# taz.de -- Sarrazin auf Bundespressekonferenz: Den Müll trennen
       
       > Sein neues Buch wollte Thilo Sarrazin vorstellen – und niemand kam, ihm
       > den Mund zu verbieten. Über mediale Ignoranz klagt er trotzdem.
       
 (IMG) Bild: Thilo Sarrazin ist fremden Kulturtechniken gegenüber durchaus aufgeschlossen – hier der japanische Kotau
       
       BERLIN taz | Tugendterror, von wegen. Nicht den Hauch eines Protests gab es
       vor der Tür, als Thilo Sarrazin am Montag in Berlin sein neues Werk
       vorstellte. Der bücherschreibende Pensionär genoss es zwar sichtlich, mal
       wieder im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen zu baden, aber im Saal
       blieben viele Sitzplätze frei: Kein Vergleich zu dem Rummel vor drei
       Jahren, als der Damals-Noch-Bundesbank-Vorstand am gleichen Ort, dem Haus
       der Bundespressekonferenz, seinen frisch gedruckten Bestseller-to-be
       „Deutschland schafft sich ab“ präsentierte und damit eine wochenlange
       Debatte um Islam und Rassismus ins Rollen brachte.
       
       Dass er damals so viel Kritik auf sich zog, dafür hat Sarrazin inzwischen
       einen klaren Schuldigen ausgemacht: die Medien waren es, weil sie seine
       Aussagen so stark verzerrt hätten. Das ist der Tenor seines neuen Oevres,
       „Der neue Tugendterror“. Gleich zu Beginn seiner Pressekonferenz zählt er
       akribisch auf, dass es vor Erscheinen seines Buches bereits fünf
       Rezensionen gegeben habe – für ihn ein klarer Beweis für die Schlampigkeit
       von Journalisten, die Bücher besprechen, die sie noch gar nicht gelesen
       haben können.
       
       Offenbar hat ihm der Verlag nicht verraten, dass er Vorab-Exemplare des
       Buchs an die Presse geschickt hatte. Aber so ist das mit Thilo Sarrazin: er
       nimmt die Realität nur sehr selektiv wahr – eben nur so weit, wie sie in
       sein Raster passt. Dabei ist seine pauschale Medienkritik ein klarer Fall
       von Undankbarkeit. Denn ohne den Vorabdruck in Spiegel und Bild und die
       Einladung in zig Talkshows hätte sich das schwer lesbare Buch kaum so oft
       verkauft, erst durch die mediale Verkürzung haben seine Attacken auf
       Muslime und gegen Hartz-IV-Bezieher so viel Aufmerksamkeit erregt.
       
       Sarrazin jedoch ist von seiner eigenen Genialität voll überzeugt:
       „Besonders erhellend finde ich meine präzise Analyse der Zitatekultur“,
       lobte er vor versammeltem Publikum sein Kapitel, in dem er mit fast jedem
       seiner Kritiker einzeln abrechnet. „Das ist so schlagend“, gluckst er.
       
       ## Wer soll das lesen?
       
       Es bleibt dem konservativen Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias
       Kepplinger überlassen, Sarrazins Quark, der an keiner Hochschule auch nur
       als Seminararbeit angenommen würde, allen Ernstes zu einem Gewinn für die
       Wissenschaft zu stilisieren. Als von medialer Skandalisierung Betroffener
       habe Sarrazin die Wirkung der Massenmedien am eigenen Leib erlebt, würdigt
       ihn Kepplinger. Kein Politiker, kein Manager und kein Kardinal hätten
       darüber bisher ein Buch geschrieben. „Sie betreten damit Neuland“,
       schmeichelt er Sarrazin.
       
       Doch eine Debatte wie vor drei Jahren wird sein neues Buch nicht auslösen,
       dafür ist es viel zu diffus. Bei „Deutschland schafft sich ab“ war das
       Feindbild klar: es ging gegen Hartz-IV-Bezieher und Muslime, damit hatte er
       den Applaus einer Mehrheit sicher. In seinem neuen Buch teilt er gegen böse
       Journalisten, die sich gegen ihn verschworen hätten, aber auch gegen die
       Homo-Ehe, Frauen und die geschlechtergerechte Sprache aus. So
       mehrheitsfähig ist das nicht, und wer soll das lesen? Irgendwie hat auch
       keiner mehr Lust, sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen.
       
       Das neue Sarrazin-Buch besprechen - das ist in vielen Redaktionen
       inzwischen das, was in privaten Haushalten das Müll heraustragen ist: einer
       muss es machen, das Nützliche vom Unnützen trennen und auf die
       entsprechenden Tonnen verteilen. Aber reißen tut sich da niemand drum.
       Selbst Sandra Maischberger, die sich sonst für keinen Trash-Talk zu schade
       ist, hat Sarrazin aus ihrer nächsten Sendung kurzerhand wieder ausgeladen,
       auch andere winken inzwischen ab.
       
       Sarrazin wird auch das als Beweis für seine These sehen, dass ihn die
       Medien totschweigen wollen, aber was soll's. Den Lockrufen der „Alternative
       für Deutschland“, die ihn gerne als Galionsfigur für ihren Kampf gegen die
       etablierte Politik gewinnen würden, ist er bislang trotzdem nicht erlegen,
       aus reinem Trotz bleibt er bisher noch seinem SPD-Parteibuch treu.
       
       Zum Ende der Pressekonferenz kann er es sich dann aber nicht verkneifen,
       doch noch eine versteckte Wahlempfehlung abzugeben. „Die AfD hat spezifisch
       zur Währungsfrage mehr Kompetenz in ihren Spitzen versammelt als SPD und
       Union zusammen“, lobt der ehemalige Berliner Finanzsenator die neue
       Rechtspartei. Es klingt, als ob er sich in dieser Gesellschaft durchaus
       wohl fühlen könnte.
       
       24 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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