# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Mündige und Marionetten
       
       > Die Seleção bezieht Stellung. Sie solidarisiert sich mit den
       > protestierenden Brasilianern. So etwas würden die angepassten deutsche
       > Profis wohl kaum machen.
       
 (IMG) Bild: Solidarischer Superheld: Hulk
       
       Bildung, das Gesundheitswesen, die soziale Schieflage der Gesellschaft. Es
       sind richtig interessante Dinge, die – wie man hört – verhandelt werden,
       wenn die Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft in diesen Tagen des
       Confederations Cup vor die Presse treten. Keiner der kickenden Gutverdiener
       versucht zu mauern, wenn er auf die machtvollen Demonstrationen
       angesprochen wird, die derzeit das ganze Land in Atem halten.
       
       Und Trainer Luiz Felipe Scolari hat auch nichts dagegen, wenn er und die
       Spieler auf Pressekonferenzen nach ihrer politischen Meinung gefragt
       werden, und er besteht nicht darauf, dass nur über sportliche Dinge
       gesprochen wird, weil er weiß, dass das Leben in Brasilien wichtiger ist
       als die harte Wade eines Mittelfeldspielers vor der Partie gegen Mexiko.
       
       Und so staunen wir, dass ein Spieler wie Hulk, der hierzulande vor allem
       deshalb bekannt ist, weil er für eine irrwitzige Ablösesumme vom FC Porto
       zu Zenit St. Petersburg gewechselt ist, sich mit den Demonstranten, die für
       ein lebenswertes Leben auf die Straße gehen, solidarisiert. Schon länger
       staunen wir über Romario, den Weltmeister von 1994, der als Parlamentarier
       zu einem der schärfsten Kritiker der korrupten Fußballkaste geworden ist.
       
       Und wir reiben uns verwundert die Augen, wenn wir lesen, dass der frühere
       Nationalspieler Juninho auf seiner Facebook-Seite fordert, die
       Nationalspieler mögen ein Zeichen der Solidarität an die Protestierenden
       aussenden, indem sie sich beim nächsten Spiel während der Nationalhymne
       demonstrativ von der Landesfahne abwenden. In Brasilien scheint es zu
       geben, was in Deutschland nicht möglich scheint: den mündigen Fußballprofi.
       
       Der frühere Nationalspieler Gerald Asamoah hat in seiner Autobiografie
       beschrieben, wie entsetzt er darüber war, dass sich keiner seiner Kollegen
       aus der DFB-Elf demonstrativ gegen Rassismus positioniert hat, nachdem er
       von Rostocker Fans rassistisch beleidigt worden war. Nichts war da zu hören
       vom kürzlich feierlich aus dem Spielerbusiness verabschiedeten damaligen
       DFB-Kapitän Michael Ballack.
       
       ## Zum Sprachrohr der Regierung degradiert
       
       Philipp Lahm, sein Nachfolger, setzt sich immerhin vernehmbar gegen
       Homophobie im Fußball ein, ist aber in seiner Position als leitender
       DFB-Mitarbeiter regelrecht gleichgeschaltet. Sein Einsatz für die
       Opposition in der Ukraine mag in der Sache nachvollziehbar und richtig
       sein. Weil er sich dabei allerdings ebenso wie DFB-Präsident Wolfgang
       Niersbach zum Sprachrohr der Bundesregierung hat degradieren lassen, darf
       er getrost als kickendes Winkelement der Bundeskanzlerin bezeichnet werden.
       
       Es mag sicher Spieler geben, die den internationalen Fußballverband
       kritisch sehen – geht ja auch kaum anders–, aber sagen würden sie das in
       der Öffentlichkeit nie und nimmer. Viele der deutschen Profis sind in ihrer
       Sprachlosigkeit zu degenerierten Ich-sag-mal-so-Marionetten geworden. Die
       geistige Reduzierung auf ein grünes Rasenrechteck ist längst zur Norm
       geworden in Fußballdeutschland. Und wenn ein Alttrainer wie Otto Rehhagel
       als Wahlmann über den Bundespräsidenten mitentscheidet, so liegt die Frage
       nahe: „Hat der überhaupt eine Ahnung von dem, was er da macht?“
       
       Bundestrainer Joachim Löw schwärmt, wenn er auf seine jungen Spieler
       angesprochen wird, von deren charakterlichen Reife. Mit Mündigkeit hat
       diese nur wenig zu tun. Welche Blüten die Anpassungsmaschine im deutschen
       Fußball treiben kann, war vor Kurzem beim FC Bayern zu beobachten, als sich
       der bekennende Steuerhinterzieher Uli Hoeneß von seinen teilweise
       blutjungen Fußballspielern hat bestätigen lassen, welch grundguter Typ er
       ist. Einen Kicker, der lauthals gegen Steuerbetrügereien, gegen all die
       legalen und illegalen Tricks zur Steuervermeidung, der sich ganz allgemein
       für mehr Steuergerechtigkeit einsetzt, hat man in dieser Zeit nicht
       vernommen. Man kann das auch als armselig bezeichnen.
       
       19 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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