# taz.de -- Samba-Star über Fußball und Musik: „Kein Ort ist perfekt“
       
       > Brasiliens Samba-Jazz-Star Sérgio Mendes, 73, über seinen Hit „Mas que
       > nada“, seine Karriere und die Schönheit des Fußballs.
       
 (IMG) Bild: „Optimismus ist ein Grundzug des brasilianischen Charakters“, sagt Sérgio Santos Mendes.
       
       taz: Herr Mendes, mögen Sie Fußball? 
       
       Sérgio Mendes: Ja natürlich, als Brasilianer wächst man mit Fußball und
       Musik auf. Das sind zwei der wichtigsten Aspekte unserer Kultur!
       
       Warum kommen Sie dann während der Fußball-WM in Brasilien zu Konzerten nach
       Deutschland? Würden Sie die Spiele nicht lieber vor Ort im Stadion sehen? 
       
       Ich habe gerade ein neues Album herausgebracht, und gewöhnlich bin ich
       immer um diese Jahreszeit auf Tour. Aber zum Glück gibt es ja Fernsehen,
       sodass ich mir die Spiele in Deutschland anschauen kann.
       
       Sie sind in den Sechzigern mit dem Stück „Mas que nada“ berühmt geworden.
       Ist es nicht seltsam, dass dieser Song inzwischen zu einer Art
       inoffizieller Fußballhymne geworden ist? 
       
       Der Song hat eine sehr catchy Melodie, die man mitsingen kann, und das auf
       der ganzen Welt. Aber auch das Arrangement ist wichtig, wie man den Song
       präsentiert. Es ist gar nicht so einfach, so einen Hit zu landen. Ich bin
       sehr glücklich, dass mir das zweimal gelungen ist: einmal 1966 und dann,
       vierzig Jahre später wieder, im Jahr 2006 mit den Black Eyed Peas.
       
       Geschrieben hat das Stück der Sänger Jorge Ben, in Brasilien in den
       Siebzigern ein Star des Samba-Funk. Welches Verhältnis haben Sie zu ihm? 
       
       Er ist ein guter Freund, von Zeit zu Zeit treffen wir uns. Er hat ein Haus
       in Miami, und das letzte Mal, als ich dort gespielt habe, ist er zu mir auf
       die Bühne gekommen und hat den Song mit uns gesungen. Das war fantastisch.
       Er ist ein großartiger Komponist, und ich habe viele andere Songs von ihm
       eingespielt.
       
       Wie kamen Sie darauf, seinen Song zu covern? 
       
       Ich habe ihn das erste Mal gehört, als ich noch in Brasilien gelebt habe.
       Das muss so um 1963 herum gewesen sein, und ich habe ihn dort in den Clubs
       gespielt, in denen ich als Pianist aufgetreten bin. Als ich dann in die USA
       gewechselt bin und ihn mit meiner Band „Brasil 66“ aufgenommen habe, wurde
       das mein erster Hit. Das war 1966, Herb Alpert hat die Platte produziert.
       Es war der erste Welthit, der auf Portugiesisch gesungen wurde.
       
       Wissen Sie, wie viele Versionen es von dem Song gibt? „Nike“ hat eine 1998
       mal für einen Werbespot benutzt. 
       
       Ich habe keine Ahnung, es sind sicher eine Menge! Bei unseren Konzerten in
       Europa werden wir jedenfalls unsere Version spielen, die
       Sérgio-Mendes-Version. Aber der Song ist der Song.
       
       Auf Ihrem neuen Album „Magic“ sind viele aktuelle Stars aus Brasilien
       beteiligt. Eine Hommage an die junge Generation? 
       
       Das Album ist das Ergebnis meiner Begegnungen mit Leuten, die ich
       künstlerisch schätze. Mit Carlinhos Brown habe ich schon in den frühen
       Neunzigern zusammengearbeitet, zu einer Zeit, als ihn selbst in Brasilien
       noch nicht viele Leute kannten. Ich bin ein neugieriger Mensch und es
       gefällt mir, Talente aufzuspüren und Dinge auszuprobieren, die ich noch
       nicht getan habe. Auf dieser Platte trete ich mehr denn je als Songwriter
       auf. Und mit jungen Leuten wie Maria Gadú, Seu Jorge und Ana Carolina ins
       Studio zu gehen, ist ein Vergnügen und war eine wundervolle Erfahrung.
       Darum habe ich das Album „Magic“ genannt.
       
