schreibt, arbeitet schon seit
       einigen Jahren an seiner Geschichte. Perfekt durchorganisiert, mit
       Schreibsoftware und mehreren Testlesern, denen er immer wieder
       überarbeitete Passagen schickt. Sein Buch heißt „Remember September“ und es
       entstand beim NaNo 2010. Die Geschichte geht folgendermaßen: Ein Mann wacht
       eines Morgens auf und merkt, dass er sich an den vergangenen Monat nicht
       erinnern kann. Seine Welt hat sich verändert in diesem verlorenen Monat,
       und so macht er sich auf, herauszufinden, was passiert ist. „Da spielen
       auch übernatürliche Elemente rein“, sagt Meyer. „Am Anfang ist das Buch
       noch locker und ironisch. Bis der Erste stirbt.“
       
       Meyers großes Ziel ist die Veröffentlichung. Für ein Leben als
       Schriftsteller würde er sogar seinen gut bezahlten Job aufgeben. Dieses
       Jahr gewann er einen Wettbewerb für Kurzgeschichten. Zur Preisverleihung
       wurde er auf die Frankfurter Buchmesse eingeladen, wo er seine Geschichte
       einer Lektorin „gepitched“ hat. Deren Feedback war „durchaus positiv“, sagt
       Meyer. Jetzt will er einen Agenten finden, der ihn vertritt.
       
       ## Es gab schon Erfolge
       
       Der NaNoWriMo hat tatsächlich schon Erfolge hervorgebracht, vor allem in
       den USA. Das berühmteste Buch, das bei einem NaNo entstand, ist wohl Sara
       Gruens „Wasser für die Elefanten“. Hollywood nahm sich der Geschichte an
       und drehte einen langweiligen Film mit Christoph Waltz und Robert
       Pattinson. Erin Morgenstern stand mit ihrem Buch „The Night Circus“ sieben
       Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times. Auch in Deutschland
       haben Teilnehmer veröffentlicht. Ihre Bücher haben es aber auf keine
       Bestsellerliste geschafft.
       
       Es ist der 25. November, fünf Tage dauert der NaNo noch und Johanna Gerhard
       hat nichts mehr zu tun. Wieder sitze sie auf dem Sofa, erzählt sie am
       Telefon. Aber diesmal sei sie allein; und die Aufregung sei auch weg. „Ich
       habe den NaNo noch nie so schnell geschrieben wie in diesem Jahr“, sagt
       Gerhard. Am 19. hatte sie die 50.000 Wörter zusammen, drei Tage später war
       ihre Geschichte fertig. Gerhard war traurig, als sie das letzte Wort
       schrieb. „Die Stimmung, die ich dieses Jahr beim Schreiben hatte, in der
       wäre ich gerne länger geblieben.“
       
       Johanna Gerhard ist zufrieden mit sich. Von den vielen Teilnehmern beim
       NaNoWriMo schafft nur ein kleiner Teil überhaupt die 50.000 Wörter. Letztes
       Jahr waren es 14 Prozent, und von denen sind wiederum nur wenige so
       ambitioniert wie Meyer oder Gerhard. Die meisten schreiben einfach aus
       Spaß.
       
       Der National Novel Writing Month kanalisiert ein Bedürfnis, das mehr
       Menschen haben, als man glaubt: sich Geschichten auszudenken und sie
       aufzuschreiben. Figuren aus dem Nichts zum Leben zu erwecken und sie dann
       auch wieder umzubringen. Aber macht das die Leute schon zu Schriftstellern?
       
       Zumindest für Johanna Gerhard ist die Antwort ganz klar: „Ich schreibe was
       und schaffe was, egal ob ich es beende oder nicht“, sagt sie. Solange sie
       das täte, würde sie sich als Schriftstellerin bezeichnen. Sie überlegt kurz
       und sagt dann: „Vielleicht sogar, wenn ich nur vorhätte, es zu tun.“
       
       1 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://nanowrimo.org/regions/europe-germany
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Francesco Giammarco
       
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