# taz.de -- Bauhaus-Neubau in Dessau: Das Meisterhaus zerstört
       
       > Dessau hat ein Stück Baukunst bekommen, aber einen authentischen Ort
       > verloren. Am Freitag wurden die „neuen Meisterhäuser“ feierlich eröffnet.
       
 (IMG) Bild: Das neue Meisterhaus Gropius, Bruno Fioretti Marquez Architekten 2010-2014.
       
       „Gropius kehrt zurück nach Dessau“, so eine Formulierung hat man in der
       anhaltinischen Metropole anlässlich der feierlichen Eröffnung der „neuen
       Meisterhäuser“ am vergangenen Wochenende tunlichst vermieden. Die
       Sprachregelung lautet stattdessen „städtebauliche Reparatur“, um das
       belastete Wort Rekonstruktion zu vermeiden.
       
       Über ein Jahrzehnt hatten sich Experten und politisch Verantwortliche
       gestritten, ob und wie das kriegszerstörte Meisterhaus von Bauhaus-Direktor
       Walter Gropius und die ebenso verloren gegangene Doppelhaushälfte von
       Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy wieder aufgebaut werden sollten. Die
       Stiftung Bauhaus war anfangs dagegen, stimmte dann aber unter dem 2009
       berufenen Direktor Philipp Oswalt einer Art von Kompromiss zu.
       
       Was jetzt durch das Berliner Archititektenbüro Bruno Fioretti Marquez
       realisiert wurde, reproduziert das ehemalige Volumen der beiden Häuser, die
       prominent die Spitze der Meisterhaussiedlung besetzen.
       
       Gropius hatte die Doppelhäuser zusammen mit dem Bauhausgebäude 1925/26 für
       die sogenannten Meister der Schule zu Wohn- und Arbeitszwecken errichtet.
       Für sich selbst baute er ein Einzelhaus mit separater, straßenseitig
       gelegener Garage. Die Garage und der Kellersockel sind heute die einzigen
       original erhaltenen Teile des Gebäudes.
       
       ## Replik der alten Hülle
       
       1956 wurde auf dem Sockel ein Wohnhaus für die DDR-Intelligenzija
       errichtet. Dieses nach seinen Bewohnern mit Haus Emmer bezeichnete Gebäude
       stand bis 2011 und musste danach der Replik der alten Hülle weichen. Ein
       herber Verlust. Nicht weil das Haus der Familie Emmer architektonisch
       sonderlich wertvoll gewesen wäre, sondern weil es eine Menge zu erzählen
       hatte.
       
       Der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) bescheinigte dem Haus
       eine „Irritation auslösende Zeugnishaftigkeit“. Jetzt fehlt bei der
       Darstellung der Geschichte des Bauhauses und seiner Rezeption, zu der die
       Stiftung Bauhaus sich ihrer Satzung gemäß verpflichtet, die Zeitgeschichte
       der DDR. Haus Emmer zeigte bis zu seiner mutwilligen Zerstörung, dass die
       DDR in den fünfziger Jahren ein strikter Feind der Bauhaus-Tradition war.
       Eben deswegen bekam der verbliebene Rest des Gropius-Hauses ein biederes
       Einfamilienhaus mit Satteldach aufgesetzt.
       
       Beim Grundriss unterschied sich das Haus Emmer aber nicht sonderlich von
       seinem Vorgänger. Denn so meisterlich und so modern waren die
       Gropius-Meisterhäuser durchaus nicht. Das Image der nackten und weiß
       verputzten Fassaden verdeckte die traditionell-bürgerliche Vorstellung des
       Wohnens, die Gropius hier mit kleinteiligen Zimmerchen und der
       Hausmeisterwohnung im Keller bei seinem eigenen Haus verwirklicht hat.
       
       ## Abstraktion und Subtraktion
       
       All das wird sich demnächst im Inneren des Neubaus nur noch in einer
       Dokumentationsausstellung über die Meisterhäuser finden lassen. Denn hinter
       der deutlich als Neubau erkennbaren Fassade aus Leichtbeton und
       Mattglasfenstern haben die Architekten ein Konzept verwirklicht, das auf
       Abstraktion und Subtraktion fußt. Das heißt, es fehlen ganz einfach viele
       der zum Original gehörigen Innenwände.
       
       So entstanden etagenübergreifende Räume mit Galerien, die wie ein Rohbau
       anmuten. Einzige Zutat sind zarte, kaum erkennbare Putzflächen in
       unterschiedlicher Texturen, die vom Künstler Olaf Nicolai auf hölzerne
       Artefakte aufgetragen wurden, die Teile der ehemaligen Binnenstruktur
       aufgreifen.
       
