# taz.de -- NS-Recht: „Das sind Freisler-Paragrafen“
       
       > Schleswig-Holsteins Justizministerin Anke Spoorendonk will heute noch
       > geltende Gesetze aus der NS-Zeit prüfen. Vor allem den Mord-Paragrafen.
       
 (IMG) Bild: Anke Spoorendonk, Justizministerin von Schleswig-Holstein
       
       taz: Frau Spoorendonk, Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das
       sich systematisch mit Relikten der NS-Gesetzgebung auseinandersetzt. Wie
       weit ist Ihre Initiative gediehen? 
       
       Anke Spoorendonk: Wir haben alle Fachressorts des Landes aufgefordert, in
       ihren Bereichen nach entsprechenden Gesetzen und Verordnungen zu
       recherchieren. Darüber hinaus bringen wir jetzt eine Bundesratsinitiative
       die Paragrafen 211 und 212 des Strafgesetzbuches (StGB) betreffend ein.
       
       Die Paragrafen für Mord und Totschlag. 
       
       Ja – das sind echte Freisler-Paragrafen! Der berüchtigte Präsident des
       Volksgerichtshofes war auch Staatssekretär im Reichsjustizministerium und
       als solcher federführend an der Ausarbeitung von Gesetzen beteiligt. Die
       heute noch gültige Mord-Definition stammt aus Freislers Änderungsgesetz von
       1941.
       
       Was bedeutet das inhaltlich? 
       
       Dass nach wie vor nach einem Tätertyp-orientierten Gesetz geurteilt wird,
       was eindeutig in Widerspruch zum Geist des Strafgesetzbuches steht. Anstatt
       zu sagen, Mörder ist, wer aus niedrigen Motiven heraus tötet, muss es
       wieder einen Tatbestands-orientierten Mordbegriff geben.
       
       Musste erst eine „dänische“ Ministerin ins Amt kommen, damit eine
       Aufarbeitung des juristischen NS-Erbes in Schleswig-Holstein und darüber
       hinaus beginnt? 
       
       Das sehe ich überhaupt nicht so. Es gab hier im Haus auch schon früher
       Ansätze in diese Richtung. Aber natürlich ist es mir als Historikerin, die
       sich sehr ausführlich mit der Nazi-Zeit beschäftigt hat, auch ein starkes
       persönliches Anliegen, dass wir hier endlich weiterkommen.
       
       Ihr Staatssekretär hat gesagt: „Wir erwarten vom Bund, dass er in seine
       Zuständigkeit fallende Vorschriften durchprüft und gegebenenfalls neu
       erlässt.“ Das beträfe Gesetze aus allen Rechtsbereichen, etwa das
       Heilpraktikergesetz, die Schiffsregister-Ordnung, das Patentrecht, das
       Einkommenssteuergesetz und vieles mehr. In welchem Zeitrahmen kann das
       überarbeitet werden? 
       
       Moment, langsam: Unsere Bundesratsinitiative bezieht sich zunächst nur auf
       den Justizbereich – obwohl ich nicht nur aus historischen, sondern auch aus
       politischen Gründen eine Gegnerin beispielsweise des im „Dritten Reich“
       eingeführten Ehegatten-Splittings bin.
       
       Sie fangen auf Bundesebene mit Mord und Totschlag an, um sich später
       gegebenenfalls auch andere Rechtsbereiche vorzunehmen? 
       
       So ist es. Wir wollen uns nicht verzetteln und können nicht alles
       gleichzeitig in Angriff nehmen. Unsere Initiative soll aber durchaus ein
       Einstieg sein, um dann auch andere Rechtsbereiche zu untersuchen.
       
       Schon allein im Justizbereich gibt es ziemlich viel, was in der NS-Zeit in
       Kraft trat: Die Bundesnotar-Ordnung, die Justizverwaltungskosten-Ordnung,
       das Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen, das
       Verschollenheitsgesetz und so fort. Wie ist die Resonanz der anderen
       Justizminister auf Ihre Initiative? 
       
       Die Justizministerinnen und Justizminister kommen Mitte November zu ihrer
       Herbstkonferenz zusammen. Wir haben das Thema einer redaktionellen
       Überarbeitung der §§211 ff. StGB auf die Tagesordnung setzen lassen und
       werden dort auch konkrete Überlegungen für eine Neufassung vorstellen.
       Dabei werde ich für eine breite politische Unterstützung unseres Anliegens
       werben.
       
       Gibt es Gegenwind – etwa aus konservativ regierten Bundesländern? 
       
       Wie sich die übrigen Bundesländer zu unserem Vorhaben positionieren, wird
       die fachliche und politische Diskussion bei der Justizministerkonferenz
       zeigen.
       
       Das Bundesjustizministerium lässt bereits die Nazi-Vergangenheit seiner
       Nachkriegsmitarbeiter untersuchen, um Zusammenhänge zwischen personellen
       Kontinuitäten und damaligen Widerständen im Ressort etwa gegen ein
       moderneres Familienrecht zu erhellen. Halten Sie eine solche Untersuchung
       auch auf Landesebene für sinnvoll? 
       
       Das ist möglich, aber noch nicht entschieden.
       
       In Schleswig-Holstein gelten beispielsweise noch 14 Verordnungen aus dem
       Justizbereich, die zwischen 1933 und 1945 in Kraft traten. Aber auch die
       gesetzliche Grundlage von 22 Naturschutzgebieten datiert aus den 1930er und
       1940er Jahren. Müssen die nun alle neu unter Schutz gestellt werden? 
       
       Nein. Aber wir wollen schon wissen, mit welchem juristischen Erbe wir es zu
       tun haben. Es gibt natürlich Verwaltungsvorschriften aus der NS-Zeit, die
       nicht im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes stehen. Aber auch solche,
       die weit mehr sind als rein technische Vorschriften und die man vielleicht
       erst bei genauerem Hinsehen als Ausdruck von NS-Gedankengut erkennen kann –
       und dann natürlich ändern muss. Es kann durchaus sein, dass wir da noch
       etwas entdecken.
       
       Hätte es 1945 eine juristische „Stunde Null“ geben müssen, um per se keine
       Rechtssetzungen eines Unrechtsstaates zu übernehmen – unabhängig vom
       konkreten Gehalt einzelner Gesetze? 
       
       Es gab zunächst die Notwendigkeit, eine Rechts und Verwaltungskontinuität
       zu gewährleisten. Dann folgte allerdings eine sehr schleppende Aufarbeitung
       des juristischen Erbes. Es gab lange Jahre der Verdrängung, auch in den
       Ministerien. Da muss man von einer zweiten braunen Vergangenheit sprechen.
       
       4 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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