# taz.de -- Die Wahrheit: Vagabundierende Vampirforschung
       
       > Immer virulenter greifen blutsaugerische Fantasien nicht nur im Kino,
       > sondern auch im Leben um sich.
       
 (IMG) Bild: Filmszene mit Viago (Taika Waititi) im Sarg im Film „5 Zimmer, Küche, Sarg“.
       
       Nein, die folgende Begebenheit dreht sich keineswegs um ernste Dinge,
       obwohl es zunächst den Anschein erwecken dürfte …
       
       Meines Wissens kommt es selten vor, dass jemand nach der Diagnose einer
       chronischen Krankheit wesentlich aufgeräumter durchs Dasein vagabundiert
       als vor der Diagnose. Einem Bekannten ist dies widerfahren, ich skizzierte
       ihn vor einiger Zeit bereits.
       
       Hannes heißt der Mann und das betreffende Gebrechen Eisenspeicherkrankheit.
       Aufgrund einer genetischen Mutation wird das Eisen im Blut nicht abgebaut.
       Wird dies übersehen, packt dich schlimmstenfalls eine Leberzirrhose, ohne
       dass du je über den Durst getrunken hast. Wird es jedoch rechtzeitig
       erkannt, ist es simpel: Du wirst regelmäßig zur Ader gelassen, ein halber
       Liter wird abgezapft und gut ist.
       
       Kürzlich kreuzten sich wieder Hannes’ Pfade und meine, und zwar vor einem
       kuscheligen multiplexen Programmkino. Ich hatte mir den großartigen Film
       „Nebraska“ angeschaut und schmauchte nun draußen eine Selbstgedrehte. Aus
       dem Foyer kam Hannes auf mich zu – fidel, wie es mein Großvater
       charakterisiert hätte. Ich meinte, Hannes’ Augen leuchteten, strahlten
       geradewegs mir entgegen.
       
       „Grüß dich. Na, was hast du gesehen?“, fragte ich. Wäre sein Frohsinn aus
       der Botschaft gespeist, die auf die Leinwand projiziert worden war, dachte
       ich, hatte er mutmaßlich nicht „12 Years a Slave“ angeguckt.
       
       ## Ein Mutant und Vamp-Vampir
       
       „Ich war in ’Only Lovers Left Alive‘ von Jarmusch. Prima!“ Die
       schwarzromantische Liebesgeschichte hatte mich vor drei Tagen nicht sooo
       mitgerissen wie augenscheinlich Hannes. „Verehre ja Tilda Swinton sowieso“,
       sagte er, „und als Vampir ist sie jetzt wie geschaffen, damit wir ein Paar
       werden.“
       
       Fragend zog ich bloß die Brauen hoch, dann zusammen. Bisweilen wechsle ich
       offenkundig zwischen der Rolle eines Begriffsstutzes und der eines
       Nichtsnutzes. Oder verweile in Gedankenspielen und kriege von der Umgebung
       wenig mit.
       
       Hannes erklärte hingerissen: „Wie gesagt, sie spielt ja eine Vampirin,
       ernährt sich demzufolge von Blut. Voilà: ich spende, ach was, ich spendiere
       ihr meines mit Freuden, gebe ihr zu trinken … reichlich und gern. Mir geht
       es ja stets blendend nach dem Aderlass. Von nun an umso mehr.“
       
       Ich erwiderte: „Hey, das ist ja super. Ein Mutant und ein Vamp-Vampir. Für
       Tilda und dich eine Win-win-Situation. Gratuliere! – Aber wirst du dann
       nicht untot?“
       
       Kaum hatte ich geendet, näherte sich Hannes’ Freundin Irina aus Richtung
       WC. Mit ihr hatte ich nicht gerechnet. Gerieten die beiden in ein
       Eifersuchtsdrama? Zugleich betrachtete ich sie aus einer neuartigen
       Perspektive: ihre kurzgeschnittenen, gescheitelten Haare, zwischen Platin-
       und Weißblond changierend, glichen der Frisur von Tilda Swinton, die sie im
       wirklichen Leben häufig trägt. Irinas gesamte Erscheinung schimmerte jetzt
       durch Filme mit Tilda Swinton.
       
       Und der eine Eckzahn …? Was hatte dies nun zu bedeuten? Um das aufzulösen,
       könnte ich zum Vampirforscher werden. Mit Biss oder ohne, hö, hö.
       
       4 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich zur Nedden
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Vampire
 (DIR) Kino
 (DIR) Vampire
 (DIR) Narzissmus
 (DIR) Arno Schmidt
 (DIR) Individualisierung
 (DIR) EU-Außengrenzen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Film über Vampir-WG: Der Abwasch der Vampire
       
       Die schrullig-liebevolle Fake-Doku-Komödie „5 Zimmer, Küche, Sarg“
       beobachtet den ganz gewöhnlichen Vampir-Alltag.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wahn und Wahrheit um Bückeburg
       
       Eine Landpartie mit Roller wird noch schöner, wenn man einen Klassiker der
       Philosophie im Gepäck mitführt. Unterwegs mit Herder und Vespa.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ja keine halben Sachen
       
       Anders als die Halbinsel Krim ist das Nordsee-Eiland Amrum eine richtige
       Insel. Ihr nordfriesischer Name sorgt zudem für transzendentes Wohlgefühl.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Narretei über den Narzissmus
       
       Mit dem Ich ist es so eine Sache für mich. Wie unterscheide ich
       Selbstverliebtheit von Narzissmus und anderen Regungen?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Nachbarwitz
       
       Gedenktage können ganz schön schlauchen. Sie führen einen auf amüsante
       Abwege, manchmal auch auf unlustige.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Es geht uns besser und besser
       
       Jede Individualisierung ist anders: Wer sich nach dem Lesen dieser Kolumne
       nicht besser fühlt, dem ist auch nicht mehr zu helfen ...
       
 (DIR) Die Wahrheit: Zum Glück gibt's räumliche Distanz
       
       Als Anfang Oktober ein Kutter mit über 500 Migranten vor Lampedusa sank und
       fast 400 von ihnen ertranken, schaltete ich mehr als sieben Jahre zurück.