# taz.de -- Crystal Meth in der bayrischen Provinz: „Die Panik meines Lebens“
       
       > An der Grenze zu Tschechien floriert der Handel mit der Aufputschdroge
       > Crystal. Emanuel* nahm sie drei Jahre lang. Bis er nicht mehr wusste, wer
       > er war.
       
 (IMG) Bild: Walter White (gespielt von Bryan Cranston) wird in der US-Serie „Breaking Bad“ zum Crystal-Papst.
       
       FURTH IM WALD taz | „I bin stolz auf mei scheens, runds Gsicht“, sagt
       Emanuel*. Er klopft sich eine Zigarette aus der Packung, steckt sie an und
       bläst den Rauch an die Decke. Seine Hände zittern. „Vor am halben Jahr war
       i noch total eingfalln.“
       
       Es ist ein sonniger Samstagvormittag. Aus der Küche im Erdgeschoss kriecht
       der Duft nach Schweinebraten in Emanuels Zimmer. Draußen brummen Autos
       durch das 2.000-Einwohner-Dorf im Bayerischen Wald, ein paar Kilometer von
       der Kleinstadt Furth im Wald entfernt. Dahinter kommt die Grenze zu
       Tschechien.
       
       „Meine Eltern ham nie wirklich wos gwusst“, sagt er. Dass er drei Jahre
       lang regelmäßig über die Grenze radelte, um sich Crystal zu holen. Dass er
       sich hier, im Elternhaus, „Nas’n auflegte, bei denen es andere scho längst
       umghaun hätt“. Wenn er wieder im „Aufräummodus“ war und nachts um drei Uhr
       die Ordner aus dem Regal riss, um alles neu zu sortieren, dann kamen sie
       manchmal in sein Zimmer. „Mei, die ham sich halt gedacht, der hat an
       Datscha.“
       
       ## Seit einem dreiviertel Jahr clean
       
       Emanuel ist 20 Jahre alt – und spricht von seiner Drogenkarriere wie ein
       Veteran über den Krieg. Seit einem dreiviertel Jahr sei er clean, sagt er.
       „So sauber wie a Schnitzel.“ Seit er in Nürnberg die Ausbildung zum
       Technischen Zeichner macht.
       
       „Crystal Meth“, „Crystal“ oder „Pervitin“ – das Methylamphetamin hat viele
       Namen. Es wirkt noch schneller und heftiger als Ecstasy oder Speed,
       zusammen mit diesen synthetischen Drogen auf Amphetaminbasis ist es das am
       zweithäufigsten konsumierte Stimulans weltweit nach Cannabis. Bis zu 24
       Millionen Menschen nehmen es bereits, schätzen die Vereinten Nationen,
       allein in Europa sollen es 13 Millionen sein.
       
       Auch die Piloten der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg wurden mit
       Methylamphetamin gedopt, Pervitin hieß es damals, ein Wachhaltemittel aus
       den Temmler-Werken in Deutschland. Pervitin war billiger als Kaffee, die
       perfekte Durchhaltedroge.
       
       Vielleicht kommt es gerade deshalb heute so gut an. „Da bist den ganzen Tag
       in der Arbeit, danach prasseln die Facebook-Nachrichten auf dich ein, du
       beweist dich in Online-Games, und dann willst a no an guadn Eindruck in der
       Familie macha“, sagt Emanuel. „Da nimm i doch a Nas’n Crystal und denk mir,
       juhu, trallalla.“
       
       ## Die Droge ist alltäglich geworden
       
       In Ostbayern, in Thüringen und Sachsen, in vielen Dörfern entlang der
       tschechischen Grenze, ist die Droge alltäglich geworden. Hausfrauen nehmen
       es, weil das Saubermachen damit mehr Spaß macht. Essgestörte Mädchen, weil
       sie danach stundenlang keinen Hunger mehr haben, und Köche, die noch eine
       Schicht dranhängen.
       
