# taz.de -- Sängerin Maria Gadú über die WM: „Ich werde kein Spiel sehen“
       
       > Brasiliens populäre Sängerin Maria Gadú über die Wut auf die Fußball-WM,
       > die Fifa und Verschwendung – und warum Brasiliens Kultur so wunderschön
       > und reich ist.
       
 (IMG) Bild: Maria Gadú bei einem Auftritt in São Paulo.
       
       taz: Frau Gadú, mögen Sie Fußball? 
       
       Maria Gadú: Ja, ich mag Fußball.
       
       Werden Sie die Spiele der WM ansehen? 
       
       Nein, kein einziges. Ich lehne die Fußballweltmeisterschaft ab. Ich gehöre
       zu den Leuten, die die WM nicht akzeptieren.
       
       Sie boykottieren die Spiele aus Protest? 
       
       Nein, es ist viel trauriger. Ich habe nicht einmal Lust darauf, die Spiele
       zu sehen. Und nicht nur ich. Die Brasilianer sind so verrückt nach Fußball,
       dass sie normalerweise die Straßen grün-gelb anmalen und die Fahne
       raushängen, wenn eine Weltmeisterschaft hierherkommt. Aber niemand malt die
       Straßen gelb und grün an, keiner trägt das Trikot der Seleção. Die Leute
       sind unglaublich sauer. Diese WM in Brasilien hat viele Milliarden Dollar
       gekostet. Und dabei gibt es hier viel zu wenige Krankenhäuser, zu wenige
       Schulen. Es gibt Städte, in denen ein Stadion gebaut wurde, die nicht
       einmal ein Fußballteam haben. Und das mit unserem Geld!!!
       
       Also wird es keine Riesenparty geben, im Land von Carnaval und Futebol? 
       
       Nein. Es ist sehr traurig, aber die Empörung ist so groß, es war einfach zu
       viel Geld, was da verschwendet wurde. Die Leute protestieren überall, die
       ganze Zeit. Darauf verwenden sie ihre ganze Energie. Und ich denke, es wird
       so weitergehen. Die Regierung hat viel Geld gestohlen, sehr viel Geld. Wenn
       das Land voller Ausländer ist, werden sich die Leute vielleicht auch darauf
       konzentrieren: sie zu empfangen. Aber ich habe noch nie eine solch traurige
       Weltmeisterschaft gesehen.
       
       Daneben hört man hier von den Säuberungsaktionen der Militärpolizei in den
       Armenvierteln, den Favelas. 
       
       Ja, es gibt viele, viele Tote. Die Regierung will in letzter Minute da
       Ordnung schaffen, wo sie schon vor Jahren die Probleme hätte lösen müssen.
       Jetzt wird getötet und versteckt. Aber ich denke die Leute wissen, dass das
       nicht funktionieren kann. Solche Probleme, wie Brasilien sie hat, kann man
       nicht einfach verstecken, auch nicht für eine Zeit.
       
       Was kann die Regierung jetzt noch tun? 
       
       Wenn Brasilien jetzt die Weltmeisterschaft gewinnt, könnte die Stimmung
       sich ein wenig wandeln, so dass die Leute sagen: Na, wenigstens haben wir
       gewonnen. Aber die Regierung kann und wird nichts mehr tun. Sie wird die
       Gehälter der Lehrer und Busfahrer nicht erhöhen... Die Menschen verkaufen
       ihr Mittagessen, um sich das Abendbrot leisten zu können.
       
       Haben Sie als Künstlerin eine Funktion, die über das ästhetische Wirken
       hinausgeht? Glauben Sie, dass Ihre Fans Engagement von Ihnen erwarten? 
       
       Natürlich haben wir eine politische Funktion, die gesamte Künstlerklasse
       hat das. Du bist ja Sprachrohr für viele Menschen. Man hört uns zu, wir
       haben Einfluss auf die Menschen. Es geht nicht nur um Äußerlichkeiten, wie
       eine neue Frisur, die Du hast und die die Leute dann nachahmen. Sondern Du
       hast auch eine politische Funktion, Du hast die Chance ans Mikrofon zu
       treten und laut zu sagen, was die Leute denken, Bewegungen zu unterstützen.
       
       Bevor Sie 2009 in einer TV-Show entdeckt wurden, sind Sie fast ein Jahr
       lang als Straßenmusikerin durch Europa getourt. Was für Unterschiede
       zwischen Europäern und Brasilianern haben Sie entdeckt? 
       
