# taz.de -- Ausstellung von Matthew Barney: In Vaseline getränkte Mythenwelt
       
       > In Kunstkreisen wird er leidenschaftlich verehrt, jetzt zeigt Matthew
       > Barney sein Mammutprojekt „River of Fundament“ in München.
       
 (IMG) Bild: „Boat of Ra“ im Haus der Kunst in München
       
       MÜNCHEN taz | Es passiert nicht oft, dass München für mehrere Tage im Fokus
       der kurzweiligen Aufmerksamkeit der internationalen Kunstszene steht. Vor
       knapp zehn Tagen brach genau diese Aufmerksamkeit über die bayerische
       Hauptstadt ein und provozierte einen großen, um sich greifenden Hype.
       
       Es begann an einem sommerlichen Freitag im Haus der Kunst, da zeigte der
       amerikanische Künstler Matthew Barney der Presse zum ersten Mal seine neue
       Ausstellung „River of Fundament“. So wirklich fertig war alles noch nicht,
       an den Wandbeschriftungen waren Tippfehler blau eingekreist, die Arbeiter
       hantierten noch an einer Schwefelskulptur herum, und Barney streifte, in
       lässige Sportklamotten verpackt, durch die kühle Eingangshalle des Hauses
       und wirkte dabei so konzentriert wie gelassen – ein bisschen, als habe die
       ganze Aufregung wenig mit ihm zu tun. Und irgendwie hatte sie das auch
       kaum.
       
       Barney, der Superstar, das Exmodel, der Körperfetischist, der
       Footballspieler, der Exmann von Björk, der Meister der mystischen
       Verwirrung, wird zwar in Kunstkreisen leidenschaftlich verehrt, nur mochte
       man von ihm selber gar nicht so viel hören.
       
       Wenn Barney von seiner Arbeit spricht, wie er es am rappelvollen
       Eröffnungsabend in einem Gespräch mit Okwui Enwezor tat, dann purzeln aus
       seinem Mund eine Menge Begriffe und Metaphern, die ebenso verschlüsselt
       wirken wie seine Arbeiten selbst. Statt etwas zu erklären, blieben sie wie
       eine dicke schwarze Wolke über den Köpfen der Besucher hängen, den klaren
       Himmel verbergend. Dabei wollte die Menge nur eines: endlich wieder in eine
       Vaseline getränkte Mythenwelt à la Barney eintauchen.
       
       Nicht ganz zwanzig Jahre nach dem ersten Teil seines berühmten
       „Cremaster-Zyklus“, klang das, was an diesem Wochenende gezeigt werden
       sollte, wie das Versprechen der nächsten großen Erleuchtung. Denn „River of
       Fundament“ ist nicht einfach eine Ausstellung. Es ist darüber hinaus und in
       erster Linie eine monumentale Filmoper. Knapp sechs Stunden dauert das laut
       Pressetext „Ergebnis eines intensiven Nachdenkens über Tod, Wiedergeburt,
       Transformation und Transzendenz“.
       
       ## Siebenjähriges Mammutprojekt
       
       Am Tag nach der Ausstellungseröffnung feierte diese ihre Europapremiere mit
       einer einzigen, superexklusiven Vorführung in der Bayerischen Staatsoper
       und schlug damit gleich alle Rekorde. Sogar Wagners „Meistersinger von
       Nürnberg“ sei zehn Minuten kürzer, gab Intendant Nikolaus Bachle einleitend
       zu. Barney selbst soll sieben Jahre lang mit dem Komponisten Jonathan
       Bepler an diesem Mammutprojekt gearbeitet haben, und das sieht man.
       
       [1][„River of Fundament“] ist das Ergebnis einer Obsession. Die dreht sich
       zumindest visuell um viel Scheiße (ja, wirklich) und um einen Mann, seinen
       Freund, den 2007 verstorbenen Schriftsteller Norman Mailer. Mit seinem
       heftig kritisierten Werk „Frühe Nächte“ gab dieser die Vorlage für den
       Film. Mailers Roman spielt im alten Ägypten und handelt vom Edelmann
       Menenhetet I, der mithilfe von Zauberei und allen möglichen Tricks
       versucht, dreimal wiedergeboren zu werden, um schließlich zum Pharao
       aufzusteigen. Zweimal gelingt ihm die Reinkarnation, für die er immer
       wieder den Fluss der Fäkalien überqueren muss, beim dritten Mal bleibt
       Menenhetet III im Mutterleib stecken und scheitert.
       
       Bei Barney wird Menenhetet durch „Norman“ ersetzt, seine Seele durch ein
       Auto der Marke Chrysler weitergetragen und das alte Ägypten ins
       industrielle Amerika, nach Los Angeles, Detroit und später New York
       übersetzt. Nur der Fluss der Fäkalien, der bleibt. Die Bilder, die Barney
       für diesen anfangs erstaunlich narrativen Film geschaffen hat, sind
       gewaltig und ebenso betörend wie auch ehrlich verstörend, Jonathan Beplers
       Musik und die Gesänge wirken gerade im Rahmen der Oper überwältigend.
       
       ## Skulpturen als Protagonisten
       
       All diese Größe, die Menschenansammlungen, die Paraden, es funktioniert,
       nur ist das am Ende vielleicht auch das Einzige. Tatsächlich muss man
       Barney widersprechen, wenn er sagt, man müsse den Film gar nicht gesehen
       haben, um die Ausstellung zu verstehen, denn im Grunde fungieren die
       Skulpturen hier als in den Ruhestand getretene Protagonisten des Films, die
       Zeichnungen als Randanmerkungen und die Vitrinen als Storyboard.
       
       Einige von ihnen, etwa die 25 Tonnen schwere gusseiserne Skulptur DJED,
       entstanden während Liveperformances, die wiederum Teil des Films und auch
       vor allem als solche wirklich interessant sind. Wenn Barney sagt, es gehe
       statt des Spektakels um die kollektive Erfahrung des Mysteriums, dann ist
       er damit gescheitert, denn diese Erfahrung konnte nur ein kleiner Kreis
       machen.
       
       Deshalb stellt sich am Ende angesichts aller Superlative, all der
       teilnehmenden Stars (Laurence Weiner, Fran Lebowitz, Elaine Stricht) und
       der aufdringlichen Eventhaftigkeit vor allem die Frage, für wen und wozu
       das alles geschehen ist.
       
       Dem Münchner Wochenende nach zu urteilen, für einen kleinen Kreis von
       Leuten, die offensichtlich die Zeit und die Muße haben, der leeren Symbolik
       mit viel Sekundärmaterial in der Hand auf den Grund zu gehen und sich um
       drei Uhr nachts, mit rauchenden Köpfen und vollkommen benebelt, viele
       Fragen zu stellen, auf die es gar keine Antwort gibt. Ob das wirklich das
       ist, was Kunst heute leisten sollte, muss sich dann auch jeder selbst
       beantworten.
       
       27 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.hausderkunst.de/agenda/detail/matthew-barney/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annabelle Hirsch
       
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