# taz.de -- Krise in der Stahlindustrie: Weich wie ThyssenKrupp-Stahl
       
       > Nur von den Erfolgen der Vergangenheit kann man nicht leben: Deutschlands
       > größtem Stahlkonzern droht die Zerschlagung.
       
 (IMG) Bild: Den 14.000 ThyssenKrupp-Beschäftigten in Bochum wird es derzeit doppelt heiß. Denn der Konzern wackelt.
       
       BOCHUM taz | Schlechter konnten die Zahlen, die Thyssen-Krupp-Chef Heinrich
       Hiesinger am späten Dienstag verkünden musste, kaum sein. Verluste von über
       1,2 Milliarden Euro hat Deutschlands größter Stahlkonzern in den ersten
       neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres gemacht. Die Eigenkapital der
       Essener sank auf miese 8 Prozent – kein anderes DAX-Unternehmen steht
       schlechter da. Insgesamt drücken Nettoschulden von über 5 Milliarden Euro.
       
       Grund der Unternehmenskrise ist eine gigantische Fehlinvestition: 12
       Milliarden Euro hat Thyssen-Krupp in zwei im Bereich „Steel Americas“
       gebündelte Werke gesteckt. Doch der Plan, in Brasilien billig Stahl zu
       produzieren und dann im US-Bundesstaat Alabama weiterverarbeiten zu lassen,
       ging nicht auf.
       
       Steigende Löhne und die Aufwertung des brasilianischen Real drückten die
       Rentabilität. Außerdem ist das nicht vom konzerneigenen Anlagenbauer Uhde
       gebaute Werk vor Rio de Janeiro extrem störanfällig: Im Mai stürzte ein
       tonnenschwerer Eisenbrocken in einen der beiden Hochöfen. Der erkaltete –
       in der Stahlproduktion ist das der Worst Case.
       
       Jedes Quartal häuft „Steel Americas“ dreistellige Millionenverluste an. In
       den Büchern stehen die Werke nur noch mit 3,4 Milliarden Euro – die
       Amerika-Expedition hat Thyssen-Krupp 9 Milliarden Euro gekostet.
       Konzernchef Hiesinger will die Sparte deshalb um jeden Preis loswerden –
       doch der Hauptinteressent, der brasilianische Stahlkocher CSN, pokert. „Die
       Bieter“ würden „einen vollständigen Hochlauf des Hochofens 2“ erwarten,
       musste Hiesinger einräumen: Der Verkauf von Steel Americas dauere „länger
       als erwartet“.
       
       ## Frisches Kapital gesucht
       
       Für Thyssen-Krupp könnte das tragisch sein. Zwar läuft das Tagesgeschäft:
       Der Aufzugbau sorgte für einen Rekordgewinn von 487 Millionen, die
       europäische Stahlproduktion schaffte 101 Millionen heran.
       
       Trotzdem brauchen die Essener schnellstens frisches Kapital: Das Verhältnis
       der Nettofinanzschulden zum Eigenkapital ist auf 185 Prozent gestiegen.
       Sollte dieses Verhältnis bis Ende des Geschäftsjahres am 30. September
       nicht auf 150 Prozent gesunken sein, können die Kreditgeber neu verhandeln:
       „Die Banken könnten die Kredite theoretisch kündigen“, so
       Thyssen-Krupp-Sprecher Kilian Rötzer zur taz.
       
       Vorstandschef Hiesinger denkt deshalb über eine Kapitalerhöhung nach. Doch
       damit wäre die Krupp-Stiftung, die unter Führung von Firmenpatriarch
       Berthold Beitz vor einer feindlichen Übernahme Schutz bot, aus dem Rennen –
       ihr fehlt das nötige Geld. Mit dem Einstieg großer Finanzinvestoren aber
       droht Thyssen-Krupp die Zerschlagung: Aufzüge, Anlagenbau und die Werften
       könnten bei einem Einzelverkauf deutlich mehr bringen als den aktuelle
       Börsenwert von 9 Milliarden Euro.
       
       ## NRW-Ministerpräsidentin bangt um Arbeitsplätze
       
       Doch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will eine
       Filetierung des Traditionskonzerns auf jeden Fall vermeiden. „Ich muss nur
       auf die Arbeitsplätze schauen“, sagte die Sozialdemokratin im Sender n-tv.
       Allein in Duisburg beschäftigt Thyssen-Krupp noch mehr als 14.000 seiner
       150.000 Mitarbeiter – und Kraft kann eine weitere Krise wie bei Opel in
       Bochum nicht gebrauchen.
       
       In NRW wird deshalb spekuliert, ob nicht die RAG-Stiftung, die eigentlich
       die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus absichern soll, der
       Krupp-Stiftung mit einem Kredit aushelfen kann. Eine Schlüsselrolle hätte
       dabei Kraft – sie sitzt in beiden Stiftungen im Kuratorium. Aber die
       Sozialdemokratin zögert: Bei der RAG-Stiftung hat der Bund, der den
       Hauptanteil der Kohlesubventionen getragen hat, wichtige Mitspracherechte –
       und Berlin könnte Kraft mitten im Bundestagswahlkampf hängen lassen.
       
       Noch spielt die SPD-Hoffnungsträgerin deshalb auf Zeit: Thyssen-Krupp,
       verkündete Kraft am Anfang der Woche, sei „alles in allem ein guter, ein
       gesunder Konzern“.
       
       14 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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