# taz.de -- Trauerfeier für Michael Brown: Beten gegen das Unrecht
       
       > Rund 6.000 Menschen verabschiedeten sich von dem von der Polizei
       > erschossenen Teenager. Familienangehörige, Prediger und Bürgerrechtler
       > forderten Gerechtigkeit.
       
 (IMG) Bild: Hände auf dem Grabstein von Michael Brown.
       
       ST. LOUIS taz | Der Gospelchor singt von Liebe, Frieden und Jesus. Zu
       Füssen des Altars steht ein schwarzer Sarg, in dem die zerschossene Leiche
       eines 18-jährigen Jungen liegt. Direkt davor, in der ersten Reihe und ein
       letztes Mal in Reichweite ihres ältesten Sohnes, sitzen die Eltern von
       Michael Brown. Die Mutter trägt ein leuchtend rotes Kleid und wiegt ihren
       Körper während der zwei Stunden langen Trauerfeier wie in Trance vor und
       zurück. Über das Gesicht des Vaters laufen Tränen. Er kaut nervös auf einem
       Kaugummi herum.
       
       Abschied von Michael Brown, dem unbewaffneten Teenager, der 16 Tage zuvor
       von einem Polizisten auf offener Straße in der Vorstadt Ferguson erschossen
       worden ist. An die 6.000 Menschen sind zu der Friendly Temple Missionary
       Baptist-Kirche gekommen. Sie füllen den Hauptraum, die beiden
       „Überlaufräume“ und den Parkplatz vor der großen Kirche in St. Louis. Es
       ist eine afroamerikanische Trauergemeinde, mit einigen wenigen Weißen.
       
       Unter den TeilnehmerInnen sind neben den Angehörigen des Toten,
       Kongressabgeordnete, Bürgerrechtler, Prediger, mehrere Kinder von Martin
       Luther King, die Rapper „Diddy“ und „Snoop Lion“, die Präsident Obama
       aufgefordert haben, nach Ferguson zu kommen, „weil es ernst ist“, der
       Filmemacher Spike Lee, die Elternpaare von zwei anderen erschossenen Jungen
       in New York und drei Entsandte des Weißen Hauses. In den Leserbriefspalten
       der lokalen Medien in Missouri schreiben anonyme Autoren: Präsident Obama
       ehre einen Ladendieb und Gangster. „Wegen der Rasse“, fügt einer der
       anonymen Schreiber hinzu.
       
       In der Kirche spricht Hauptredner Al Sharpton von einem „Schlüsselmoment“.
       Vor ihm haben Angehörige und örtliche Geistliche gesprochen. Die
       Stiefmutter von Michael Brown beschreibt einen Jungen, der Vorahnungen von
       einem gewaltsamen und blutigen Ereignis gehabt habe. Ein Onkel – selbst
       Pastor – will im Tod seines Neffen eine Neuauflage einer biblischen
       Katastrophe sehen. Es fallen Worte wie „Zorn“ und „Fassungslosigkeit“, aber
       auch „Vergeltung“ und Bitten an den „Lord“ um „Kraft“. „A-men“ kommt es
       rythmisch aus der Kirche zurück.
       
       ## Justiz für Michael Brown
       
       Ein Cousin des Toten fordert die Gemeinde auf, beim nächsten Mal wählen zu
       gehen. Und wieder kommt ein „A-men“. Der Anwalt der Familie erinnert an
       einen Entscheid des Obersten Gerichtes von Missouri, der 162 Jahre zurück
       liegt. Danach konnte eine Person afrikanischer Herkunft nicht als Bürger
       betrachtet werden und nur zu drei Fünftel als Mann. „Wir werden keine drei
       Fünftel Justiz akzeptieren“, sagt Anwalt Benjamin Crump, „wir wollen volle
       Gleichheit vor der Justiz für Michael Brown“.
       