       In den letzten Dekaden hat diese Generation die brasilianische Musik
       erneuert. Haben Sie eine Erklärung für diesen kreativen Boom? 
       
       In Brasilien gibt es immer etwas Neues. Als Bossa Nova in den Sechzigern
       aufkam, haben mir die Leute dieselbe Frage gestellt: Warum sind die
       Sechziger so gut? Und in den Siebzigern, als die Tropicalia-Bewegung
       entstand, fragten sie: Weshalb sind die Siebziger so gut? Ich bin jetzt
       schon so lange dabei, aber ich weiß es nicht.
       
       Ist es wie beim Fußball? 
       
       Ja – früher gab es Pelé, heute gibt es Neymar. Ich bin sehr stolz darauf,
       aus Brasilien zu stammen und die Musik zu spielen, die ich liebe, und neue
       Talente und Songs in die Welt zu bringen.
       
       Das Album enthält auch Klassiker wie das Stück „Sou Eu“, das der Sänger Seu
       Jorge interpretiert. Wie kamen Sie darauf? 
       
       Das Stück stammt von meinem musikalischen Lehrer, Moacir Santos. Er war ein
       schwarzer Komponist aus Recife, Pernambuco, der vor ein paar Jahren
       gestorben ist. Viele spätere Größen des Bossa Nova sind bei ihm in die
       Lehre gegangen. Als ich 17 Jahre alt war, nahm ich Musikstunden bei ihm, er
       brachte mir Harmonien und das Komponieren bei. Ich übte den Song und
       spielte ihn meinem Lehrer vor. Es war etwas Besonderes, ihn jetzt nach 60
       Jahren wieder aufzunehmen. Und Seu Jorge ist die perfekte Verbindung aus
       einem fantastischen Sänger und einem fantastischen Song.
       
       Sie leben in Los Angeles. Wie oft sind Sie in Brasilien? 
       
       Ungefähr zweimal im Jahr für ein paar Monate. Normalerweise verbringe ich
       Weihnachten und Neujahr dort: Um meine Freunde zu besuchen und teilzuhaben
       an dem, was dort passiert. Aber viele machen das so. Seu Jorge zum Beispiel
       lebt auch in Los Angeles. Ich sehe ihn oft hier.
       
       Besitzen Sie ein Haus in Brasilien? 
       
       Nein, ich wohne immer im Hotel. In meinem Alter möchte ich nicht zu viele
       Häuser besitzen. Ich liebe es zu reisen. Gerade bin ich aus Japan
       zurückgekommen, und ich liebe Europa. Wenn ich überall dort, wo es mir
       gefällt, ein Haus hätte, dann wäre ich pleite.
       
       Als sie in den Sechzigern in die USA kamen, hatten Stan Getz und Astrud
       Gilberto gerade ihren Durchbruch mit dem inzwischen legendären Song „The
       Girl of Ipanema“ gehabt. Wie war das für sie? 
       
       Das war eine großartige Zeit für die brasilianische Musik, und ich kann von
       Glück sagen, dass ich daran teilhaben konnte. Im Jahr 1962 kam ich mit
       Antônio Carlos Jobim und João Gilberto für ihr Konzert in der Carnegie Hall
       das erste Mal in die USA. 1964 bin ich dann ganz in die USA gezogen, habe
       eine Platte mit Cannonball Adderley und ein paar Instrumentalalben
       aufgenommen und dann das Album mit Brasil 66, das „Mas que nada“ enthielt
       und so ein Hit werden sollte.
       
       Brasilien galt damals als Land der Zukunft, die Musik reflektierte die
       Leichtigkeit und den Optimismus jener Zeit. Doch damit war es mit dem
       Militärputsch von 1964 vorbei. Wie haben Sie das empfunden? 
       