       Kurzum: Es ist tatsächlich keine echte Rekonstruktion entstanden, sondern
       etwas Neues, sehr Artifizielles, das gleichwohl den neuen Nutzungen als
       Besucherzentrum beim Gropius-Haus und der Erweiterung des
       Kurt-Weill-Zentrums beim Moholy-Nagy-Haus besser Platz bietet, als das die
       alten Wohngrundrisse ermöglicht hätten. Dessau hat ein Stück Baukunst
       bekommen, zugleich aber mit dem Abriss von Haus Emmer eine Portion
       Authentizität verloren.
       
       ## Um die Gunst der Touristen buhle
       
       Zu verantworten haben das die politischen Vertreter von Stadt und Land, die
       sich damit brüsten, dass Dessau die „authentischste“ Bauhausstadt sei, und
       damit schon auf das 2019 bevorstehende hundertjährige Jubiläum des
       Bauhauses vorausblicken. Dessau wird dann zusätzlich mit einem neuen
       Bauhausmuseum im Stadtpark um die Gunst der Touristen buhlen und in
       Konkurrenz zu den beiden anderen Bauhaus-Stätten in Weimar und Berlin
       treten, die zum Jubiläum ihrerseits Museumsneubauten präsentieren werden.
       
       Das Bauhaus wird in Dessau immer mehr zum Faktor des Tourismusmarketings.
       Das neue Meisterhaus von Gropius ist dabei als Besucherzentrum vorgesehen
       und wird auf die in Dessau verteilten Bauhaus-Bauten hinweisen – vom
       Bauhausgebäude bis zur Siedlung Törten, vom Restaurant Kornhaus an der Elbe
       bis zum ehemaligen Arbeitsamt von Gropius in der Innenstadt.
       
       Hatte man sich am Bauhaus seit der Gründung der Stiftung 1994 noch in die
       Stadt- und Regionalplanung in der Region Anhalt eingemischt (etwa mit
       Projekten zum „Industriellen Gartenreich“), so scheint der Politik solche
       Mitarbeit in letzter Zeit zunehmend entbehrlich. Das war wohl auch einer
       der Gründe, warum der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh
       (SPD), den im Februar ausgelaufenen Vertrag von Bauhaus-Direktor Philipp
       Oswalt nicht verlängern wollte.
       
       ## Kompromiss bei den neuen Meisterhäusern
       
       Oswalt, der maßgeblich zum gefundenen Kompromiss bei den neuen
       Meisterhäusern beigetragen hat, gibt nun als Kurator dem Bauhaus noch ein
       Abschiedsgeschenk mit auf den Weg. Das Ministerium von Dorgerloh drang zwar
       darauf, dass die Schlüsselübergabe der neuen Meisterhäuser im Beisein von
       Bundespräsident Gauck mit der Eröffnung der Oswalt’schen Ausstellung nicht
       zusammenfiel, aber die zwei Tage zuvor eröffnete Schau „Moderne zerstört“
       liefert einen wichtigen Kontext zur Bauhaus-Rezeption nach.
       
       In dieser im Bauhausgebäude gezeigten Ausstellung geht es nämlich um die
       Frage, warum das Gropius’sche Meisterhaus überhaupt zerstört wurde. Die
       Antwort findet sich in den Jahren nach 1932, als die Nazis die
       Bauhaus-Schule aus Dessau bereits vertrieben hatten.
       
       Dessau wurde zur Boomtown der Rüstungsindustrie, seine Bevölkerung wuchs
       von 80.000 auf 130.000 Einwohner. Vor allem die Junkers-Werke wurden zur
       Waffenschmiede der Luftwaffe. Hier wurden nicht nur die
       berühmt-berüchtigten Stuka entwickelt, sondern auch die „Tante Ju“
       produziert, die meist als Militärmaschine eingesetzt wurde.
       
       ## „Erhöhung“ zur Gauhauptstadt und Rüstungsmetropole
       
       Dessaus Boom, seine „Erhöhung“ zur Gauhauptstadt und Rüstungsmetropole,
       hatte seinen Preis. Der von hier munitionierte Luftkrieg der Nazis kehrte
       in den letzten Kriegsjahren nach Dessau zurück. 80 Prozent der Stadt waren
       bei Kriegsende zerstört. Zufällig hatte eine Bombe auch das Meisterhaus von
       Gropius getroffen.
       
       Die Geschichte des Gropius-Hauses ist also auch eine der Verwicklung der
       Stadt Dessau in den Nationalsozialismus und in die Rüstungsindustrie. In
       Dessau wurde auch das Zyklon B für die Vernichtungslager hergestellt.
       Solche fatalen Zusammenhänge zeigt die Ausstellung von Oswalt und liefert
       damit erstmals eine größere Aufarbeitung der nationalsozialistischen
       Vergangenheit jener Stadt, die sich einst mehrheitlich für die Nazis
       entschied und damit gegen das Fortbestehen des Bauhauses am Ort. Ob man es
       Oswalt danken wird?
       
       18 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ronald Berg
       
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