# taz.de -- Komödien im Schauspiel Stuttgart: Drei Stunden später lacht man noch
       
       > Sei kreativ und unterhaltsam! Diesem Gebot begegnen René Pollesch und
       > Sebastian Hartmann im Schauspiel Stuttgart sehr unterschiedlich.
       
 (IMG) Bild: Christian Schneeweiß, Astrid Meyerfeldt, Peter Kurth und Johann Jürgens spielen Polleschs „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“.
       
       Die Komödie sei die Schwester der Tragödie, sagt man, die Parodie ein
       Mittel, angemessen mit dem Elend der Wirklichkeit umzugehen. René Polleschs
       „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“ und Sebastian Hartmanns
       „Staub“ feierten letztes Wochenende im Schauspiel Stuttgart Premiere und
       setzten Humor unterschiedlich ein.
       
       Renee Polleschs Stück „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“ ist ein
       Stück, das so tut, als sei es ein Witz. Treffen sich ein Bischof und zwei
       Italiener in der Garderobe. Sagt der Bischof: „Wie konnte ich nur
       vergessen, was die Arbeit ist, wir wollten natürlich den Imperativ
       durchnehmen.“ Antwortet ein Italiener: „Das ist ja komisch, ausgerechnet
       heute habe ich beschlossen, nicht mehr kreativ zu sein.“ Daraufhin Valerya
       Golodkina: „Weißt du, Liebling, wir sind keine Materialisten,
       materialistisch ist nur die Kirche.“
       
       Wenn man die Pointe verstanden hat, muss man heulen, weil es keine gibt. Es
       geht um die Arbeit, ganz klar. Da liegt eine übergroße Sichel auf der
       Bühne. Daneben ein vierstöckiges Hochbett, das bestimmt zur ökonomischen
       Unterbringung von Arbeitskräften gedacht ist. Beim Wink mit dem
       Riesenballon in Hammerform fühlt man sich schon fast beleidigt.
       
       ## Keine Lust zum Auftritt
       
       Damit ist die Eindeutigkeit aber auch erschöpft, genauso wie die Lust der
       Schauspieler, überhaupt aufzutreten. Zu viert tummeln sie sich hinter der
       Bühne in einem semisakralen Raum, der an Beichtstuhl und Garderobe
       erinnert, und diskutieren über Arbeit. Das Publikum sieht nur die
       Videoübertragung. Der Bademantel mit Kirchenfensteraufdruck steht Peter
       Kurth als Bischof hervorragend, knapp getoppt von Christian Schneeweiß in
       einer gesegneten Geschmacksverirrung aus Lackschuhen und Rosenhemd. Auch
       Astrid Meyerfelds Glitzerkleid harmoniert mit der religiösen Szenerie.
       
       Aber was hier diskutiert wird, passt eher auf ein linksorientiertes
       Symposium gegen kreative Arbeit als auf einen Gottesdienst.
       
       Wer sind die Schauspieler in diesem Arbeits- und Glaubensdiskurs? Was ist
       das überhaupt für ein Diskurs? Von der Arbeit ist bis auf ihre Symbole
       nicht viel geblieben.
       
       „Ist hier plötzlich jeder kreativ?“, stichelt Astrid Meyerfeld. „Ja, ich
       arbeite in der Stadtverwaltung“, entgegnet Christian Schneeweiß. „Alle
       haben eine Zange verschluckt, die man hier draußen ganz gut gebrauchen
       könnte. Keiner macht mehr seine Arbeit, sondern immer noch was dazu“,
       grübelt Peter Kurth.
       
       ## Keine Lust auf den Auftritt
       
       Jeder glaubt: an sich selbst und das, was er tut. Darauf haben die
       Schauspieler keine Lust mehr. Orthodoxie wird zur Antwort auf den
       Innovationszwang, der Materialismus zum Konzept gegen Selbstverwirklichung,
       und der Katholizismus ermisst Erlösung nach Taten statt nach Ideen.
       
       Moment, werden wir hier gerade von Herr Pollesch missioniert?
       
       Nein, das ist hier kein religiöses Lösungsangebot, sondern eine bittere
       Bestandsaufnahme. Vor lauter Kreativität sind wir mit dem todernsten
       Glauben an uns selbst verfallen. Der Imperativ „Sei kreativ!“ erweist sich
       als absoluter als manches Glaubensgebot.
       
       Wenn jeder nur noch selbst gemeint sein will, ist die Folge Einsamkeit, wie
       in einer Szene, über die auch Loriot kichern müsste. Da wird der Kauf eines
       Hörgeräts zum endlosen Verwechslungsschlamassel, weil keiner mehr den
       anderen versteht. Über dem Gelächter hängen der aufblasbare Hammer und die
       Worte des Schauspielers Johann Jürgens: „Wer eine Lösung sucht, sucht immer
       nach der Endlösung. Die ist nicht, sich Konfetti über die Haare zu streuen.
       Irgendwie witzig sein, darum kann’s nicht gehen. Die Lösung ist das
       Problem.“
       
       ## Zwischen Fun und Folter
       
       Vielleicht geht das aber doch mit dem Konfetti, mag sich Sebastian Hartmann
       bei der Inszenierung von „Staub“ gedacht haben. Diese fünfstündige Premiere
       im Stuttgarter Schauspielhaus hinterlässt Spuren zwischen Fun und Folter.
       Das Original „Purpurstaub“ stammt von Sean O’Casey. Weil davon in dieser
       Inszenierung nur noch Partikel übrig sind, bestand der Verlag auf einer
       Titeländerung. Tatsächlich scheint die Handlung nebensächlich. Zwei
       englische Herren kaufen ein baufälliges Haus in Irland, um sich auf dem
       Land dem richtigen Leben zu widmen. Ihre Vision entpuppt sich als Reinfall.
       
       Warum man dafür vier Stunden braucht? Man macht kreativ ganz viel dazu.
       
       Das war gemein.
       
       Aber zwischen Pantomime, Kabarett, Komödiantenstadel und Slapstickeinlagen
       empfindet man pure Aggression. Peter René Lüdickes und Sandra Gerlings
       Dialektimitationen grenzen an Körperverletzung. Über Holger Stockhausens
       Verbalverhedderungen lacht man selbst nach drei Stunden noch. Als in der
       letzten halben Stunde die Klamaukkritik einsetzt, hat man sich sein Hirn
       leider zu Staub zerlacht.
       
       Es sind auch schon Leute an Konfetti erstickt.
       
       7 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Engel
       
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 (DIR) René Pollesch
 (DIR) René Pollesch
       
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