# taz.de -- 126.-129. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 30 Stockschläge auf den Hintern
       
       > Von Urlaub bis Goldhandel: In der FDLR war alles geregelt, mit
       > schriftlichen Genehmigungen und archiviertem Funkverkehr. Ein
       > Ex-Hauptfeldwebel erzählt.
       
 (IMG) Bild: Ein FDLR-Soldat sucht seinen Urlaubsantrag im kongolesischen Busch, Anfang 2009.
       
       STUTTGART taz | Hauptfeldwebel W hat eine typische FDLR-Militärkarriere
       hinter sich: Vor dem Genozid an Ruandas Tutsi 1994 in Ruanda schon
       ansatzweise militärisch ausgebildet, floh der ruandische Hutu 1994 wie
       Millionen andere ins benachbarte Zaire und landete schließlich in der
       Zentralafrikanischen Republik, ein langer Weg zu Fuß über Bukavu,
       Kisangani, Lisala, Gemena und dann schließlich bei Zongo über den
       Ubangi-Fluss nach Bangui. Untergebracht waren die Flüchtlinge dort in
       Flüchtlingslagern in Bouca.
       
       Zu einem ungenannten Zeitpunkt kehrte W als Soldat nach Zaire -
       mittlerweile Demokratische Republik Kongo - zurück, um Kongos Armee im
       Kongokrieg 1998-2003 gegen Ruanda zu unterstützen. W erhielt eine
       militärische Fortbildung in Katanga. Seine Truppe hieß „Forces Spéciales“,
       in ihr waren mehrere Brigaden ruandischer Hutu-Kämpfer aus der
       Zentralafrikanischen Republik und aus Kongo-Brazzaville gesammelt. Sie ging
       bei der Gründung der FDLR 2000 in dieser auf.
       
       2002, als Ruanda und Kongo Frieden schlossen und Kongo die Demobilisierung
       der FDLR zusagte - ein nicht gehaltenes Versprechen - gehörte W zu den
       FDLR-Kämpfern, die in der Militärbasis Kamina in Katanga zusammengezogen
       wurden, um als erste nach Ruanda zurückgebracht zu werden. Es kam damals zu
       einem Aufstand der ruandischen Hutu-Kämpfer, die Repatriierung wurde
       abgesagt und die FDLR-Einheiten gingen zurück in den Busch und schlugen
       sich - wieder zu Fuß, aber in umgekehrter Richtung - zu ihren Kameraden
       nach Ostkongo durch, wo sie ab 2003 ihren Staat im Staate errichten
       sollten.
       
       W war 2003 bis 2009 in Nord-Kivu. Zu den Aufgaben von W‘s Einheit gehörte
       die Zusammenarbeit zwischen der FDLR und Kongos Regierungsarmee FARDC.
       Letztere habe die FDLR zu Versammlungen mit der kongolesischen
       Zivilbevölkerung abgehalten, in den Gebieten, in denen die FDLR präsent
       war, sagt er in seiner Vernehmung vor dem OLG Stuttgart im
       Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni,
       Präsident und 1. Vizepräsident der FDLR, zwischen dem 14. und 23. Januar
       2013.
       
       ## „Erlaubnisformulare ausfüllen und unterschreiben“
       
       Unter anderem arbeitete W in der Verwaltung. „Ich machte eine Liste von
       Soldaten und schrieb auf, welcher Soldat die Erlaubnis hatte, irgendwohin
       zu gehen, Erlaubnisformulare von Soldaten ausfüllen und unterschreiben zu
       lassen, damit die Soldaten in Urlaub gehen können“, beschreibt er seine
       Tätigkeit. „Wenn jemand zu spät aus dem Urlaub zurückkam, hat er 30
       Stockschläge auf den Hintern bekommen. Man hat das aufgeschrieben und dem
       FOCA-Kommando (Militärkommando der FDLR, d.Red.) mitgeteilt“. Diese Art der
       Bestrafung hat er mehrfach gesehen, sagt W.
       
       Es wurden auch Genehmigungen ausgestellt, Handel zu betreiben. W‘s Einheit
       befand sich in einem Gebiet mit Goldminen, ausgebeutet von der lokalen
       Bevölkerung. Auf dem nahen Markt von Kasugho wurden Waren gegen Gold
       getauscht - „Kleidung, Salz, Alkohol, Radios, Werkzeuge um Gold zu graben,
       ich glaube man nennt es Schaufel“, sagt W. Die FDLR gaben der lokalen
       Bevölkerung Naturalien und ließen sich in Gold und mit Lebensmitteln
       bezahlen, teils als Tauschhandel, teils auf Kreditbasis.
       
