# taz.de -- Fall Yagmur: Verantwortung für totes Mädchen unklar
       
       > Fünf Tage nach dem Tod einer Dreijährigen herrscht Unklarheit über
       > mögliche Versäumnisse und sogar die Zuständigkeit der Hamburger Behörden.
       > Streit zwischen Jugendamt und Staatsanwaltschaft.
       
 (IMG) Bild: Schock in Billstedt: Die Menschen vor Ort gedenken der toten Yagmur mit Plakaten und Kerzen im Hauseingang.
       
       HAMBURG taz | Der Familienausschuss der Hamburger Bürgerschaft kam am
       Montag zu einer eilig einberufenen Sondersitzung zusammen, um von den
       Jugendbehörden Näheres über das kurze Leben der kleinen Yagmur zu erfahren.
       Die Dreijährige war am Morgen des 18. Dezember an einem Leberriss innerlich
       verblutet. Gegen beide Eltern wurde Haftbefehl erlassen. Der Vater soll das
       Kind misshandelt, die Mutter nichts dagegen getan haben.
       
       Wie konnte es dazu kommen, dass schon wieder ein Hamburger Kind starb,
       fragten sich die Abgeordneten. Erst vor zwei Wochen war ein Sonderausschuss
       beendet worden, der sich mit Konsequenzen aus dem Tod des 2012 gestorbenen
       Pflegekindes Chantal befasste. SPD-Sozialsenator Detlef Scheele sagte, dies
       mache ihn sprachlos. Deshalb habe er die neu gegründete
       Jugendhilfeinspektion beauftragt, den Fall zu untersuchen. „Vielmehr vermag
       ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu sagen.“ Das sei man auch den
       Mitarbeitern der Jugendämter schuldig.
       
       Zumindest der öffentliche Teil der ad hoc einberufenen Sitzung wenig
       ergiebig. Doch Vieles ist in den vergangenen Tagen bekannt geworden.
       
       Selbst den von der SPD-Abgeordneten Melanie Leonhard geforderten "groben
       chronologischen Ablauf" der Ereignisse wollte Scheele lieber in den
       nichtöffentlichen Teil des Abends verlegen. Das rief den Unmut der
       Grünen-Abgeordenten Christiane Blömeke hervor. "Ich halte es für sehr
       fragwürdig, dass die Medien mehr Informationen zur Verfügung haben als wir
       Abgeordneten", sagte sie.
       
       Darauf entgegnete der Senator, man sei nicht gut beraten, etwas zu sagen,
       wenn man es nicht genau weiß, "dann wird man das nicht wieder los". Ein
       Fingerzeig auf den Leiter des Bezirksamts Mitte, Andy Grote, und dessen
       Vorgänger. Kurz zuvor hatte CDU-Politiker Christoph de Vries Grote
       kritisiert, weil dieser noch am Todestag die Presse zu sich eingeladen und
       erklärt habe, es habe keinen Hinweis auf Kindeswohlgefährung gegeben. "Wie
       kann man das eigentlich sagen?"
       
       Yagmur wurde seit ihrer Geburt im Oktober 2010 von verschiedenen
       Jugendämtern betreut, lebte zunächst bei einer Pflegemutter, dann für
       wenige Wochen bei ihren Eltern und schließlich in einem Kinderschutzhaus,
       bevor sie in diesem August zu ihren Eltern zog
       
       Fest steht: Die kleine Yagmur wurde schon früh Opfer von Gewalt. Im Januar
       2013 wurden bei einer Untersuchung im Kinderkrankenhaus schwere
       Schädelverletzungen älteren Ursprungs festgestellt, die eine Operation
       nötig machten. Ein Gerichtsmediziner erstattete Strafanzeige.
       
       Die Pflegemutter belaste sich seinerzeit zunächst selbst, sie habe das Kind
       in der Vergangenheit geschüttelt. Doch ihre Schilderungen passten nicht zu
       den Verletzungen. Die Staatsanwaltschaft hat bis heute die Eltern im
       Verdacht, diese Misshandlungen verübt zu haben, konnte die Täterschaft aber
       nicht eindeutig ermitteln. Im Zentrum steht nun die Frage, warum das Kind
       trotzdem im August zu den Eltern zurück gegeben wurde.
       
       Verantwortlich für die Anbahnung dieser Zurückführung in die Familie ist
       das Jugendamt im Bezirk Eimsbüttel, welches von April 2012 bis Juli 2013
       den Fall begleitete. Danach bis zu ihrem Tod war es der Bezirk Mitte.
       
