# taz.de -- Rundfunkurteil des Verfassungsgerichts: Alles unter Kontrolle
       
       > Zu viele Politiker, zu wenige gesellschaftlich relevante Gruppen –
       > urteilte das Bundesverfassungsgericht. Nun wird die Autonomie der
       > Kontrolleure debattiert.
       
 (IMG) Bild: Urteil: Die Aufsichtgremien des ZDF sollten bunter werden.
       
       Gegen Menschen, die gern Streuselkuchen essen, lässt sich eigentlich nichts
       sagen. Der Kabarettist Matthias Deutschmann hat diese Vorliebe vor rund
       drei Wochen dennoch negativ ausgelegt. Jedenfalls bezeichnete er [1][in der
       Badischen Zeitung den Rundfunkrat des SWR] als „kulturpolitisch blinde
       Runde von Spesenrittern mit Streuselkuchen im Kopf“. Das Aufsichtsgremium
       hatte 2012 die Auflösung des SWR-Sinfonieorchesters abgenickt. Die bis
       heute viel kritisierte Entscheidung war von den Hierarchen des Senders so
       gewünscht worden.
       
       Rundfunkräte wie die 73 Streuselkuchenfreunde des SWR kontrollieren in
       Deutschland die öffentlich-rechtlichen Sender. Während die Rundfunkräte die
       Programme beobachten, sind die Verwaltungsräte für Personal- und Etatfragen
       zuständig. Welche politischen Organe und gesellschaftlichen Gruppierungen
       vertreten sind, ist in den Staatsverträgen geregelt, über die die
       Landesparlamente entscheiden.
       
       Wer in diesen Gremien ehrenamtlich tätig ist, nimmt der Großteil der
       Bevölkerung normalerweise kaum wahr. In dieser Woche war das anders. Das
       Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Besetzung der Gremien beim ZDF
       verfassungswidrig ist. Die Zahl der direkten staatsnahen Vertreter in den
       Räten, so das Gericht, müsse von 44 auf 30 Prozent reduziert werden.
       
       Das Urteil wurde einen Tag vor dem mit Bundespräsidentenweihen gefeierten
       20-jährigen Jubiläum des Deutschlandradios verkündet. Und es betrifft nicht
       nur das ZDF, sondern einen erheblichen Teil der 633 Menschen, die derzeit
       in den Rundfunk- und Verwaltungsräten der öffentlich-rechtlichen Anstalten
       sitzen. Etwa die 7 der 15 Mitglieder des SWR-Verwaltungsrats, die dort die
       Landtage und die Regierungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
       vertreten.
       
       ## Tummelplatz der Etikettenschwindler
       
       Viel ändern wird sich vor allem deshalb, weil in den Räten gemäß dem
       Karlsruher Urteil keine Personen mehr als Repräsentanten von
       Berufsverbänden und anderen „gesellschaftlich relevanten“ Gruppen fungieren
       dürfen, „die in herausgehobener Funktion für eine politische Partei
       Verantwortung tragen“.
       
       Derzeit tummeln sich im Bereich der formal „staatsfernen“ Mitglieder einige
       Etikettenschwindler: Der CSU-Parteivorstand Thomas Goppel, der in Bayern
       schon viele Ministerämter bekleidet hat, sitzt im Rundfunkrat des
       Bayerischen Rundfunks als „Vertreter der Musik-Organisationen“. Und im
       77-köpfigen ZDF-Fernsehrat mischt der frühere saarländische
       Ministerpräsident und Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) mit. Er
       vertritt ein im Staatsvertrag nur vage beschriebenes Konglomerat von
       Interessengruppen.
       
       Klimmt hält das Urteil für „vernünftig“ und geht nicht davon aus, dass er
       sein Amt verlieren wird. Da sich fast alle Politiker optimistisch äußern,
       kann man wohl davon ausgehen, dass jede große Partei einen Plan in der
       Schublade hat, wie man unter den neuen Spielregeln weitermachen kann wie
       bisher.
       
       Den Verfassungsrichtern ist aber noch mehr aufgefallen, beispielsweise die
       „Versteinerung der Zusammensetzung der Rundfunkgremien“. Der Gesetzgeber
       habe dem „entgegenzuwirken“. Konkret formuliert ist das nicht gerade.
       
       ## Mehrere Bauern, keine Umweltschützer
       
       Aber dieser Passus führt zum Kernproblem: Repräsentieren die Gesandten aus
       Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen, die als
       Vertreter der Gesellschaft in den Gremien sitzen, tatsächlich noch die
       Bevölkerung? Wer fühlt sich repräsentiert von den Vertretern der Gemeinde-
       oder Landkreistage, die in verschiedenen Gremien sitzen?
       
       Ist es, bei aller Wertschätzung für die Bedeutung der Landwirtschaft in
       Bayern, nachvollziehbar, dass der Bayerische Bauernverband gleich zweimal
       im Rundfunkrat des BR vertreten ist, während, wie etwa der grüne
       Medienpolitiker Thomas Pfeiffer kritisiert, Greenpeace und Attac gar keinen
       Sitz haben? Die haben auch in den anderen Gremien nicht mitzureden, dafür
       aber spielt im MDR-Rundfunkrat der Landesverband Sächsischer Heimatschutz
       mit.
       
       Der Staatsvertrag des MDR stammt vom 30. Mai 1991, also aus einer Zeit, als
       im Sendegebiet noch viele Menschen an blühende Landschaften glaubten. Im
       Nachgang des ZDF-Urteils haben sächsische Oppositionspolitiker nun
       gefordert, den MDR-Staatsvertrag zu reformieren. Das könnte auch deswegen
       sinnvoll sein, weil der Rundfunkrat des MDR mit 12 Prozent den niedrigsten
       Frauenanteil hat.
       
       ## 60 Jahre altes System
       
       Zu den wortmächtigsten Kritikern des geltenden Aufsichtssystems gehört
       Norbert Schneider. Er war einst Kontrollierter (als Hörfunk- und
       Fernsehdirektor beim Sender Freies Berlin) und später auch Kontrolleur (als
       Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen). Schneider
       betont, dass „die wesentlichen Strukturmerkmale“ des Kontrollsystems „mehr
       als 60 Jahre alt“ seien. „Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Objekt
       der Rundfunkaufsicht Medien sind, die sich bekanntlich um ein Vielfaches
       schneller als andere Systeme verändern, kann man sich nur wundern, dass
       alles in allem noch so ist, wie es einmal war“, sagt er.
       
       Möglicherweise kommt dank des Urteils eine Diskussion über jene generellen
       Mängel der Rundfunkkontrolle in Gang, die nicht Gegenstand des Verfahrens
       waren. Der Streuselkuchenfeind und Orchesterfreund Deutschmann hat die
       SWR-Rundfunkräte in seiner Invektive unter anderem als „Hofschranzen“
       bezeichnet. Man kann es auch anders formulieren: In der Regel haben die
       Intendanten „ihre“ Kontrolleure im Griff.
       
       Das hat auch mit einem strukturellen Makel zu tun. Die Aufsichtsgremien
       sind organisatorisch bei den Sendern angesiedelt, sie sind keine
       eigenständigen Institutionen. Es muss in Zukunft also auch um die Frage
       gehen, ob die Räte das System nicht vielleicht besser kontrollieren
       könnten, wenn sie nicht ein Teil davon sind.
       
       28 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.badische-zeitung.de/freiburg/wie-die-politik-die-fusion-der-swr-orchester-forciert-hat--81779696.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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