       Im Hintergrund spielt leise die Orgel. Manchmal schwillt sie laut an. Wenn
       der Chor singt, stehen Menschen in der Kirche auf und tanzen. Zwischen den
       Reihen gehen Platzanweiserinnen herum, die weiße Häubchen, weiße Blusen und
       weiße Handschuhe tragen. Viele Männer haben eine schwarze Krawatte um den
       Hals gebunden, auf deren unteren Ende das noch kindlich runde Gesicht von
       Michael Brown zu sehen.
       
       Ein Bischof – Edwin Bass – sagt, dass er den Schmerz der Eltern kennt, weil
       sein eigener Sohn auf einer Straße von St. Louis – „unter anderen
       Umständen“ – abgeknallt worden ist. Der Bischof heisst Michael Browns
       Eltern willkommen in einer einzigartigen Gruppe von Müttern und Vätern, zu
       der niemand gehören will. „Ihr könnt die Vermitter von Veränderung sein“,
       sagt er ihnen. Die Versammelten in der Kirche – und jene die die
       Trauerfeier am Bildschirm verfolgen – fleht er an: „Bitte plündert und
       randaliert nicht. Lasst die Polizei und den FBI ihre Arbeit tun“. Die
       Trauergemeinde antwortet: „A-men“ und die Orgel schwillt lauter.
       
       ## Keine Politik
       
       Michael Brown Sr, der Vater, hat öffentlich darum gebeten, dass am Tag der
       Trauerfeier die Proteste ruhen. In den viereinhalb endlos langen Stunden am
       9. August, während derer sein Sohn unbedeckt in der Hochsommerhitze auf dem
       Asphalt in einer Biegung des Canfield Drive lag und als Polizisten mit
       Hunden, die Angehörigen daran hinderten zu ihm zu gehen, hat der Vater
       etwas auf ein Stück Karton gekritzelt. „Die Polizei hat soeben meinen
       unbewaffneten Sohn exekutiert“, schrieb er. Seither trug der Senior
       T-Shirts, auf denen „Justice“ oder: „Gemeinsam gegen Rassismus“ stand. Aber
       an diesem Tag will er keine Politik. Lesley Mc Spadden, die Mutter,
       unterstützt diese Bitte.
       
       In seinem Abschiedsbrief schreibt Michael Brown Sr seinem Sohn: „es tut
       soooooo weh, dass ich Dich nicht beschützen konnte“. Die Oma, deren Wohnung
       Michael Brown nur ein paar Schritt von der Stelle entfernt ist, wo der
       Polizist Darren Wilson den Jungen mit sechs Schüssen getötet hat, rief am
       selben Samstag Nachmittag, als ihr Enkel noch auf der Straße in seinem Blut
       lag und sich ihm niemand nähern durfte, bei Al Sharpton an. „Keine
       Gemeinschaft in Amerika toleriert, dass ein 18-jähriger viereinhalb Stunden
       auf der Straße liegt“, sagt der Bürgerrechtler an diesem Montag Morgen in
       der Kirche.
       
       Al Sharpton spricht lange und politisch. Geht auf Distanz zu jenen in der
       afroamerikanischen Gemeinschaft, die „so sehr dem Himmel verpflichtet sind,
       dass sie die Erde vergessen“. Sagt, dass es keinen Sinn macht
       „Selbstmitleid im Ghetto“ zu zelebrieren. Und kritisiert jene, die es im
       Jahr 2014 schick finden, sich selbst als „Nigger“ und ihre Frauen als
       „Huren“ zu bezeichnen. „Wir müssen eine Bewegung bilden“, sagt Al Sharpton,
       „wenn wir es nicht selber tun, wird uns niemand helfen“. Die Gemeinde
       antwortet mit „A-men“.
       
       Dann tragen drei Männer drei Gebete vor. Eines für die Familie. Eines für
       das Land. Und ein drittes für die Jugend. Sie bitten um Kraft für die
       Eltern. Um eine Rechtsprechung, die „unabhängig davon ist, wo jemand
       wohnt“. Und ein Prediger spricht von Siegen. Er zitiert die kürzlich
       verstorbene afroamerikanische Schriftstellerin Maya Angelou: „Wir hatten
       viele Niederlagen. Aber wir sind nie besiegt worden.“
       
       26 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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