       Scheele hatte alle Leiter der Bezirke mitgebracht, deren Jugendämter
       nacheinander für das Kind zuständig waren. Mitte-Chef Andy Grote hatte noch
       am vorigen Mittwoch vor Journalisten erklärt, das Verhältnis von Mutter zu
       Tochter sei „außerordentlich liebevoll“ gewesen. Es habe auch viele Besuche
       vom Sozialarbeiter gegeben, bei denen Yagmur glücklich gewirkt habe und es
       ihr gut ging.
       
       Grote selber sagte, er sei an diesem Mittwoch sehr erschüttert gewesen. Es
       ein "Spannungsverhältnis" zwischen dem großen Informationsbedürfnis der
       Öffentlichkeit und der gebotenen Zurückhaltung. "Nach erster vorläufiger
       Aktenauswertung konnten wir sagen, dass seit Übernahme der Zuständigkeit am
       1. Juli 2013 keine Meldungen oder Hinweise auf Kindeswohlgefährdung
       eingegangen sind."
       
       Grotes Amtvorgänger Markus Schreiber hatte vor zwei Jahren nach Chantals
       Tod eine ähnliche Einlassung - "dem Kind ging es gut" - in große
       Schwierigkeiten gebracht. Schlielich musste er seinen Posten räumen. Damals
       gab es noch keine Jugendhilfeinspektion zur Beruhigung der Gemüter.
       
       In der Tat gibt es noch mehr Beteiligte. Inzwischen berichtete die
       Bild-Zeitung über Hinweise darauf, dass das Familiengericht Fehler gemacht
       habe. So soll das Jugendamt Eimsbüttel einen Antrag auf Sorgerechtsentzug
       oder eine Amtspflegschaft gestellt haben. Beides soll aber die zuständige
       Richterin am Amtsgericht St. Georg laut einer Telefonnotiz vom 7. Mai
       abgelehnt haben.
       
       Gerichtssprecher Alexander Witt weist dies zurück. „Es gab ganz sicher kein
       Telefonat des Inhalts, dass das Kind zurückgegeben werden soll und es mit
       dem Antrag auf Sorgerechtsentzug nichts wird.“ Es habe am 2. Mai eine
       Anhörung der Eltern gegeben. Die Eltern seien bereit gewesen, dem Jugendamt
       eine Vollmacht für das Kind zu unterschreiben. Der Antrag auf
       Sorgerechtsentzug hätte sich damit erstmal erledigt. Das Gericht habe aber
       im Juli, September und November vom Jugendamt „Sachstandsberichte“
       angefordert und diese nicht bekommen, so Witt. Auch dass die
       Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die Eltern im November zwar
       einstellte, der Misshandlungs-Verdacht aber weiter bestand, habe das
       Familiengericht nicht erfahren.
       
       Ob das zuständige Jugendamt dies im Blick hatte? Laut Hamburger Abendblatt
       gibt es hier aus Behördenkreisen unterschiedliche Angaben. Mal heißt es,
       das Jugendamt Eimsbüttel habe im Mai der Rückführung Yagmurs zu ihren
       Eltern zugestimmt. Andererseits habe es bei der Übergabe des Falls an den
       Nachbarbezirk Mitte davor gewarnt. Wegen der noch laufenden Ermittlungen.
       
       Laut der Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nana Frombach wurde dem
       Jugendamt im November mitgeteilt, dass es trotz der Einstellung des
       Verfahrens weiterhin einen Tatverdacht gegen die Eltern gab. Das stimme
       eben nicht, erklärte Mitte-Chef Grote den Abgeordneten. Dass die Eltern
       verdächtig sind oder waren, habe nicht in dem Einstellungsbescheid
       gestanden.
       
       Was nun stimmt; welche Versäumnisse im Jugendamt passierten – das soll laut
       Scheele die neue Jugendhilfeinspektion ermitteln. Allerdings ist diese Teil
       von Scheeles Behördenapparat.
       
       Die Abgeordneten seiner eigenen Partei wollen sich ein eigenes Bild machen.
       Die SPD-Fraktion hat einen Antrag auf Einsicht in die Akten zum Fall Yagmur
       bis zum 30. Januar gestellt, der von allen Parteien unterstützt wird. Darin
       sollen auch die Unterlagen der Ermittlungsbehörden enthalten sein.
       
       23 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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