# taz.de -- Kolumne Blicke: Masse Mensch
       
       > Ein Versuch über die Gefahren der großen Müdigkeit in der Knautschzone
       > Bahnsteigkante. Oder: Die Deutschen essen immer.
       
 (IMG) Bild: Die sind nicht gemeint: Fröhliche Models auf der Messe „Curvy is Sexy“
       
       Kürzlich stand ich am Hauptbahnhof, ich war hellwach, wie man hellwach ist,
       wenn man sich vollkommen übermüdet mit einem Kleinkind auf eine
       sechsstündige Zugfahrt begeben will.
       
       Es waren gar nicht so viele Leute am Gleis, aber die, die hier warteten,
       hatten in ihrer Mehrzahl unförmige Schaumstoffteile verschluckt, sie
       konnten sich nicht mehr bewegen, wie angeleckte Marshmallows schienen sie
       am Boden festgepappt. Ich musste, während ich mich, mein Kind und unser
       Gepäck um die leise schnaufenden Flusspferde herummanövrierte, an etwas
       denken, an das ich als Bayernfan sonst nie denke: an Dortmund. Ciro
       Immobile fiel mir ein und sein Satz über die Deutschen: [1][„Sie essen
       immer.“] 
       
       Tatsächlich hatte der Lewandowski-Ersatz mit dieser Beobachtung endlich mal
       ins Schwarze getroffen (ja ja, am Dienstag dann auch gegen [2][Arsenal]).
       
       Denn wenn es auch auf den ersten Blick überhaupt nicht so aussah, als hätte
       Nahrung menschliche Körper in Knautschzonen verwandeln können, so half doch
       die Erinnerung an all die Würste, Brote, Pizzen, Backfische und
       mayonnaisetriefenden belegten Brötchen, die Eisbomben, Donutberge und
       Brezelbuden, die den Weg zum Bahnsteig säumten, um sich eines Besseren
       belehren zu lassen.
       
       Nein, diese Menschen hatten nicht die Ikea-Bauanleitung falsch verstanden
       und sich mit Verpackungsmaterial vollgestopft: Sie waren einfach so fett,
       geistig fett, emotional fett, unglücklich fett, asexuell fett, dumm fett,
       unverschämt fett.
       
       ## Hoeneß-Würstchen
       
       Ich sah kein lustiges Rotweinschlotzergesicht, keinen genießenden
       Austernschlürfer, keine prallen Bierbäuche, um die sich stolze Hosenträger
       schmiegten.
       
       Es war eine weiche Masse, die sich auf die Reise begab, um am Ziel an den
       gleichen Ständen, mit den gleichen Inhaltsstoffen die gleichen Bedürfnisse
       zu befriedigen und sich dann weiter zu wuchten, in die Fastfoodketten der
       Innenstädte, in die Lidls und Aldis und Nettos mit ihren XXL-Packungen, an
       die Frühstücksbuffets mit ihren Hoeneß-Bratwürstchen und warmgehaltenen
       Rühreiern mit Speckstreifen, ihren aufgebackenen Kross-Brötchen, ihren
       Edamer- und Goudaplatten, ihren Pur-Fett- Porc-Salamis, ihrem
       Alibi-Joghurt, ihren Zuckerfrühstücksflocken und ihrem Altobst.
       
       Kurz: Ich war in schlechter Stimmung, als ich den Zug bestieg.
       
       Und ich wusste natürlich, dass diese Suada nicht das letzte Wort sein
       konnte, denn es gab ja für alles Gründe, für die aufgeschwemmten Massen,
       die IS- und AfD-Massen, die Nichtwähler- und NPD-Wähler-Massen, die
       schottischen und britischen Massen, die separatistischen und die
       rechtsradikalen Massen.
       
       Ich wusste, dass die Masse sich aus ehemaligen Individuen zusammensetzte,
       dass es Gründe gab, warum die zu dem geworden waren, was sie möglicherweise
       nie hatten werden wollen, und dass ich nicht aufhören durfte, die Menschen
       nicht danach zu beurteilen, was sie waren, sondern was sie sein konnten
       beziehungsweise was sie einmal gewesen waren, weil sonst meine eigene
       Menschlichkeit Schaden nehmen würde.
       
       Aber in diesen Momenten, auf dem Bahnhof, in dem sich endlich in Bewegung
       setzenden Zug: Da war ich dafür einfach zu müde.
       
       19 Sep 2014
       
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