# taz.de -- Reaktionen auf die Verurteilung Lubangas: „Man hat uns alle verurteilt“
       
       > Für seine Angehörigen und ehemaligen Kindersoldaten ist Thomas Lubanga
       > ein Held. Seine Verurteilung in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verstehen
       > sie nicht.
       
 (IMG) Bild: Kindersoldaten in Bunia im Jahr 2003.
       
       BUNIA taz | Die Parteizentrale der UPC (Union kongolesischer Patrioten) in
       der Stadt Bunia besteht aus zwei Räumen im Erdgeschoss eines Bürogebäudes
       in der Innenstadt. Es ist heiß und stickig, draußen brennt die Sonne nach
       strömenden Regenfällen in der Nacht. Fotos von Thomas Lubanga hängen an den
       Wänden. Auf Holzbänken sitzen Familienmitglieder des in Den Haag
       angeklagten Parteigründers, ebenso ehemalige Kindersoldaten. Sie alle
       wollen miterleben, wie viele tausend Kilometer entfernt das Urteil
       gesprochen wird.
       
       Doch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat die Satellitengebühren
       nicht bezahlt. Deswegen kann die Den Haager Urteilsverkündung im Kongo
       nicht live via Fernsehen und Radio verfolgt werden, sagt bedauernd ein
       IStGh-Sprecher in Bunia. Also sitzen die UPC-Anhänger unwissend herum. „Es
       ist ein historischer Tag für die ganze Welt und wir können es nicht live
       erleben“, schimpft Pele Kaswara, ein lokaler Abgeordneter. Wie seine
       Kollegen auch hat er sich heute fein gemacht: Er ist gekleidet in Stoffen,
       die mit dem Parteilogo bedruckt sind.
       
       Kaswara stellt ein Taschenradio auf den großen Konferenztisch. „Wir haben
       die Ergebnisse aus Den Haag“, verkündet der Sprecher des UN-Rundfunksenders
       Radios Okapi schließlich knapp eine Stunde nach der Urteilsverkündung in
       Den Haag. „Thomas Lubanga ist wegen Rekrutierung und Training von
       Kindersoldaten schuldig gesprochen“, scheppert es unkommentiert. Dann folgt
       Musik.
       
       Einige Minuten lang herrscht betroffenes Schweigen. Dann steht eine Frau
       auf: „Soll das alles sein?“, schreit sie. „Ein paar Worte und sonst
       nichts?“ Die Stille verwandelt sich abrupt in eine aufgeregte Diskussion.
       
       ## „Man hat uns alle verurteilt“
       
       „Es ist sehr schockierend“, sagt Jean-Baptiste Bongi und schüttelt den
       Kopf. „Man hat soeben nicht nur Thomas schuldig gesprochen, sondern uns
       alle.“ Der alte Mann hatte 2004 seine Unterschrift unter den Schriftzug von
       Lubanga gesetzt, als die UPC sich von einer bewaffneten Gruppe in eine
       politische Partei verwandelte und die Gründer das neue Statut
       unterzeichneten. Lubanga sei dabei die treibende Kraft gewesen.
       
       Während des ethnischen Konfliktes in Ituri sei die UPC eine
       „Selbstverteidigungsgruppe“ gewesen, „damit wir nicht auch geköpft und
       massakriert werden wie die Tausenden Opfer hier“, erklärt der alte Bongi
       und zeigt vergilbte Fotos von Machetennarben und abgeschlagenen Häuptern.
       Als der Krieg vorbei war, habe Lubanga „die Kämpfer entlassen und erklärt,
       man müsse die Region mit politischen Mitteln entwickeln“. Und jetzt ist er
       ein verurteilter Kriegsverbrecher?
       