       Ein Hauptunterschied ist der Zugang zu Bildung. In Europa haben den halt
       mehr Leute und das wirkt sich positiv auf das Verhalten aus, sie sind
       höflicher. Außerdem kann man in Brasilien nicht wirklich Straßenmusik
       machen. Erstens sind zu viele Leute arm, so dass Du kein Geld verdienen
       kannst. Und außerdem ist es gefährlich. Ich glaube, in allen Ländern, in
       denen man eine lateinische Sprache spricht, sind die Menschen einander
       irgendwie ähnlich. Brasilianer sind sehr herzliche Leute. Wir touren gerade
       durch Brasilien und Lateinamerika, und da merkt man das total am Publikum.
       
       In Brasilien darf man – anders als etwa in Deutschland – seit zwei Jahren
       seinen gleichgeschlechtlichen Partner heiraten. Sie haben im November ihre
       Partnerin Lua Lenca geheiratet, herzlichen Glückwunsch nachträglich! Was
       für Reaktionen haben Sie bekommen? 
       
       Vorurteile gibt es überall da, wo es Menschen gibt. Alles was anders ist,
       finden die Leute verdächtig. Nicht nur Sexualität, auch religiöse Konzepte,
       soziale und finanzielle Umstände, Hautfarbe... Es war ein großer Schritt,
       als wir in Brasilien diese Normalität der gleichgeschlechtlichen Ehe
       erreicht haben. Schließlich geht es niemanden etwas an, wen Du liebst und
       heiraten willst. Für mich ist es normal, homosexuell zu sein. Ich fand nie
       etwas Seltsames dabei. Unsere Zeremonie fand mit vielen guten Freunden
       statt und was dann darüber in der Presse stand, war eigentlich durchweg
       positiv. Aber ich lese auch nicht so viel, was andere über mich schreiben.
       Ich kann Dir nur sagen, ich habe mich nie diskriminiert gefühlt, obwohl ich
       weiß, dass es anderen anders geht.
       
       Viele brasilianische Musiker, vor allem Frauen, leben offen homosexuell.
       Daniela Mercury, Adriana Calcanhotto, Zélia Duncan, Mart‘nália... In
       Deutschland fürchten viele Promis um ihre Karriere, wenn sie sich zu ihrer
       Homosexualität bekennen. Viele Fußballspieler zum Beispiel wollen ihre
       Werbeverträge mit großen Firmen nicht gefährden... 
       
       Das ist ja absurd! Man spielt doch für sein Team oder macht Musik für die
       Menschen, was hat denn die sexuelle Orientierung damit zu tun? Ich denke
       aber, dass Frauen es grundsätzlich leichter haben. Das liegt am Machismo,
       der immer noch sehr verbreitet ist. Männer glauben, dem Bild von
       Männlichkeit entsprechen zu müssen. Frauen haben da mehr Freiheiten,
       zumindest hier in Brasilien. Außerdem finden Männer sich liebende Frauen
       doch sexuell interessant (lacht).
       
       In was könnte sich jemand verlieben, der zum ersten Mal nach Brasilien
       kommt? 
       
       Brasilien ist ein fantastisches Land. Sehr gastfreundlich, sehr menschlich.
       Die Leute sind einander sehr nah, sie helfen einander bei Problemen. Und
       sie können auch Hilfe annehmen. Dazu diese unglaublich schöne Natur! Gott
       war sehr großzügig zu Brasilien. Dann die Musik! Wussten Sie, dass
       Brasilien mehr als 30 verschiedene Rhythmen hat? Eine unglaubliche
       musikalische Vielfalt. Jede Region hat ihre eigene Musik. Aus Rio kommt der
       Samba, aus Recife der Maracatú, aus Salvador der Afoxé, in Belém in Pará
       gibt es den Carimbó... Jeder Ort ist anders, das ist das Beste daran.
       Deshalb gibt es auch so viele talentierte Leute. Die Brasilianer
       konsumieren auch viel Musik. Jeder hat einen anderen Geschmack und für
       jeden Geschmack gibt es andere Künstler.
       
       Kennen Sie den offiziellen Fifa-WM-Song? 
       
       Ja. Grauenvoll. Einfach schrecklich. Wenn Du eine Weltmeisterschaft in
       Brasilien machst, ein Land, das musikalisch so reich ist und Du bringst
       Pitbull und Jennifer Lopez an – verstehe ich einfach nicht! Wo ist Caetano
       Veloso?
       
       11 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sunny Riedel
       
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