# taz.de -- „Tag des Sieges“ in der Ost-Ukraine: Rote Fahnen, alter Hass und Pilze
       
       > Der Tag des Sieges über den Faschismus wird in Donezk zur prorussischen
       > Demonstration für die Loslösung von Kiew. Aber nicht alle machen mit.
       
 (IMG) Bild: Die rote Armee marschiert in Donezk. Am 9. Mai geht das in Ordnung.
       
       DONEZK taz | Überall im Zentrum sieht man Flaggen. Fahnen der Volksrepublik
       Donezk. Russische Fahnun. Oder rote Fahnen mit Hammer und Sichel.
       
       In Donezk ist der 9. Mai, der Tag des Sieges über den Hitler-Faschismus,
       ein Feiertag. Eine Parade findet jedoch nicht statt. Stattdessen gibt es
       überall in der Stadt dezentrale Veranstaltungen mit Hunderten und mitunter
       gar Tausenden Menschen, die alle eines gemeinsam haben: Sie verbinden das
       Gedenken an den Zweiten Weltkrieg mit dem Aufruf, das Referendum für die
       Loslösung von Kiew am Sonntag zu unterstützen.
       
       Unter den feierlich gekleideten Männern und Frauen, von denen viele Blumen
       in der Hand tragen, finden sich martialisch wirkende maskierte Männer mit
       Motorradhelm, Baseballschlägern und kugelsicheren Westen. Eine Prozession
       von hundert Menschen, vorwiegend Frauen mit Kopftuch, die ein Kreuz vor
       sich tragen, zieht durch die Stadt und positioniert sich unweit einer roten
       Fahne der Kommunistischen Partei der Ukraine auf dem Leninplatz.
       
       Gruppen von Veteranen mit Orden aus dem Großen Vaterländischen Krieg machen
       sich mit Blumen in der Hand auf den Weg zur besetzten Bezirksverwaltung
       oder der Veranstaltung auf dem Leninplatz, wo sie unter großem Jubel von
       den Wartenden empfangen werden. Autokorsos mit Flaggen der Volksrepublik
       und roten Fahnen mit Hammer und Sichel fahren hupend durch die Straßen, vor
       der Oper spielt eine Blaskapelle, ganz in Weiß gekleidet, vor hundert
       Menschen sowjetische Marschmusik, ein orthodoxer Priester mischt sich unter
       die Demonstrierenden, wenige Meter weiter bietet eine Volksküche
       Borschtsch.
       
       ## Ältere Damen überreichen Blumen
       
       Es ist wie bei einem Volksfest. Ältere Damen überreichen Uniformierten
       Blumen für den Sieg. Dutzende von leer parkenden städtischen Bussen zeigen,
       dass viele Besucher aus den Vorstädten zu den Feierlichkeiten gekommen
       sind, mit organisatorischer Unterstützung der öffentlichen
       Verkehrsbetriebe.
       
       „Ich habe mir heute morgen im Fernsehen die Militärparade in Moskau
       angesehen. Ich habe geweint. Und mein Mann, der damals gegen Japan gekämpft
       hat, hat seine Tränen auch nicht zurückhalten können“, sagt eine ältere
       Dame. „Uns ist es gut gegangen, damals in der Sowjetunion. Schade, dass die
       dann alles kaputt gemacht haben. Und heute dürfen wir hier nicht mal mehr
       eine Parade abhalten. Das hat die Bandera-Regierung in Kiew verboten.“ Die
       Frau ist außer sich vor Wut über die Leute in Kiew.
       
       Rund 20 Prozent der Menschen hier tragen ein St.-Georgs-Bändchen, mit dem
       einst tapfere Soldaten der sowjetischen Armee ausgezeichnet wurden und das
       nun zum Erkennungszeichen der Unterstützer der prorussischen Bewegung
       geworden ist. „Aber 80 Prozent der Bevölkerung tragen heute kein
       St.-Georgs-Bändchen“, mischt sich eine jüngere Frau in das Gespräch ein.
       „Faschistische Provokateurin“, zischt ihr die Rentnerin zu.
       
       Im Straßenbild sind nur bewaffnete, prorussische Lokalpatrioten präsent,
       die Miliz lässt sie gewähren. „Unbewaffnet haben wir keine Chance“, sagt
       die junge Frau. „Und der Artilleriebeschuss von Slawjansk? Wo die
       ukrainische Armee und der rechte Sektor einen Lastwagen mit Fahrer
       beschossen und Kinder getötet haben, war der auch unbewaffnet?“, hält ihr
       die Rentnerin entgegen. Wütend verlässt die ältere Dame die
       Gesprächsgruppe.
       
       ## „Hier regiert der Hass“
       
       „Glauben Sie nicht, dass der Konflikt neu ist“, spricht die jüngere Frau
       weiter. „Ich war vor 15 Jahren in Kinderferien in der Westukraine. Und als
       die Jungs merkten, dass ich besser Russisch spreche als Ukrainisch, ich
       sogar in Russland geboren wurde, kannten die keinen Spaß, haben mich im
       Wald mit Ästen geschlagen. Ich bin ratlos. Hier regiert der Hass, und das
       nicht erst seit gestern. Ich denke, ich gehe jetzt besser, sonst holt die
       Dame noch Verstärkung.“
       
       Gegen Mittag füllt sich der Leninplatz. So viele Menschen waren dort seit
       vielen Tagen nicht mehr. „Der Jahrestag des Sieges über den Faschismus 1945
       ist auch ein Tag des Sieges für unsere Volksrepublik. Die Kiewer Junta
       kommt nicht durch“, schallt es über den Leninplatz.
       
       Doch nicht alle gehen am Tag des Sieges auf die Straße. Bewaffnet mit
       Messer und Tragetasche, sammelt eine Frau Pilze in einem Park. Ein junges
       Pärchen verstaut eine Campingausrüstung im Kofferraum und macht sich auf
       den Weg ins Grüne. Und hundert Meter von der besetzten Bezirksverwaltung
       der Republik Donezk entfernt weht immer noch die ukrainische Fahne vom
       Balkon einer leer stehenden Wohnung im vierten Stock auf halbmast.
       
       9 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
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