       Die lautstarke Diskussion lockt Leute aus der Nachbarschaft an. Es wird
       wild durcheinandergeredet und gestikuliert. Der Abgeordnete Kaswara, ein
       Jurist, ergreift das Wort: „Das sind keine Richter, das sind Politiker, die
       solche Urteile fällen“, posaunt er in die Menge. Alle nicken ihm beifällig
       zu. „Es sind nur Afrikaner, die in Den Haag angeklagt sind, und es sind die
       internationalen Organisationen, die die Zeugen in Bunia gefunden und
       beeinflusst haben. Diese Zeugen wurden gekauft.“
       
       Heimlich stiehlt sich Lubangas Schwester Angèle Zasi aus dem Raum. Die
       hübsche Frau hat Tränen in den Augen. Sie telefoniert mit ihrer Schwägerin,
       Lubangas Ehefrau, die mit den Söhnen nach Den Haag gereist ist. Für die
       Familie sei das Urteil ein schwerer Verlust, so Zasi. Der Vater starb früh,
       „Thomas war der Einzige von uns, der studiert hatte“.
       
       ## „Es war eine Falle“
       
       Sie erinnert sich gut an den letzten Moment mit ihrem Bruder, bevor er nach
       Kinshasa reiste. Das war 2004, auf Einladung von Kongos Präsident Joseph
       Kabila. „Er sagte, er werde bald zurück sein“, sagt sie. Er kam nie wieder.
       Über ein Jahr lang saß er quasi unter Hausarrest im Fünfsternehotel, dann
       steckte man ihn ohne Anklage ins Gefängnis – bis er 2006 an Den Haag
       überstellt wurde. „Kabilas Regime hatte ihn in eine Falle gelockt“,
       schluchzt sie. Die einzige Genugtuung: In Den Haag hatte Lubanga zumindest
       ein gerechtes Verfahren und erträgliche Haftbedingungen. Zasi und ihre
       Geschwister sind sich sicher: Ihr Bruder ist unschuldig.
       
       Das sagen selbst die eigentlichen Opfer, die Kindersoldaten, für deren
       Rekrutierung und Einsatz Lubanga jetzt schuldig gesprochen ist. Innocent
       ist heute 24 Jahre alt, ein hagerer, schüchterner und nervöser junger Mann.
       Er fährt mit seinem zerbeulten Taxi an der Parteizentrale vor. Als er 12
       Jahre alt war, hatten Milizen des Lendu-Volkes sein Dorf niedergebrannt und
       seine Eltern getötet. Also ging er zur UPC – „freiwillig, wie alle
       Kindersoldaten auch“, so Innocent. „Ich wusste als Waise gar nicht, wie ich
       anders überleben sollte.“
       
       Zwei Monate lang erhielt Innocent eine Militärausbildung. Dann wurde er in
       den Kampf geschickt. An Lubanga erinnert er sich als den „großen Führer“,
       der die Kinder wie ein „Vater“ behandelte. Als Kommandeur hat er Lubanga
       jedoch nie gesehen: „Er war unser Präsident und machte Politik in Bunia und
       Kinshasa, wir kämpften weit weg im Busch“, sagt er. Widerfährt dem
       ehemaligen Kindersoldaten durch dieses Urteil Gerechtigkeit? Innocent zuckt
       mit den Schultern. „Mein Leben ist hart, mit oder ohne Urteil.“
       
       Ähnlich reagiert auch Francois Dhadda, Vorsitzender der Lendu-Volksgruppe
       in Bunia, die vor zehn Jahren die Erzfeinde der Hema in Lubangas UPC waren.
       Im Verfahren in Den Haag waren sie nicht als Opfer vertreten, obwohl
       Tausende starben. Dhadda arbeitet als Verwaltungsbeamter an der Universität
       Bunia. Er hat das Urteil im Radio gehört, während er Prüfungsunterlagen
       nach Kinshasa faxte.
       
       „Für uns ist dieser Tag kein besonderes Ereignis“, sagt er mit ruhiger
       Stimme. „Wir Lendu und Hema leben heute friedlich zusammen. Und heute waren
       wir alle gleich schlecht informiert.“
       
       14 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Demokratische Republik Kongo
 (DIR) Internationaler Strafgerichtshof
 (DIR) Schwerpunkt Stadt
       
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