       Zwar hat die Zahl der Drogenkonsumenten in Deutschland 2012 abgenommen.
       Aber die Zahl der Menschen, die Crystal zum ersten Mal nahmen, stieg
       innerhalb eines Jahres von 1.693 auf 2.556.
       
       Christian Pongratz ertappt jeden Tag ein bis zwei Schmuggler. Hat der
       Hauptkommissar 2010 noch 180 Leute mit den Tütchen im Auto aus dem Verkehr
       gefischt, waren es 2012 bereits 486. Er findet Crystal in Wanderstöcken, in
       Leberkässemmeln und in Körperöffnungen. Bei 13- bis 77-Jährigen. „Seit drei
       Jahren spüre ich nur noch Drogen nach“, sagt Pongratz, 38 Jahre, klein und
       muskulös, breiter Oberpfälzer Dialekt, in einem Behördenbau direkt am
       Grenzübergang in Furth im Wald. Über dem Tresen hängt ein Kreuz, darunter
       ein Schrank mit Wanderpokalen und in Plastik eingeschweißte Drogentests.
       
       ## Fahrende Fabriken
       
       An diesem Nachmittag verrät der Drogentest einen Mann, Anfang 30,
       vorbestraft. Ein Polizeibeamter wühlt in seinen Taschen, im Nebenraum zieht
       er ihn aus. Nichts. „Der hat bestimmt grad konsumiert“, sagt Pongratz.
       „Aber wenn er nix dabei hat, sind wir machtlos.“
       
       2010 hat die tschechische Regierung die Drogengesetze liberalisiert – wer
       mit bis zu 15 Gramm Marihuana, einem Gramm Kokain, eineinhalb Gramm Heroin
       oder zwei Gramm Crystal erwischt wird, braucht sich nicht vor dem Gefängnis
       fürchten. Und als Ordnungswidrigkeit wird das Delikt kaum geahndet, auch
       wenn darauf ein Bußgeld von bis zu 600 Euro steht. Zwei Gramm Crystal, zwei
       Monate Dauer-Highlife.
       
       Bis vor kurzem gab es in Tschechien noch Fabriken, in denen Ephedrin
       produziert wurde, der Grundstoff für Hustensaft und Crystal. Im Sozialismus
       war es kaum möglich, andere Drogen zu bekommen – also köchelte die Szene
       Pervitin oder Piko, so wird es in Tschechien genannt. Vor ein paar Jahren
       stiegen die tschechischen Vietnamesen ins Geschäft ein. Sie produzieren
       große Mengen, in Lastwagen, die auf den Landstraßen durch Tschechien
       brummen.
       
       In gerade einmal drei Minuten Fahrt von Pongratzs Büro aus erreicht man
       Folmava, eine Ansammlung flamingofarbener und pastellgrüner Häuser,
       Tankstellen und Nachtclubs, die „Luna“ heißen oder „Pyramida“. Am
       Kreisverkehr ein Schild „Asia Markt“, es führt in eine Stadt aus Buden mit
       grünen, roten Jalousien. An die 30 Bretterverschläge scharen sich um einen
       Parkplatz und einen Thai-Imbiss. Am Eingang kicken drei Männer, man wird
       gemustert, der eine blickt zum anderen, Handy ans Ohr. Aus einer Bude
       hinten rechts schlüpfen zwei junge Männer mit Baseball-Kappen hervor, Hände
       in den Hosentaschen, breites Grinsen im Gesicht. Rein in diese Bude.
       
       ## Man muss keinen Dealer kennen
       
       Das Angebot: Klappmesser, Sweatshirts. Ein Mann zupft einen am Ellbogen,
       streicht mit dem Finger über die Nase. „Marihuana? Piko?“ „Piko“. „Wie
       viel?“ „Ein Gramm.“ „Ein?“, er zieht die Augenbrauen hoch. „Fuffzig.“
       „Zwanzig?“ Er lacht, schüttelt den Kopf. Zuletzt: „Funfunddreißig, okay“,
       sagt er und zeigt auf einen Stapel Pullis. „Schauen, Pullover.“ Dann zieht
       er sein Handy aus der Tasche und tippt eine Nummer ein. Man könnte jetzt
       einfach warten, zahlen und eine Tüte mitnehmen.
       
