# taz.de -- ERT und Griechenlands Demokratie: Athen erlebt Tage des Zorns
       
       > Das Ende des staatlichen Senders ERT führt zu Protesten und zu einer
       > Regierungskrise. Die Demonstranten sehen die Demokratie in Gefahr.
       
 (IMG) Bild: Aus Solidarität mit den Besetzern geben Musiker ein Konzert auf dem Sendergelände.
       
       „Es geht nicht um ERT, es [1][geht um die Demokratie].“ Dieser Satz, der in
       der Nacht vom 11. auf den 12. Juni in Athen auf dem spontan und bis heute
       besetzten Gelände des staatlichen Rundfunksenders ERT die Runde machte,
       zeigt die ganze Tragweite der Auseinandersetzung, die Griechenland derzeit
       erlebt.
       
       Er erklärt, warum Ministerpräsident Antonis Samaras von der Nea Dimokratia
       (ND) künftig nur noch mit einem dünnen Stimmenvorsprung regieren kann,
       nachdem am Freitag die demokratische Linke, der kleinste Partner in der
       Dreiparteienkoalition, [2][die Regierung verließ]. Samaras hatte die Partei
       sowie die Sozialisten von der Pasok nicht über seinen Alleingang in Sachen
       ERT informiert.
       
       Der Satz erklärt aber vor allem, dass für viele Griechen ein Punkt erreicht
       ist, der zu einem kollektiven Aufschrei des „Es reicht!“ führte, der auch
       zur Zeit in [3][Istanbul] und [4][Rio] zu hören ist. ERT ist für die
       Athener, die nach der Schließung zu Tausenden zum Sender strömten, zu einem
       Symbol geworden – für den Abbau der Demokratie, für die Heuchelei der
       Politiker, für den Ausverkauf des Landes.
       
       ## Klientelismus und überhöhte Gehälter
       
       „Sie entsorgen die Demokratie. In Griechenland wird alles, was öffentliches
       Eigentum war, verkauft oder zugrunde gewirtschaftet. Das Wasser, die Häfen,
       das Gesundheitssystem. Die Oligarchen Griechenlands profitieren davon. Und
       in den Privatsendern der Oligarchen sollen wir uns künftig informieren,
       weil sie den staatlichen Rundfunk zugrunde richten“, sagt der 49-jährige
       Demonstrant Mario in der ersten Nacht der Besetzung.
       
       Viel Wahres ist gesagt worden über Klientelismus und überhöhte Gehälter für
       unqualifizierte Regierungsgünstlinge bei ERT. Doch als Regierungssprecher
       Simos Kedikoglou bei seinem Statement zur ERT-Schließung an diese kollektiv
       im Gedächtnis verankerten Wahrheiten appelliert, verfängt das nicht. Das
       [5][Narrativ ist längst ein anderes].
       
       Das hat viele Gründe: Kedikoglou selbst ist einer derjenigen, der in der
       Vergangenheit seine Leute in den Sender pressen wollte. Und bei ERT wurden
       seit 2010, seit Griechenland unter Troika-Kontrolle steht, Gehälter
       drastisch gekürzt und rund 1.500 Stellen abgebaut.
       
       Zudem sollen die Mitglieder des künftigen Aufsichtsrats, einer personell
       abgespeckten, neuen Rundfunkanstalt, per Beschluss des zuständigen
       Ministers ernannt werden. Dies wurde bald nach der ERT-Schließung bekannt.
       Das ist nicht der demokratische, unabhängige Rundfunk, den die Regierung
       angeblich schaffen will, für den aber die Besetzer streiten.
       
       ## Der Druck der Troika
       
       „Griechenland ist das Laboratorium für den postdemokratischen Umbau
       Europas, er geht mit der Austeritätspolitik Hand in Hand“, sagt der
       politische Basisaktivist Christos Giovanopoulos. Weil Samaras die
       Unpopularität der Senderschließung vielleicht ahnte, aber die Troika Druck
       macht, dass bis Ende 2013 4.000 Staatdiener entlassen werden, löste er ERT
       per Noterlass am Parlament vorbei auf.
       
       „Es ist ein sozialer Krieg gegen die Bevölkerung, den wir erleben“, sagt
       der 25-jährige Student und Besetzer George Muketis dazu in einer der Nächte
       auf dem Rundfunkgelände, während Tausende um ihn herum einen modernisierten
       Widerstandsslogan aus der Zeit der griechischen Militärdiktatur (1967 bis
       1974) rufen: „Brot, Bildung, Freiheit – die Zeit der Junta ist noch nicht
       vorbei.“
       
       Auch bei Katerina Daskalas blitzen in diesen Tagen die Erinnerungen an die
       Juntajahre auf, als der Ministerpräsident wenige Tage nach der
       ERT-Schließung vor jubelnden Nea-Dimokratia-Anhängern spricht. „Samaras
       beschwört Bürgerkriegsstimmung herauf“, sagt die 70-Jährige, während sie
       hört, wie Samaras das Ende der Gewerkschaften beschwört. Ihre Zeit sei
       abgelaufen, so Samaras.
       
       Der Konservative, dem viele nachsagen, er wolle künftig mit einem
       „gemäßigten“ Flügel der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte
       koalieren, illustriert, was die theoretische Debatte über den Umbau Europas
       unter den Spardiktaten beschreibt: Regiert wird nicht mehr mit
       größtmöglichem gesellschaftlichen Konsens, regiert wird mit Zwang.
       
       ## Das oberste Verwaltungsgericht ignoriert
       
       Dafür sind viele Mittel recht. [6][So ignoriert die Regierung seit Tagen]
       den Beschluss des obersten Verwaltungsgerichts, ERT müsse sofort wieder ans
       Netz gehen. Richter Konstantinos Menoudakos musste schließlich sogar
       erklären, die Pressemitteilung zum ERT-Urteil, die der Regierung
       weitreichende Kompetenzen bei der Senderumgestaltung zugestand, stamme
       entgegen des allgemeinen Eindrucks nicht von ihm.
       
       Wenige Tage zuvor hatte sich George Mouroutis, Chef von Samaras Pressestab,
       per Twitter an den Athener Bürgermeister gewandt und beschwert, dass dieser
       es dem Linksparteibündnis Syriza erlaube, mit Plakaten für eine Kundgebung
       zu mobilisieren. Mouroutis ist Teil des sogenannten „Wahrheitsteams“, dass
       laut [7][borderlinereports.net] mit gezielten Meinungsmanipulationen den
       öffentlichen Diskurs im Land zu verschieben versucht.
       
       „Die Menschen in Europa sollten nicht nur auf die wachsende Zustimmung für
       die neofaschistische Bewegung Goldene Morgenröte starren. Die Politik der
       Troika und der Regierung Merkel, die den Druck an Samaras weitergeben,
       führen dazu, dass der Staat autoritär umgebaut wird. Erst darauf gedeiht
       der Neofaschismus“, sagt Christos Giovanopoulos. Oder wie die Athener eben
       sagen: „Es geht nicht um ERT, es geht um die Demokratie.“
       
       21 Jun 2013
       
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