# taz.de -- Fischer Verlag vs. Schirrmacher: Fiktion ohne Grenzen
       
       > Sind Thomas Steinfeld und der Fischer Verlag zu weit gegangen? Nach dem
       > literarischen Mord an „FAZ“-Herausgeber Schirrmacher ist die
       > Literaturkritik gefordert.
       
 (IMG) Bild: Bringt nicht die Wallstreet ins Wanken, aber das deutsche Feuilleton: schwedischer Wald.
       
       Garstig ist die Welt. So garstig, dass sie oft der Literatur Vorschub
       leistet. Reale Motive wandern in Manuskripte bekannter und unbekannter
       AutorInnen. Auch der Kriminalroman ist vor der Wirklichkeit nicht gefeit.
       Gerade schwedische Mordgeschichten haben spätestens seit dem auch
       hierzulande erfolgreichen Autorenduo Sjöwall/Wahlöö in den 80er Jahren
       einen erhöhten Spannungswert.
       
       Ebenjenes war es, das den sozialkritischen Krimi mit aus der Taufe hob und
       Henning Mankells melancholischem Herrn Wallander den Weg zum
       belletristischen Weltruhm ebnete. Auf diese Schiene setzte auch der Fischer
       Verlag, als er für August seinen Schweden-Krimi „Der Sturm“ von dem „Autor“
       Per Johansson ankündigte.
       
       Auf einem verlassenen Gehöft in Schonen wird eine von Dachsen zerfressene
       männliche Leiche gefunden. Ein Lokalreporter beginnt zu recherchieren. Es
       stellt sich heraus, dass der Tote ein einflussreicher deutscher Journalist
       war, ein publizistisches „Genie“ namens Christian Meier. Der Verlag
       schwärmt von einer Verschwörung, „die vom schwedischen Wald aus die
       Wallstreet ins Schwanken bringt“. Großes Kino also, dass „hart an der
       Gegenwart“ geschrieben und „ein literarisches Werk zugleich“ sein soll.
       
       Bis der leitende Feuilletonredakteur der Welt, Richard Kämmerlings, bei der
       Lektüre des Erstlings Parallelen zwischen Realität und Fiktion ausmachte.
       Das Buch entwickle „eine Verschwörung entlang der Leib- und Magenthemen des
       FAZ-Herausgebers“ Frank Schirrmacher. Geschrieben habe den „Sturm“
       höchstwahrscheinlich unter Pseudonym der Feuilleton-Chef der Süddeutschen
       Zeitung, Thomas Steinfeld, einst ein Untergebener von Schirrmacher, der
       2001 im Streit um die Ausrichtung des Feuilletons Frankfurt gen München
       verließ.
       
       ## Schaufelhieb, Rufmord
       
       Doch das Ausmaß des vermeintlichen literarischen Skandals hat, wie
       Kämmerlings darlegt, noch einige pikante Fußnoten. Kämmerlings verweist auf
       die Ähnlichkeiten zwischen dem Schweden-Kenner Steinfeld und Johansson
       (Bob-Dylan-Fan) und zieht die Debatte um Martin Walsers Roman „Tod eines
       Kritikers“ und Marcel Reich-Ranicki heran.
       
       Vor zehn Jahren warf dessen Adjutant Schirrmacher Walser Antisemitismus
       vor. Steinfeld bezeichnete Schirrmachers Urteil als „publizistischen
       Erstschlag“. Kämmerlings’ Fazit: „Hier glaubt jemand, seine Ehre zu
       verteidigen, mit einem doppelten Mord: einem fiktiven Schaufelhieb und
       einem realen Rufmord“.
       
       Nach dem Sturm, den Kämmerlings’ Thesen im deutschen Blätterwald
       hervorriefen, gab SZ-ler Steinfeld schließlich am späten Mittwochnachmittag
       seine Autorenschaft zu, schloss aber jedwede Ähnlichkeiten mit Frank
       Schirrmacher aus. Ohne ihn freilich in einer persönlichen Erklärung
       gegenüber der Nachrichtenagentur dpa namentlich zu nennen. Schirrmacher
       selbst gab aus dem Urlaub zu Protokoll, er lese keine Schweden-Krimis. Der
       Fischer Verlag gab ebenfalls zerknirscht zu, das man es mit den
       Pseudonym-Spielereien übertrieben hätte. „Das ging absolut zu weit“, sagte
       auf taz-Anfrage der Pressechef Martin Spieles.
       
       Nun hat dieser vermeintliche Feuilletonskandal mehrere Seiten.
       Welt-Kritiker Richard Kämmerlings hat selbst für die Frankfurter Allgemeine
       Zeitung gearbeitet. Er war bei der Trennung der beiden
       Alpha-Feuilletonisten bereits im Haus, was freilich nichts an dessen
       nachvollziehbarer und schließlich teilweise belegter Beweisführung ändert.
       Was soll allerdings Steinfeld auch sagen, außer dass der tote Chefredakteur
       eine „idealtypische Gestalt“ sei.
       
       Dennoch zielt der Angriff auch auf den Verlag selbst, zumal ebenfalls
       Kämmerlings im Juli bereits feststellte, dass hinter einem weiteren
       Krimiautor der Frankfurter, Jean-Luc Bannalec, der Verleger Jörg Bong
       selber stecke. Die Branche reagierte damals empört, zumal das Buch wie ein
       Bestseller kalkuliert war. Fischer muss sich angesichts der jüngsten
       Versteckspielchen vorwerfen lassen, auch den „Sturm“ ebenso angelegt zu
       haben. Dank des „Skandals“ dürften die Verkaufszahlen jedenfalls steigen.
       
       Letztlich also alles eine Farce, die in ein vor Banalität und
       Selbstbezüglichkeit nur so strotzendes Spektakel hineinwuchert. Eigentlich
       wäre es Zeit für eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Debatte
       darüber, was Literatur darf und was eher nicht. Wo liegen die vertretbaren
       Grenzen der Fiktion? Diese Chance vergab die Szene schon bei Christian
       Krachts Roman „Imperium“. Wenn ein mittelmäßiger Krimi jetzt diesen Anstoß
       leisten könnte, wäre das eine echte Nachricht im Sommerloch.
       
       16 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Scheper
       
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