       Der Markt von Kasugho war ein wichtiger Umschlagplatz für die FDLR. Die
       Verteidigung will wissen, was man sich für das Gold kaufen konnte -
       „Nahrung? Ein Auto? Ein Flugzeug? Salz?“ „Man konnte kein Flugzeug kaufen“,
       antwortet W. „Kleidung, Lebensmittel oder Telefone. Oder wenn man heiraten
       wollte, konnte man die Hochzeit damit finanzieren.“
       
       ## Ein Heft für Postausgang, eines für Posteingang
       
       W arbeitete später auch als Funker. Er beschreibt seine Tätigkeit: „Mein
       Kommandeur schrieb die Nachricht auf und gab sie mir, dann habe ich die
       Nachricht kodiert, dann wurde die Nachricht zum Funkgerät geschickt wo die
       Nachricht hinsollte. Nachdem die Nachricht geschickt wurde, bleibt die
       Nachricht im Heft für ’Nachrichten - Out‘“ - in dekodierter Form, wie er
       auf Nachfrage der Verteidigung klarstellt. „Wenn eine Nachricht kommt,
       dekodiere ich die Nachricht, dann tue ich sie in das Heft für ’Nachrichten
       - In‘ und brachte die Nachricht zum Kommandeur.“
       
       Aber ab Ende 2008 ging das nicht mehr - „weil wir Solaranlagen nutzten und
       die Solaranlage funktionierte nicht mehr gut. Wir konnten das Akku nicht
       aufladen, daher konnten wir das Gerät nicht benutzen“.
       
       Als das Funkgerät ausfiel, wurden Mobiltelefone benutzt. Das war zufällig
       auch die Zeit, als die FARDC sich von der FDLR abwandte und schließlich
       2009 anfing, gemeinsam mit Ruanda gegen die FDLR zu kämpfen. Dann war es
       nicht mehr möglich, nach Kasugho zu gehen und Telefoneinheiten zu kaufen.
       Kongolesische Zivilisten schickten Einheiten. Es wurden dann auch keine
       Funknachrichten mehr kodiert und in Heften aufbewahrt wie vorher.
       
       In direkter Befragung durch den Angeklagten Murwanashyaka - diese Befragung
       in der Muttersprache wird trotz Einwand der Bundesanwaltschaft zugelassen -
       bestätigt der Zeuge, dass keine Funknachrichten an oder von Murwanashyaka
       oder Musoni kamen bzw. gingen. Später, gegen Ende der richterlichen
       Befragung, wird klar, dass W‘s Einheit gar keinen Funkverkehr mit Europa
       tätigte, sondern nur mit dem FOCA Kommando vor Ort kommunizierte.
       
       ## Desertieren ist verboten
       
       Irgendwann nach Beginn der gemeinsamen kongolesisch-ruandischen
       Militäroperation „Umoja Wetu“ gegen die FDLR 2009 wurde auch Ws Einheit
       angegriffen. „An das Datum erinnere ich mich nicht, es war ein Freitag
       gegen 13Uhr“, erzählt W. Schon um 9 Uhr war die FDLR-Einheit von der
       lokalen Zivilbevölkerung gewarnt worden, dass Kongos Armee angreifen werde,
       und befand sich in Alarmbereitschaft.
       
       “Es war ein Angriff von FARDC-Soldaten. Sie griffen uns an und schossen auf
       uns. Etwa 20 Minuten gab es Kampfhandlungen. Dann flohen wir und gingen
       zurück. Was wir tragen konnten, nahmen wir mit.“ Die Einheit sei nie mehr
       auf ihren Hügel zurückgekehrt. Aus dieser Situation sei W später
       desertiert.
       
       Einer der Richter stellt dazu kuriose Fragen, zum Beispiel ob er vorher
       seinen Vorgesetzten Bescheid gesagt habe. Nein, sagt W. Warum nicht? „Ich
       denke, ich sollte es ihnen nicht sagen, sie hätten es nicht akzeptiert“,
       antwortet W und lächelt. Hatte er Angst vor Strafe? „Ich hätte es nie sagen
       können, sie hätten es nicht akzeptiert. Man kann nicht um Erlaubnis zum
       Desertieren bitten.“ Und was passiert bei unerlaubter Desertion - wie
       hätten die Vorgesetzten reagiert? „Sie hätten es verboten.“
       
       Redaktion: Dominic Johnson
       
       18 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bianca Schmolze
       
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