       Ja, damit begann eine sehr dunkle Periode der brasilianischen Geschichte
       und ich verließ Brasilien. Aber selbst in dieser dunklen Zeit der
       Repression hatten wir große Künstler wie Chico Buarque und später Caetano
       Veloso und Gilberto Gil. Ihr Talent konnte nicht einmal durch das Militär
       unterdrückt werden. Das zeigt die Stärke und Kraft der brasilianischen
       Musik.
       
       Was wurde aus dem Optimismus? 
       
       Optimismus ist ein Grundzug des brasilianischen Charakters.
       
       Sind Sie optimistisch, wenn Sie heute auf Brasilien schauen? 
       
       Die Welt ist kompliziert, und kein Ort ist perfekt. Aber Brasilien hat ein
       enormes Potenzial und ist geografisch gesehen in einer sehr gute Lage im
       Vergleich zu vielen Ländern, die auch ihre Probleme haben. Es ist ein
       sonniges Land, die Leute sind positiv und glücklicher als in vielen älteren
       Kulturen. Das hat viel mit der Natur und der kulturellen Vielfalt des
       Landes zu tun. Ich glaube, Brasilien hatte immer diesen Sinn für
       Optimismus. Das ist besser, als ein ewiger Pessimist zu sein.
       
       Nicht jeder in Brasilien freut sich über die Fußball-WM im eigenen Land.
       Und Sie? 
       
       Vieles wurde versäumt, das kann man nicht leugnen, und die Welt weiß das,
       das ist nichts Neues. Aber auf der anderen Seite haben wir eine großartige
       Mannschaft und ich glaube, es wird trotzdem eine große Party.
       
       Sie waren 17 Jahre alt, als Brasilien das erste Mal Weltmeister wurde,
       erinnern Sie sich? 
       
       Ich erinnere mich auch gut an 1950, als die erste Weltmeisterschaft in
       Brasilien stattfand und wir das Endspiel verloren, da war ich neun Jahre
       alt. Ich konnte nicht verstehen, warum damals in unserem ganzen Haus so
       eine Trauer herrschte. Als Kind habe ich mit meinen Freunden am Strand
       gespielt, und ich finde, dass dieser Sport viele Ähnlichkeiten mit Musik
       hat: die Harmonie der Spieler, die Improvisation. Und auch die Stimmung des
       brasilianischen Publikums ist immer ähnlich fröhlich und ausgelassen, ob
       man nun zu einem Konzert oder zu einem Fußballspiel geht.
       
       Die Sechziger und Siebziger waren die große Ära des brasilianischen
       Fußballs, das Land wurde dreimal Weltmeister. Und heute? 
       
       Didi, Garrincha – ich habe sie alle noch spielen sehen, ich kann mich
       glücklich schätzen! Und Pelé war einmalig. Aber auch das aktuelle Team ist
       sehr gut: Viele Spieler spielen in Europa, sie trainieren sehr hart und
       haben diese Leidenschaft und den Willen, den Pokal zu gewinnen. Ich hoffe,
       Brasilien wird Weltmeister. Gegen Deutschland, das wäre ein fantastisches
       Finale. Auch wenn ich in Los Angeles lebe, schaue ich viel Fußball: Ich
       habe die Europameisterschaft verfolgt und ich kenne Bayern München und
       seine vielen guten Spieler.
       
       Mit Pelé haben Sie sogar mal eine Platte aufgenommen. 
       
       Das war der Soundtrack zu einem Film über sein Leben. Wir hatten die Idee,
       dass er auf einigen der Stücke selbst singen sollte. Wir sind gute Freunde.
       Ich habe ihn und Beckenbauer kennen gelernt, als beide in New York für
       Cosmos gespielt haben. Pelé und der Kaiser, sie verkörperten beide auf ihre
       Art die Eleganz des europäischen Fußballs und die Schönheit des
       brasilianischen Fußballs.
       
       Sie sind jetzt 73 Jahre alt. Haben Sie nie darüber nachgedacht, sich zur
       Ruhe zu setzen? 
       
       Nein, warum? Zur Ruhe von was? Es macht zu viel Spaß. Ich hoffe, ich kann
       noch lange neue Platten aufnehmen, neue Leute treffen und viel reisen.
       
       4 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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