# taz.de -- Fußballkommentare selbstgemacht: Wie in einer Studi-WG
       
       > Bei marcel-ist-reif.de können Amateure die WM-Spiele kommentieren. Die
       > eloquente Inkompetenz bietet durchaus eine Alternative zu Réthy und Co.
       
 (IMG) Bild: Kommentatoren-Arbeitsplatz oder einfach nur WG?
       
       WM-Halbfinale, Argentinien gegen die Niederlande. Klang erstmal nach großem
       Sport, entpuppte sich jedoch als rezeptfreies Schlafmittel. 120 Minuten
       höhepunktarmes Ballgeschiebe, welchem der ARD-Kommentator Gerd Gottlob
       verzweifelt versuchte, noch ein wenig Halbfinalglanz zu verleihen. Doch
       auch auf der auditiven Ebene wusste der ARD-Stream nicht zu überzeugen.
       Gut, dass das Internet mittlerweile auch für solche Fälle Abhilfe
       bereithält. Neues Browsertab geöffnet, [1][marcel-ist-reif.de] in die
       Adresszeile eingegeben, fertig.
       
       Die für den Grimme Online Award 2013 nominierte Website bietet
       Amateur-Kommentatoren eine Plattform, auf der sie selbst das Mikro in die
       Hand nehmen können. Einfach den Fernseh- oder Livestream-Ton abstellen und
       einen der zahlreichen Nachwuchs-Béla-Réthys hinzuschalten. „Poetry Slammer
       kommentieren Fußball. Das ist eloquente Inkompetenz, Halbwissen und
       Lookism“, wurde dort am Mittwochabend ein Live-Kommentar angepriesen. Das
       klang erstmal sympathisch. Also: Klick auf den Play-Button.
       
       Plötzlich fand man sich, so schien es zumindest, in einer Studenten-WG
       wieder. Das signifikante Kronkorkenploppen einer mit einem Feuerzeug
       geöffneten Bierflasche – jetzt schon besser als die ARD! Einer der drei
       Kommentatoren bezeichnete das Spiel als „gefühltes Freundschaftsspiel“.
       „Wenig Freundschaft, wenig Spiel“, entgegnete sein Kollege. Wo Gerd Gottlob
       versuchte, dem müden Kick etwas Sehenswertes abzutrotzen, wurde hier
       ordentlich gestänkert. „Wir haben extra unseren Besuch aus der Wohnung
       geschmissen und Schokolinsen gekauft. Aber das Spiel ist scheiße – trotz
       der Schokolinsen.“ Herrlich ehrlich!
       
       Als würde Gammelfleisch gegen Schimmelkäse spielen, so sahen die Jungs das
       Spiel. „Aber Schimmelkäse kann noch lecker sein. Eher Chemiekäse!“ Um die
       visuelle Mauheit zu übertünchen, griff das Trio auf eine breite
       Soundpalette zurück. „Mach doch nochmal 'nen Frau-Antje-Clip an. Wenn 22
       Spieler aufm Platz es nicht schaffen, uns zu unterhalten, dann müssen wir
       da ein bisschen nachhelfen.“ Und so prasselte die Tonspur eines 50 Jahre
       alten Käse-Werbespots aus den Lautsprechern, während sich Arjen Robben am
       argentinischen Sechszehner festdribbelte.
       
       ## Sogar mit Sachverstand
       
       Hin und wieder beweisen die Amateur-Kommentatoren auch Fußballsachverstand.
       „Grünes Outfit und beherztes Rausrennen macht noch keinen Manu“, hieß es
       zum Beispiel über den niederländischen Torhüter Cillessen . Doch da sich
       die Teams aufgrund ihrer gleichen Spielanlage gegenseitig neutralisierten,
       gab es wenig Spielerisches zu berichten. Stattdessen immer mal wieder
       eingespielte Töne aus der YouTube-Konserve: Karatefilm-Tonspurfetzen bei
       Fouls, Jogi-Löw-Kommentare oder Anti-Holland-Songs von Joint Venture und
       Mickie Krause.
       
       Spätestens als letzterer die Gehörgänge malträtierte, wurde es Zeit für
       einen Wechsel. Ein Blick auf den vor der WM gelaunchten englischsprachigen
       Ableger [2][Youllnevertalkalone.com] zeigte ein ernüchterndes Bild: Kaum
       Traffic auf dieser Seite. Also zurück zur deutschsprachigen Variante. In
       der Kommentatorenliste zum zweiten Halbfinale fanden sich noch sechs
       weitere Angebote. Der junge Mann mit hessischer Mundart machte seinen Job
       recht ordentlich, unterschied sich aber nur minimal von der
       öffentlich-rechtlichen Berichterstattung. Professionell, aber nur mäßig
       unterhaltend. Das Duo Offmann und McBain wiederum fand eine angenehme
       Mischung aus launigen Sprüchen und qualifizierten Ansagen. Von der
       „Christian-Ziege-Gedächtnis-Flanken“ war hier zum Beispiel die Rede. Das
       gefiel.
       
       ## Per Beamer ins Wohnzimmer
       
       Als die Userzahl von fünf auf sechs hochschnellte, wurde das von den beiden
       ironisch goutiert: „Man ist wieder wer!“ Tatsächlich tummelten sich an
       diesem Abend nur wenige Nutzer auf der Plattform. Keiner der angebotenen
       Streams hatte mehr als 15 Zuhörer. Durch den kleinen Nutzerkreis fühlte
       sich marcel-ist-reif.de aber viel heimeliger an als die offizielle
       ARD-Berieselung. So als ob man sich per Mausklick bei anderen
       Fußballguckern ins Wohnzimmer beamen könnte.
       
       Dass das Internet keine Einbahnstraße ist, wussten die Macher der Website
       nur zu gut. So durfte eine Kommentar-Funktion für Zuhörer nicht fehlen.
       Angenehm war es, wenn die obengenannten Poetry Slammer auf die Posts
       eingingen. So zum Beispiel auf die Arminia-Bielefeld-Sympathiebekundungen
       eines Zuhörers. In Ermangelung fußballerischer Highlights wurde auch mal
       eine Frage an die Nutzer in die Runde geworfen: „Womit belegt ihr
       eigentlich eure Brote?“
       
       So weit, so gut. Leider gab es auch Momente, in denen man sich die bloß
       nicht anecken wollende Rhetorik der deutschen Rundfunkanstalten
       zurückwünschte. Wenn zum Beispiel gesagt wurde, dass die Elftal Spanien
       getötet hätte, „was uns alle gefreut hat“. Oder wenn plötzlich von
       Hertha-BSC-Spieler Ronny die Rede war und diesem attestiert wurde, er sehe
       aus wie ein Monchichi.
       
       Auch technische Schwierigkeiten gab es. So war der Kommentar dem Bild immer
       etwas voraus. Durch einen Verzögerungs-Button ließ sich das Problem zwar
       verringern, aber nicht ganz beheben. Beim Elfmeterschießen wurde so schon
       über den ersten verschossenen holländischen Elfmeter geflachst, als Vlaar
       im zurückhängenden ARD-Videostream gerade erst anlief. Die einzig richtige
       Reaktion: Ton aus und nur den Ball sprechen lassen.
       
       10 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.marcel-ist-reif.de/
 (DIR) [2] http://www.youllnevertalkalone.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Wedig
       
       ## TAGS
       
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