       Man muss keinen Dealer kennen. Man braucht nur dreißig oder vierzig Euro –
       oder etwas anderes, das man gegen ein Tütchen eintauschen kann.
       
       Als „Spiegel TV“ Anfang Januar einen Beitrag sendete, der den Furthern
       zeigte, dass Crystal auch von Einheimischen geschnupft oder gespritzt wird,
       debattierte zwei Tage später der Stadtrat über das „Gift“. Ein Polizist
       rückte damit heraus, dass er vor zwei Jahren gegen 16 Mittelschüler im
       Alter von 14 Jahren ermittelte. Und dass seitdem bereits drei Einheimische
       an Crystal gestorben sind.
       
       Inzwischen haben schon Pro7, RTL und der Bayerische Rundfunk in Furth im
       Wald gedreht. Sie dürften ein wenig enttäuscht gewesen sein. Denn Bilder
       von Menschen mit verfaulten Zähnen, die am Bahnhof herumlungern, findet man
       hier nicht. Zwar wird etwa ein Viertel des Crystals, das er aufgreift, von
       Leuten im Landkreis konsumiert, schätzt Christian Pongratz. Doch die
       knallen sich bei Freunden die Birne zu und gehen dann brav nach Hause zu
       Mama und Papa.
       
       „Anfangs hob i no richtig guad ausg’schaut drauf“, sagt Emanuel. Er,
       eigentlich ein lethargischer Typ, hat trainiert, alte Freunde wieder
       besucht. Musik gehört und gedacht, „so muass sich der Himmel anfühlen“.
       Dann hat er wieder mit Alkohol und Joints angefangen. Bei jedem C dachte er
       an Crystal: Claus, Crystal. Christus, Crystal, C, C, Crystal. „Jeden Dreck“
       hat er gefressen, als er runterkam, in der Hoffnung, zwischen den
       Staubkörnern sei noch ein Crystalsplitter. Dann der Freund. Tot. Er hat
       sich umgebracht. Nach einer Woche machte Emanuel weiter wie zuvor.
       
       ## „Mein Körper war eine leere Hülle“
       
       Bis zu jenem Morgen im August. Dem Moment, in dem er nach drei Tagen
       aufwachte und nicht mehr wusste, wer er war. „Des war die Panik meines
       Lebens“, sagt er. „Nix mehr, weder mich selber, meinen Namen, meinen besten
       Freund, niemanden hab i mehr gekannt, als wär mein Körper nur eine leere
       Hülle.“ Emanuel schluckt. „Und wenn du da hängen bleibst, dir kann koa
       Mensch helfen.“
       
       Seitdem ist er clean, sagt er. „Na ja“, er legt den Kopf zur Seite, „clean?
       Wer is heit denn scho clean?“ Er nimmt Psychopharmaka, damit er sich
       konzentrieren kann. „Mei, die Mütter schlucken Beruhigungstabletten, und
       die Väter spülen den Frust mit Bier runter.“
       
       Emanuel hängt in seinem Sofa. Hin und wieder ein Bier, „des is scho drin“,
       sagt er, mal ein Joint, „koa Problem“. Aber bloß kein Crystal. Weil es
       deinen Körper, dein Umfeld, deine Emotionen zerstört, sagt er. „Des lutscht
       dich aus und übrig bleibt a kaputter Haufen.“ Sein Sprachzentrum ist
       ebenfalls zerstört, Emanuel stottert.
       
       Therapie? „Pfff“, macht er, „bloß net.“ Er schaffe das allein. Schließlich
       hat er jetzt eine Ausbildung. „Entweder du bleibst der Abschaum vo der
       Straß, oder du wirst a vernünftiger Mann.“ Dann rappelt er sich auf und
       tappt die Treppe hinunter. Teller klappern. Der Braten ist fertig.
       
       *Name geändert
       
       3 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Maria Amberger
       
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