# taz.de -- Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: 111 Jahre Haft für Folter und Mord
       
       > Das UN-Tribunal verurteilt sechs bosnisch-kroatische frühere Militärs und
       > Politiker. Der Schuldspruch könnte auch für den Staat Kroatien Folgen
       > haben.
       
 (IMG) Bild: 25 Jahre Haft: Jadranko Prlic.
       
       SPLIT taz | Nach dem Urteil des UN-Kriegsverbrechertribunals gegen sechs
       bosnisch-kroatische Kriegsverbrecher am Mittwoch macht sich die kroatische
       Zeitung Slobodna Dalmacija Sorgen: Jetzt könnte Bosnien und Herzegowina
       auch den Staat Kroatien wegen in Bosnien begangener Kriegsverbrechen
       anklagen.
       
       So ganz hergeholt ist diese Befürchtung nicht. Denn mit dem zu 25 Jahren
       verurteilten Jadranko Prlic, dem ehemaligen Ministerpräsidenten des
       kroatisch-bosnischen Teilstaats Herceg-Bosna, dem Stabschef der
       kroatisch-bosnischen Streitkräfte HVO, Slobodan Praljak, der 20 Jahre ins
       Gefängnis muss, sowie den anderen vier zu 10 bis 20 Jahren Haft
       Verurteilten wird die noch lebende Spitze des ehemaligen Kroatenstaats in
       Bosnien und Herzegowina abgestraft.
       
       Das Gleiche gilt für die damalige Führung des Staats Kroatien. Denn ohne
       den Befehl des damaligen kroatischen Staatschefs Franjo Tudjman hätten der
       „Krieg im Kriege“ in Bosnien und Herzegowina sowie die ethnischen
       Säuberungen von kroatischer Seite aus gar nicht stattfinden können. Tudjman
       ist tot und kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Auch sein
       Stabschef Gojko Susak, der eng mit den jetzt Verurteilten verbandelt war,
       lebt nicht mehr.
       
       Im Kern geht es um die Frage, ob die bosnisch-kroatischen Truppen, die 1992
       einen großen Teil der Herzegowina und Zentralbosniens kontrollierten und
       mit den bosnischen Truppen das Land gegen die angreifenden serbischen
       Nationalisten verteidigten, auf Befehl Tudjmans im Mai 1993 die Seiten
       wechselten. Unter Führung der nun Verurteilten gingen sie dazu über, in den
       von ihnen kontrollierten Gebieten „ethnische Säuberungen“ durchzuführen,
       also gewaltsam alle Nichtkroaten, vor allem Muslime, aus diesen Gebieten in
       Konzentrationslagern zu internieren, zu vergewaltigen, zu töten oder „nur“
       aus ihrer Heimat zu vertreiben.
       
       ## Typischer jugoslawischer Wendehals
       
       Das Gericht hat den ehemaligen Premierminister Jadranko Prlic dieser Taten
       für schuldig befunden. Der 1959 geborene Prlic, der schon vor dem Krieg
       Präsident der jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina war, ist
       eigentlich nicht mal ein ausgeprägter Nationalist, doch ein typisch
       jugoslawischer Wendehals jener Zeit – ein Kommunist, der zum Nationalisten
       mutierte und als solcher „Karriere“ machte. Als im Mai 1994 der Krieg im
       Kriege auf Druck der USA beendet wurde, antwortete Prlic auf die Frage des
       Verfassers, ob er nach Den Haag gehen würde, um sich zu verantworten, mit
       „Ja“.
       
       Er rechnete wohl nicht, dass es dazu jemals kommen würde. Noch in den 90er
       Jahren gelang es ihm, sich als Außenminister des Nachkriegsstaats Bosnien
       und Herzegowina zu profilieren. Der Zerstörung der Alten Brücke von Mostar
       – Symbol des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen und
       Kulturen – ist das Werk der Verurteilten. Den Befehl gab der ehemalige
       Direktor eines Puppentheaters in Mostar, Slobodan Praljak. Die
       Staatsanwaltschaft hatte für die sechs Angeklagten Urteile von 25 bis 40
       Jahren Haft gefordert.
       
       30 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ex-Jugoslawien
 (DIR) Kroatien
 (DIR) UN-Tribunal Ex-Jugoslawien
 (DIR) Bosnien
 (DIR) Kriegsverbrechen
 (DIR) Kroatien
 (DIR) UN-Tribunal Ex-Jugoslawien
 (DIR) Srebrenica
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Massengrab in Bosnien-Herzegowina: 430 Leichen geborgen
       
       In einer stillgelegten Mine in einem bosnischen Dorf wurden aus einem Grab
       Hunderte Leichen aus dem Balkan-Krieg geborgen. Es sind muslimische und
       kroatische Opfer.
       
 (DIR) Literatur zum Völkerstrafrecht: Die Schwere der Verbrechen
       
       Die internationale Strafjustiz entwickelt sich rasant. Ein Essay und ein
       Werk zu den Nürnberger Militärtribunalen erweitern den Diskurs.
       
 (DIR) Kommentar EU-Beitritt Kroatien: Eine historische Dimension
       
       Am Montag wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union. Für
       das postjugoslawische Land war es ein weiter Weg. Der Jubel ist verhalten.
       
 (DIR) Perisic vom UN-Tribunal freigesprochen: Befehlsunfähiger Generalstabschef
       
       Beim Freispruch von Momcilo Perisic folgt das UN-Gericht der Argumentation
       im Fall des kroatischen Generals Gotovina: Schuld sei nicht nachzuweisen.
       
 (DIR) Den Haag spricht serbischen General frei: Von allen Vorwürfen entlastet
       
       Die Schuld an Kriegsverbrechen in Sarajevo und Srebrenica sei nicht
       zweifelsfrei erwiesen: Das UN-Gericht spricht den ex-jugoslawischen
       Generalstabschef Perisic frei.